Editorial
Zwischeneuropa
Republik Moldau – eine Gesellschaft mit Geschichte
Aus dem europäischen Blickfeld fast verschwunden ist die Republik Moldau, dieser kleine Staat am Schwarzen Meer, dessen Gebiet einmal zum europäischen Kernland gehörte. Ein EU-Bewerberland, das sich von Europa vergessen fühlt. Und das innerlich zerrissen ist: Die eine Hälfte strebt nach Westen, die andere nach Osten, im Süden leben die Gagausen und an seinem östlichen Rand verläuft mit Transnistrien eine harte geopolitische Grenze. Die Republik Moldau ist nur 1000 Kilometer von Österreich entfernt und doch so weit weg. Vor unserer Haustür liegt ein Land, das anders riecht, anders schmeckt, anders fühlt und über dem noch immer der Grauschleier russischer Tage liegt. Doch darunter verbirgt sich eine Gesellschaft mit einer Geschichte, die bunt, reich, schmerzhaft und erzählenswert ist, weil sie eben auch Teil unserer eigenen Geschichte ist. Zum Auftakt unserer Titelstrecke nimmt uns der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß mit auf die Reise in ein kaum bekanntes Land. Im Anschluss beschäftigt sich der Sicherheitsexperte Markus Kaim mit der aktuellen geopolitischen Frage, ob es Russland wirklich gelingen kann, den Süden der Ukraine zu erobern, um eine Landbrücke bis nach Transnistrien herzustellen.
Ja, es gab noch die Weichseldeutschen, aber von dieser Volksgruppe im heutigen Russland einmal abgesehen, war Bessarabien der Außenposten der deutschen Siedlungspolitik. Im Jahr 1812 lud der russische Zar Alexander I. deutsche Siedler ein, sich am Schwarzen Meer niederzulassen, und lockte sie mit Land und Freiheitsrechten. Die Einwanderer stammten überwiegend aus Südwestdeutschland und aus Preußen. Im Laufe ihrer 125-jährigen Siedlungsgeschichte entwickelten sie hier ein prosperierendes Gemeinwesen, das durch lokale Autonomie und eine religiös-pietistisch grundierte Ethik geprägt war. Die Zahl der Siedler wuchs von 9000 in den Anfangsjahren auf über 93.000 bis 1940, als die Bessarabiendeutschen infolge des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes ausgesiedelt und 1941/42 größtenteils im besetzten Polen angesiedelt wurden. Anfang 1945 mussten sie flüchten und sich im geteilten Deutschland eine neue Existenz scha¡en. Der Zweite Weltkrieg schluckte auch diesen Teil einer gesamteuropäischen Geschichte, die in Vergessenheit zu geraten droht. Der Bessarabiendeutsche Verein in Stuttgart hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen und Traditionen der Bessaraber lebendig zu halten. Brigitte Bornemann, Vorsitzende des Vereins, spricht im Interview (auf rotary.de) über den Versuch, ein Stück einer verlorenen Zeit und Identität zu retten. Was Bessarabien war und wie es funktionierte, beschreibt die Historikerin Ute Schmidt in ihrem Artikel „Fromme und tüchtige Leute“.
Fast war Polio ausgerottet, fast. Doch seit einigen Wochen überschlagen sich die Nachrichten vom ebenso tragischen wie bemerkenswerten Comeback des Virus. New York hat den Katastrophenfall ausgerufen, in London findet sich der Erreger im Abwasser. All das deutet darauf hin, dass das Virus in der Bevölkerung zirkuliert. Rotarys weltumspannendes und bis heute größtes Projekt End Polio Now begann 1978 als „3-H“-Programm und stand für „Health, Hunger, Humanity“, zu Deutsch Gesundheit, Hunger und Menschlichkeit. Daraus wurde 1985 das Programm Polio Plus mit dem Ziel, das Virus durch Impfen weltweit auszurotten. Seither wurden fast drei Milliarden Kinder mit stetig weiterentwickelten Vakzinen gegen die Infektion geschützt. Nur noch in Afghanistan und Pakistan wurden Einzel«lle von Polio bekannt – und jetzt das. Aus doppelt aktuellem Anlass – am 24. Oktober ist Welt-Polio-Tag – richten wir den Blick auf das tückische Virus und beschäftigen uns mit der Zeit vor Rotarys Kampfansage.
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht
Björn Lange
Chefredakteur
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