Reportage
"Rotary bringt Licht ins Dunkel"
Der German Rotary Volunteer Doctors e. V. ist seit 25 Jahren im Einsatz, um die Gesundheitsversorgung in Ghana, Indien und Nepal zu verbessern. Es ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte – ein Kapitel davon wird in Techiman geschrieben.
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VIDEO: Der Film "Techiman" von Rotary Magazin-Redakteur Florian Quanz zeigt eindrücklich die Arbeit des GRVD am Holy Family Hospital in Techiman.
Der Bus stoppt abrupt. Mitten im Nichts. Kein Dorf ist weit und breit zu sehen. Otto Dollinger blickt nach vorne zum Fahrer. Seine Frau Barbara schaut kurz auf die Uhr. Zweieinhalb Stunden sind sie jetzt schon zu dem Outreach unterwegs. So werden in Ghana Einsatzorte fernab einer Großstadt bezeichnet. Drei Stunden soll die Fahrt bis zum ersten Halt dauern. Eine halbe Stunde Fahrt also noch. Eigentlich.
„Da vorne ist ein Lastwagen stecken geblieben und blockiert die Fahrbahn. Wir kommen hier erst einmal nicht weiter“, erklärt Felix Ofori. Er ist Manager der Augenklinik innerhalb des Holy Family Hospital in Techiman. Ofori steigt aus und blickt in Richtung Lastwagen. Eine Baustelle hat die Fahrbahn auf eine Spur für beide Richtungen verengt. Die Staubpiste war so schmal und nass, dass der Lastwagen von der Fahrbahn abkam und sich festgefahren hat. An dem Lastwagen vorbeizufahren ist für den Bus nicht möglich. Nun scheint guter Rat teuer. Doch Felix Ofori weiß genau, was zu tun ist. Er greift zum Handy. Nach einem kurzen Telefonat lächelt er Otto und Barbara Dollinger zu: „Ein Pick-up ist schon unterwegs und wird einen Teil unseres Teams zu den ersten beiden Dörfern fahren.“ Ofori lässt sich nicht aufhalten. Er hat schon öfter solche Situationen erlebt und ist bestens vorbereitet.
Aufbruch um sechs Uhr morgen
Auch Otto Dollinger lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: „Auf so etwas muss man hier immer gefasst sein.“ Der Augenarzt vom RC Biberach an der Riß ist für zwei Wochen für die German Rotary Volunteer Doctors (GRVD) mit seiner Frau, einer Orthoptistin, nach Ghana gereist. Ehrenamtlich arbeiten sie am Krankenhaus in Techiman. Es ist nicht ihr erster Einsatz für GRVD. Auch nicht ihr erster Einsatz im Outreach. „Wir sind zusammen mit einem neunköpfigen Team der Augenklinik heute morgen um sechs Uhr aufgebrochen. Ziel sind vier Dörfer, die wir heute anfahren.“
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VIDEO: Dr. Otto Dollinger im Interview mit dem Rotary Magazin-Redakteur Florian Quanz
Das Krankenhaus stellt mit solchen mobilen Teams in abgeschiedenen Regionen eine Gesundheitsversorgung sicher, die es sonst nicht gäbe. In den betroffenen Dörfern des heutigen Einsatzes wurde einige Tage zuvor bekannt gegeben, dass ein Team der Augenklinik vor Ort sein wird. Jeder, der Probleme mit seinen Augen hat, soll am heutigen Tag zum Klinikteam kommen. „Für mehr als eine Million Menschen ist hier in der Region rund um Techiman ein einziger Augenarzt zuständig“, berichtet Dollinger.
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Der GRVD, ein eingetragener Verein, der als rotarische Multidistriktorganisation gegründet wurde, bringt hier zusammen, was bestens zusammenpasst. In den deutschen Rotary Clubs gibt es eine Vielzahl an Ärzten. Diese verfügen über extrem wertvolles Wissen und berufliche Erfahrung. In Ghana gibt es eine chronische medizinische Unterversorgung, besonders in ländlichen Regionen.
Vier Teams für vier Dörfer
„Wir haben uns vorher in Teams aufgeteilt, sodass wir parallel in allen vier Dörfern die Menschen untersuchen können“, sagt Felix Ofori, der dabei gebannt in Richtung Lastwagen schaut. Dieser wird gerade mithilfe eines Baggers rausgezogen. „Wir können wohl doch gleich weiterfahren“, mutmaßt Barbara Dollinger. Gerade als ein roter Pick-up in Sichtweite ist, winkt der Busfahrer – das Zeichen zur Weiterfahrt. Ofori spricht noch schnell mit dem Pick-up-Fahrer, der dann wieder abdreht.
Ganz langsam fährt der Bus nun an der Baustelle vorbei. Eine halbe Stunde später erreicht der Bus eine kleine
Siedlung und biegt links ab. Das erste Ziel ist erreicht. Otto Dollinger steigt aus und öffnet seinen Rucksack. Gemeinsam mit seiner Frau kontrolliert er noch einmal genau, dass er nun alles mitnimmt, was er für Patientenuntersuchungen braucht. Nichts wäre ärgerlicher, als etwas im Bus zu vergessen.
Bestens vorbereitet macht sich Otto Dollinger auf den Weg zu seiner heutigen Arbeitsstätte. Ein kleines Gebäude steht für Arztuntersuchungen zur Verfügung. Während im linken Trakt schwangere Frauen untersucht werden, wird er im rechten heute die Augen von Patienten untersuchen. Eine örtliche Krankenschwester wartet dort bereits auf ihn. Sie wird alle wichtigen Patienteninformationen samt Untersuchungsergebnissen schriftlich festhalten. Doch bevor Otto Dollinger starten kann, bespricht er mit einem Krankenhausmitarbeiter den Sehtest, den jeder Patient machen muss, bevor er bei Auffälligkeiten ins Behandlungszimmer kommt. Einer von Dollingers ersten Patienten ist ein alter Herr. Diagnose: grauer Star am linken Auge. Da der Herr kaum Englisch spricht, muss die Krankenschwester übersetzen. „Können Sie heute mit ins Krankenhaus kommen und dort für zwei Tage bleiben?“, lautet die finale Frage. Der Herr bejaht, und Otto Dollinger lächelt zufrieden.
Kirche wird zum Untersuchungszimmer
Seine Frau untersucht zeitgleich etwa 20 Autominuten entfernt in einem weiteren Dorf Patienten. Ein eigenes
Behandlungszimmer steht ihr aber nicht zur Verfügung. Gemeinsam mit dem Optometristen Joseph Bannor muss sie in einer Kirche improvisieren. Ein Junge weckt schnell ihre Aufmerksamkeit. Er wartet mit den Händen vor dem Gesicht und nach unten gebeugt auf seine Untersuchung. „Man sieht sofort, welche Schmerzen der Junge erleiden muss“, erklärt Barbara Dollinger. Bei der Untersuchung erklärt der Junge, dass er nicht nur schlecht auf beiden Augen sehen kann, sondern immer wieder auch starke Kopfschmerzen hat. „Da besteht unmittelbar ein Zusammenhang“, diagnostiziert sie. „Der Junge muss unbedingt zur weiteren Untersuchung mit ins Krankenhaus genommen werden.“ Dies erklärt sie auch Joseph, der sich den Namen des Jungen auf einem Zettel notiert. Letztlich entscheiden die Klinikmitarbeiter, wer sofort mit in die Klinik genommen wird. „Wir können nur Empfehlungen abgeben“, erklärt Otto Dollinger. „Die Klinikmitarbeiter sind in der Verantwortung, nicht wir. Ein Miteinander funktioniert auch nur, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen.“ Da sei es wenig hilfreich, wenn die Ärtze des GRVD als Bestimmer auftreten würden. Letztlich könne die Arbeit vor Ort nur erfolgreich sein, wenn man gemeinsam Projekte anstoße, denn dann sei die Nachhaltigkeit auch garantiert.
Nach kurzer Zeit ist klar, dass es weniger Plätze im Bus als Patienten gibt, die man mitnehmen möchte. Es ist Teil der Arbeit im Outreach, Menschen zurückzulassen, die eine ärztliche Behandlung brauchen. Das Team um Felix Ofori ist aber bemüht, Lösungen für alle zu finden. Der Junge, den Barbara Dollinger untersucht hat, kommt nicht mit. Er wollte noch etwas zu Hause holen und sich dann mit dem Auto seines Bruders zum ersten Einsatzdorf fahren lassen, um dort in den Bus zuzusteigen. Doch er erscheint nicht. Sein Platz bleibt leer. Für das Team ist jedoch klar – er wird nachgeholt.
GRVD in Zahlen
Zahl der Vereinsmitglieder: 942 (davon
sind etwa 20 Prozent nicht Mitglied der
rotarischen Gemeinschaft)
Zahl der Einsätze: knapp 2500 Einsätze in 25 Jahren
Einsatzländer: Ghana, Indien und Nepal
Einsätze pro Jahr: im Durchschnitt 100 (im Jahr 2012 wurde der Spitzenwert von 164 Einsätzen erreicht)
Zahl der betreuten Krankenhäuser: 23 (14 in Ghana, eines in Indien und acht in Nepal)
Zahl der in Deutschland ausgebildeten
ausländischen Fachkräfte: etwa 100
Größte Einzelsumme für ein Projekt: 625.000 Euro für die Notfallambulanz des Holy Family Hospital
in Techiman; gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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VIDEO: Prof. Dr. Joachim Teichmann vom RC Lüdenscheid im Gespräch mit dem Rotary Magazin-Redakteur Florian Quanz
Am Tag danach: Während Otto Dollinger nach den gestern im Outreach eingesammelten Patienten in der Aufnahme schaut, sinkt Joachim Teichmann im Büro neben dem Endoskopie-Saal ins Sofa. „Hier ist es schön kühl“, sagt er lachend und deutet auf die Klimaanlage direkt über seinem Kopf. Die klimatischen Bedingungen in Ghana sind für Europäer eine Herausforderung. Joachim Teichmann hat sich inzwischen daran gewöhnt. 2017 war er das erste Mal für den GRVD in Techiman. Dieses Jahr sind es drei Wochen. „Ich habe das Privileg, Urlaub so nehmen zu können, wie der GRVD es wünscht.“
Bei seinem jetzigen Aufenthalt hat der Internist, Gastroenterologe und Endokrinologe aus dem RC Lüdenscheid einen Krankenhausmitarbeiter in Techniken der gastroenterologischen Untersuchung eingearbeitet. Heute stehen zwei endoskopische Untersuchungen an. Die Patienten klagen über Magenbeschwerden. Während die Klinikmitarbeiter der Endoskopie alles fleißig vorbereiten, ist Teichmann noch im Vorgespräch mit einer Krankenschwester im Büro. Plötzlich geht die Tür auf. „Wir sind so weit“, erschallt ein Ruf. Teichmann steht sofort auf und begibt sich in den Behandlungsraum. Er wird an beiden Untersuchungen teilnehmen. „Im Zweifel können mich die Kollegen konsultieren“, erklärt er. Doch dazu kommt es nicht. Viel zu routiniert ist mittlerweile das Personal. 500 bis 600 Untersuchungen dieser Art finden im Jahr hier statt. „Der Endoskopie-Saal ist nach deutschen Standards gebaut, und das Personal arbeitet hochprofessionell“, lobt Teichmann. Daran hat der GRVD einen wesentlichen Anteil. Viele Geräte sind vom GRVD finanziert und besorgt worden. „Wichtig ist, die Klinik und ihre Behandlungsmöglichkeiten gemeinsam mit dem Personal voranzubringen.“ Die Entwicklung des Holy Family Hospital in Techiman könne sich mehr als sehen lassen. „Die Kolleginnen und Kollegen hier sind offen für den Technologietransfer“, sagt Teichmann. Das sei eine wesentliche Voraussetzung.
Osei Agyeman blickt konzentriert nach unten. Jeder Schnitt muss exakt ausgeführt werden. Was für den Chefarzt der Augenklinik ein Routineeingriff ist, würde an einer deutschen Klinik gar nicht auf dem OP-Terminplan stehen. „Bei uns hätte der Patient viel früher einen Arzt aufgesucht. Jetzt bleibt leider nur noch die Möglichkeit, das rechte Auge als Ganzes zu entfernen“, erklärt Otto Dollinger, der mit dabei ist. Operation an Operation reiht sich am heutigen Tag aneinander. Auch der alte Mann, bei dem der deutsche Augenarzt grauen Star diagnostiziert hat, kommt an die Reihe. Was die großartige Arbeit des Krankenhauses bewirkt, zeigt sich exemplarisch an seinem Fall. Am Mittwoch wird er in seinem Dorf untersucht und mit in die Klinik nach Techiman genommen. Am Donnerstag wird er von Dr. Osei Agyeman und seinem Team operiert und am Freitag wird der Verband über dem Auge bereits wieder entfernt. „Das ist ein ganz besonderer Augenblick für ihn“, sagt Otto Dollinger, der an dem Tag dabei ist. „Er kann sofort wieder etwas auf dem operierten Auge sehen. Jetzt beginnt für ihn ein komplett anderes Leben.“ Momente wie diese unterstreichen, was ein „wunderschönes Rotary-Projekt“, wie es Dollinger nennt, bewirken kann. Der RC Essen-Ruhr übernahm die Kosten für den Bau der Augenklinik. Die Clubs aus Lüdenscheid und Biberach finanzierten mit dem RC Techiman über einen Global Grant die wesentliche Ausstattung. Rotary hat für viele Menschen im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel gebracht.
Weitere Informationen sowie Spendemöglichkeit unter: grvd.de
Interview
Fragen an Hochwürden Bischof Dominic Yeboah Nyarko, dem das katholische Krankenhaus in Techiman untersteht:
Seit wann besteht das Holy Family Hospital?
Das Holy Family Hospital wurde 1954 von den Medical Mission Sisters gegründet. Alles begann Anfang 1953, als drei Gründungsälteste der St. Paul’s Catholic Church of Techiman, heute St. Paul Cathedral, den damaligen katholischen Bischof von Kumasi, Bischof Hubert Paulissen, besuchten, um ihren Wunsch nach einem Krankenhaus für Techiman zum Ausdruck zu bringen. Ihr Wunsch wurde erhört, und im kommenden Jahr feiern wir unser 70-jähriges Bestehen.
Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung des Krankenhauses?
Natürlich. Wir starteten als kleines Gesundheitszentrum und sind nun ein großes Krankenhaus mit mehreren Abteilungen. Wir sind glücklich und stolz, dass uns diese Entwicklung gelungen ist und wir für die Menschen in der Region so ein breites Gesundheitsversorgungsangebot bieten können. Ein besonderer Dank geht an den GRVD. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir heute auf diesem Niveau arbeiten.
Wie wichtig war und ist die Hilfe des GRVD?
Die Hilfe ist phänomenal. Einfach exzellent. Ich kann es nicht anders ausdrücken.
Dann bleibt die Partnerschaft hoffentlich noch
lange bestehen.
Ja. Das ist mein Wunsch.
In Ghana leben Menschen ganz unterschiedlicher Religionen und Glaubensrichtungen friedlich
zusammen. Das ist in unserer Welt keine Selbstverständlichkeit. Was ist das Erfolgsrezept?
Es wird bei uns von den Staatslenkern und wichtigen Persönlichkeiten vorgelebt und so in die Gemeinschaft getragen. Unser derzeitiger Präsident ist ein Christ und der Vizepräsident ein Moslem. Der Präsident nimmt am Fastenbrechen zum Ramadan teil und der Vizepräsident geht zu Weihnachten in eine christliche Kirche. Es ist hier selbstverständlich, sich als Katholik mit Moslems zu treffen. Es gibt bei uns keine Konflikte zwischen Religionsgemeinschaften. Uns alle vereint das Ziel, Ghana zu einem besseren Land zu machen. Wir sind alle Brüder und Schwestern. Es gibt keinen Grund, sich gegenseitig zu bekämpfen.
Sich dies immer wieder bewusst zu machen ist enorm wichtig.
Auf jeden Fall. Es ist sehr wichtig. Ansonsten hätten wir keinen Frieden in Ghana.
Copyright: Andreas Fischer
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