https://rotary.de/kultur/die-renaissance-der-sommerbowle-a-22113.html
Peters Lebensart

Die Renaissance der Sommerbowle

Peters Lebensart - Die Renaissance der Sommerbowle
© Illustration: Jessine Hein/Illustratoren

Reinen Wein einschenken war gestern, jetzt braucht’s Gurke, Pfirsich und Kräuter im Glas

Peter Peter01.07.2023

Kullerpfirsiche! Daran musste ich denken, als ich an einem heißen Wandertag auf dem Monte Epomeo, dem höchsten Gipfel Ischias, vor einer Hütte einen Tonkrug mit kaltem Landwein hingestellt bekam, in dem frische geschälte Pfirsiche schwammen. Bei uns eher Vintage-Zitat, an den Nobelküsten Neapels topaktuell, wie ich später erneut beim schicken Fischessen in Positano feststellen konnte. Neugierig geworden? Es geht noch einfallsreicher. Letztes Jahr bestellte ich in einer einfachen Rosticceria in der Grottenstadt Matera „vino rosso“ zum Grillfleisch. Es kam eine Karaffe mit gut gekühltem Aglianico – Rotweine werden in Süditalien meist kalt getrunken –, in der ein geheimnisvolles Bündel steckte. Geschmacks- und Augenproben ergaben: Der Bauernwein war mit Stangensellerie und halben Aprikosen aufgepeppt, ein Bouquet, das dem herben Tropfen durchaus aparte würzige Noten verlieh. Wir haben an diesem schwülen Sommertag jedenfalls begeistert nachbestellt.

Zurück in deutschsprachige Lande: Wir löffeln zwar immer häufiger „bowls“ aus, aber die klassische Bowle ist als Erfrischungsgetränk weitgehend aus der Mode gekommen. Mir zum Beispiel war es noch nie vergönnt, Waldmeister-Bowle zu kosten – was auch an meinem Wohnort München liegen mag, wo das Kraut weniger präsent ist als in nord- und ostdeutschen Gefilden.

Kalte Ente würde das Gros unserer jüngeren Mitbürger vermutlich als Resteessen vom Sonntagsbraten identifizieren. Dabei verschleiert der Ulk-Ausdruck der Adenauer-Ära, dass hier Weißwein und Sekt (bloß kein Champagner!) mit Zitronenscheiben aufgefrischt werden – angesichts des damals üblichen süßlichen Ausbaus durchaus nachvollziehbar. Heute hingegen betreiben wir einen ganz anderen Kennerkult um Rebsortenreinheit. Da erscheint solch unbekümmerte Geschmacksverfälschung eher verpönt.

Wenn wir schon Obst mit Alkohol mischen, dann präferieren wir seit den 1970ern, als wir erstmals in Scharen an die Costa Brava und nach Mallorca strömten, einen andalusischen Dauerbrenner. Sangria lässt in den Köpfen immer noch blitzartig Impressionen von mediterranem Licht, Partylaune und tanzbaren Schlagern entstehen und lädt zum „sharing“, dem kulinarischen Lieblingswort unserer Millennials. Zutaten lassen sich variieren – Apfelsinenstücke und Zitronensaft sollten drin sein, aber auch Honigmelone oder Apfel, der sich so schön vollsaugt mit Alkohol, sind populär. Komplizierter wird es beim mit Pomeranzenschalen aromatisierten Punsch, der hierzulande heiß serviert wird. Die britische Variante „punch“ aus fünf Ingredienzien (die auf das Sanskrit- oder Hindi-Wort für „fünf“ zurückgeht) gibt es auch kühlend auf Sommerfesten. Dass es nicht immer Frucht zum Alkohol sein muss, beweist die Gurkenscheibe im Wimbledon-Drink Pimm’s.

Damit streifen wir ein anderes Kapitel, die Cocktails. Hier sind Fruchtessenzen durchaus aktuell. Der gute alte Holunderblütenlikör wird mit Schaumwein zu „Elderflower Cordial“ oder „Hugo“ aufgegossen. Und Spritz muss sich nicht immer auf Aperol reimen. Schwer im Kommen ist „Limoncello-Spritz“, wo sich das Aroma von Amalfi-Zitronen mit venetischem Prosecco vermischt. Extravaganter: „Bergamottata“ mit kalabresischen Agrumen-Essenzen wird als Fashion-Drink der Saison gehandelt. Nicht zu vergessen der Klassiker „Kir Royal“, wo Schwarze Johannisbeere mit Cremant oder Champagner aufgegossen wird.

Wem das alles zu alkoholisch ist – ein Blick an die Waterkant: „Errötendes Mädchen“ kann, muss aber nicht zu Pudding gestockt werden, die Grundzutat kalte Buttermilch schmeckt auch pur mit Preisel- oder Himbeeren.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

pietropietro.de