Hoffmeisters Fundstücke
Faszinierendes Israel
Facetten eines Landes, über deren Menschen, Alltag und Kultur eher selten berichtet wird
Der 34-jährige israelische Dirigent Lahav Shani kann bereits auf eine bemerkenswerte Karriere zurückblicken. Der designierte Chefdirigent der Münchner Philharmoniker fungiert derzeit als Chef der Rotterdamer Philharmoniker, als Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra und gastiert überdies regelmäßig an den Pulten der weltbesten Orchester. Seit seinem Amtsantritt in Tel Aviv vor drei Jahren gelang es Shani, das Orchester zu verjüngen und zu eindrücklicher Spielkultur zu führen. Bereits 2019, als designierter Chef des Ensembles, dirigierte er ein denkwürdiges Konzert an der Seite von Piano-Legende Martha Argerich, das jetzt auf CD vorliegt. Mit Beethovens 2. Klavierkonzert op. 19 und Maurice Ravels Konzert in G-Dur präsentiert der Live-Mitschnitt höchst konträre Klangwelten. Zum einen das noch Mozart-Idiomen verpflichtete Beethoven-Konzert, zum anderen das reich kolorierte, rhythmisch verdichtete und mit Anleihen aus dem Jazz versehene Ravel-Konzert. Wieder einmal erweist sich Martha Argerich als spontan gestaltende, nach vorn preschende Solistin, die ebenso markiert wie formbewusst als auch eruptiv forcierend zu agieren weiß. Lahav Shani und das Orchester begegnen Argerichs unbedingter, funkelnd-konturierter Pianistik mit Beweglichkeit, idealtypischer Luzidität, Präzision und eminent subtiler Ausleuchtung der Farbwerte.
Zumindest in Deutschland wird das Thema Israel vornehmlich als nachrichtliches und als geschichtliches Sujet wahrgenommen. Wer die Begegnung sucht mit Menschen, Alltag und Kultur(en) des Landes, ist zumeist auf Nischenmedien oder einschlägige Lektüren angewiesen. Vor diesem Hintergrund begeben sich zunehmend mehr Menschen auf die Reise in das „gelobte Land“ – um mehr zu erfahren, um dort zu arbeiten oder: um zu bleiben. Der vorliegende Band versammelt 15 Geschichten von 15 Autoren mit Israel-Erfahrungen, mit Reflexionen, subjektiven und/oder autobiografischen Einlassungen, getragen von (kritischer) Empathie, Neugierde, Bibelexpertise und Glauben. Überblendet entlang der Texte werden Perspektiven jüdischer wie christlicher Provenienz, die Innen- und die Außensicht auf ein Land, das man erleben muss, um es zu verstehen: seine Vielfalt, seine Kontraste, Konflikte und seinen Status als Sehnsuchtsort. Der persönliche Blick der Autoren auf politische, kulturelle, historische und religiöse Themen erlaubt vielfältige Erkenntnisse jenseits des Nachrichten-Einmaleins. Insbesondere zwei Botschaften aus der Lektüre bleiben: Israel in spi riert und motiviert zur Reflexion des eigenen Glaubens, und es ist das einzige Land, in dem man die Bibel als Reiseführer nutzen kann.
Meron Mendel ist Wissenschaftler und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Vor zwei Jahrzehnten übersiedelte der Autor von Israel nach Deutschland. Seitdem verfolgt er deutsche Diskurse und Debatten über sein Heimatland und bezieht Stellung. Klar und ohne zu ideologisieren, faltet er die komplexe Sachlage hinter den deutsch-israelischen Beziehungen auf und analysiert die zumeist polarisierend zugespitzten Diskussionen zu unterschiedlichen Themenfeldern in den Medien ebenso wie in Teilen des politischen Spektrums, unter Landsleuten und Migranten. Dabei vertritt Mendel stets ausgewogene Positionen, die Verfehlungen auf beiden Seiten nicht ausblenden, aber immer wieder auch das Verbindende und notwendige Übereinkünfte ins Licht rücken. Offene Verwunderung bekundet Mendel über wachsenden Antisemitismus in Deutschland, einseitige Stellungnahmen und Berichterstattung zum Nahostkonflikt oder das Documenta-Desaster vom vergangenen Jahr. Die neue israelische Regierung unter Netanjahu stuft er als extremistisch und gefährlich ein, zeigt Verständnis für einige palästinensische Positionen, allerdings nicht ohne auch Vergehen und rhetorische Aggression der anderen Seite zu benennen. In der Hörbuchfassung des Textes entfaltet die sorgfältig und differenziert entwickelte Argumentation Mendels enorme Glaubwürdigkeit und Suggestivkraft.
Israel ein Paradies für Archäologen? Fraglos. Ein bemerkenswerter Bildband vermittelt eingehende und exklusive Einblicke in die vielgesichtige Historie des Landes, indem er wirkmächtige Luftaufnahmen Hunderter archäologischer Stätten zeigt. Gerahmt wird Duby Tals kuratierter Fotokosmos von sachkundigen Erläuterungen des britischen Archäologen Shimon Gibson.
- Lahav Shani: Ludwig van Beethoven/Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur, op. 19, Maurice Ravel/Klavierkonzert G-Dur, Israel Philharmonic, Martha Argerich, Avanti Classic, AVA 10662, CD
- Anna Müller: Warum uns Israel fasziniert. 15 Geschichten, SCM Hänssler, 192 S., 22 Euro, Buch
- Meron Mendel: Über Israel reden. Eine deutsche Debatte, Sprecher: Timo Weisschnur, Argon Verlag, 20,95 Euro, Hörbuch
- Duby Tal, Moni Haramati, Shimon Gibson: Israel von oben. Atemberaubende Luftaufnahmen zur biblischen Archäologie, SCM R. Brockhaus, 256 S., 35 Euro, Bildband
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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