TV-Kritik
Überraschende und abwechslungsreiche Krimiserie
Wer als Krimifan und Netflix-Kunde noch nicht auf die Serie "Lupin" gestoßen ist, hat etwas verpasst. Einschalten lohnt sich — eine TV-Kritik.
Es war wohl ein Schwanken zwischen Ablehnung und Bewunderung. Beispielhaft für die wechselhafte Beziehung zwischen England und Frankreich. Als der französische Schriftsteller Maurice Leblanc die Kunstfigur des Meisterdiebs Arsène Lupin erschuf, war sie das gewollte Gegenteil zum Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Frankreich gegen England. Dieses Duell prägte nicht nur Jahrhunderte in der Weltgeschichte, es fand literarisch auch bei Maurice Leblanc statt. Ein Roman über den Meisterdetektiv trägt den Namen "Arsène Lupin contre Herlock Sholmes". Aus rechtlichen Gründen konnte Leblanc die literarische Figur von Arthur Conan Doyle in seinem Roman nicht Sherlock Holmes nennen.
Anders als sein britischer Gegenpart Holmes ist der Name Lupin in der Welt wenigen ein Begriff. Während in Frankreich fast jedes Kind mit den Abenteuern des Meisterdiebs aufwächst, weiß man jenseits des Ärmelkanals nicht einmal, wie man Lupin schreibt. Diesen Umstand sollte man aber nicht nur den Briten anlasten, auch in Deutschland und Österreich hat Arsène Lupin es nicht zum Verkaufsschlager geschafft. Einige Geschichten sind bis heute nicht ins Deutsche übersetzt.
Das könnte sich jedoch nun ändern. Denn plötzlich ist der Name "Lupin" ein Begriff. Zu verdanken ist der Umstand dem Streamingdienst Netflix. Der hat eine Serie produziert, die eben jenen Namen trägt. Bereits zwei Staffeln sind verfügbar. Die Serie hat bereits jetzt weltweit Fans und ist so erfolgreich, dass Netflix derzeit die dritte Staffel dreht. Aber worum geht es in den ersten beiden Staffeln? Wer spielt mit? Und was hat die Serie mit den Meisterdiebgeschichten des Arsène Lupin zu tun?
Omar Sy schlüpft in die Rolle des Assane Diop, der sich zum Ziel gesetzt hat, den Namen seines inzwischen verstorbenen Vaters reinzuwaschen. Dieser saß einst im Gefängnis, weil er dem wohlhabenden Unternehmer Hubert Pellegrini, meisterhaft gespielt von Hervé Pierre, ein wertvolles und zugleich historisch äußerst bedeutsames Collier gestohlen haben soll. Im Gefängnis erhängt sich der senegalesische Einwanderer, nachdem alle Unschuldsbeteuerungen umsonst sind. Der 14-jährige Assane wird zum Waisen und schwört 25 Jahre später Rache. Er will alle zur Verantwortung ziehen, die einst für die Inhaftierung seines Vaters verantwortlich waren. Wie passend, dass er inzwischen als genialer Meisterdetektiv für Schlagzeilen sorgt, der Polizei immer mindestens einen Schritt voraus ist, und besagtes Collier nun wieder aufgetaucht ist, um versteigert zu werden. Mit Zuversicht und der nötigen Arroganz macht sich Assane Diop Schritt für Schritt ans Werk. Die Handlung nimmt dabei manche unerwartete Wendung, das Erzähltempo bleibt stets hoch.
Die Geschichte ist durchgehend spannend, wunderbar ausgeformt und liefert ein authentisches Spiegelbild der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse in Frankreich. Auf der einen Seite der wohlhabende weiße Unternehmer, bestens vernetzt in die höchsten Politik- und Polizeikreise, und auf der anderen Seite der dunkelhäutige Einwanderer, der noch immer Ressentiments ausgesetzt ist. So ungleich die Gegner auch erscheinen, so ebenbürtig sind sie. Assane Diop, überzeugend von Omar Sy dargestellt, der seit dem Kinofilm "Ziemlich beste Freunde" aus der französischen Filmwelt nicht mehr wegzudenken ist, ist nicht nur Hauptfigur der Serie, er ist auch die Verbindung zu den Meisterdieb-Geschichten des Arsène Lupin. Bereits als Kind hatte er diese begeistert gelesen und reicht die Bücher in der Serie seinem Sohn weiter. Lupin ist ein Gentleteman-Dieb, der nur jene bestiehlt, die auf fragwürdige Art und Weise zu Reichtum gekommen sind. Und noch eine Parallele zieht die Serie zwischen ihrem Hauptcharakter Assane Diop und dem Romanheld Arsène Lupin. Beide verabscheuen Gewalt und setzen diese nur in Notwehr ein. Somit lässt Netflix einen der charmantesten Meisterdiebe wiederauferstehen.
Wer auf rasante wie spannende Krimiserien steht, wird an "Lupin" seine wahre Freude haben. Das liegt nicht nur an der starken Besetzung, sondern zugleich an der gelungenen Inszenierung der Geschichte, für die sich Regisseur und Emmy-Gewinner Louis Leterrier verantwortlich zeigt. Anstatt vieler Klassiker, die meist an den Weihnachtsfeiertagen oder in den Tagen danach bis Neujahr ihr Revival feiern und bei denen man bereits jedes Wort mitsprechen kann, sollten Netflix-Kunden, die es noch nicht getan haben, sich lieber für "Lupin" entscheiden.
Copyright: Andreas Fischer
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