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Chemnitz neu entdecken

von Johann Michael Möller |
| Lesezeit: 3 Minuten

Im Kulturstadtjahr zeigen sich Chemnitz und das Erzgebirge jenseits aller Klischees. Ein neues Buch macht Lust, die Region mit freiem Blick und offenen Herzen zu besuchen.

Wieder ein Buch über „Chemnitz und das Erzgebirge“? Es wird nicht das letzte zu diesem Thema sein. Und doch kommen die „Streifzüge“ der beiden Autoren Klaus-Martin Bresgott und Johann Hinrich Claussen, deren reicher Ertrag jetzt im Monumente Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz erschienen ist, zur richtigen Zeit. In Chemnitz, dieser alten sächsischen Industriemetropole, die zu DDRZeiten auch mal zur Karl-Marx-Stadt umgetauft wurde, nimmt das Kulturstadtjahr 2025 gerade Fahrt auf. Doch viele Besucher, die es jetzt in diese Stadt und das nahe gelegene Erzgebirge zieht, können mit der Region immer noch nicht sehr viel anfangen. Räuchermännchen und Rechtsextremismus sind zu Unrecht ihr Markenzeichen geworden.

Zu Gast im Freiluftlabor

Chemnitz war lange die Pechmarie unter den sächsischen Metropolen. Während Leipzig schnell zu seiner alten Dynamik zurückfand und Dresden zum früheren Glanz der sächsischen Residenz, blieb Chemnitz lange mit dem Eindruck einer sterbenden Industrieregion verbunden, in der man vieles vermutete, nur keine Kultur. Ein grandioser Irrtum! Allein das prall gefüllte Programm des Kulturstadtjahres wird den Besucher eines Besseren belehren. Wer nach Chemnitz kommt, wird überrascht sein vom Selbstbewusstsein und Erneuerungswillen. Aber vielleicht hat man den Kulturstadttitel auch deshalb gewonnen, weil man eben nicht nur geschönte Bilder verbreiten wollte. Chemnitz präsentiert sich wie ein Freiluftlaboratorium, in dem alle Probleme des heutigen Wandels noch sichtbar sind. Was für eine Chance für die Kultur!

Doch wer glaubt, dass der Wanderzirkus der üblichen Eventkultur dort Einzug halten soll, täuscht sich ein weiteres Mal. Was sich in diesem Jahr an spektakulären Veranstaltungen ereignen wird, geschieht auf dem Resonanzboden einer alten Kulturregion. Das sichtbar zu machen, ist das eigentliche Verdienst dieses hier anzuzeigenden Buches. Die beiden Autoren vernähen die Geschichte der Region mit ihrem heutigen Anspruch. Und wem zum kulturellen Erbe nur der bekannte Karl-Marx-Kopf, der „Nischl“, einfällt, sollte ein paar Kilometer weiter fahren in die wiederauferstandene Bergbaustadt Freiberg. Dort im Freiberger Dom zu St. Marien wird man die grandiose Tulpenkanzel aus Por phyrtuff sehen; und über die Goldene Pforte des Doms schrieb der berühmte Georg Dehio: „… an Pracht selten, an innerem Adel niemals mehr überboten“. Gottfried Silbermann baute dort die erste seiner großen Orgeln. Und man begreift, warum eine Bevölkerung, die seit Generationen unter Tage schuftete, sich solche „Räume des Lichts und der Erhabenheit schuf“.

Heimat literarischer Querköpfe

Mitte der 80er Jahre habe ich den Freiberger Dom zum ersten Mal besucht. Und als die Reiseleiterin von Harry Tischs Freiem Deutschen Gewerkschaftsbund uns ungeduldig zur Eile drängte, stellte sich ihr eine junge Katechetin mit den Worten in den Weg: Hier, in diesem Haus Gottes, habe sie nichts verloren. Ein kleines Zeugnis jenes sächsischen Widerspruchsgeistes, der die Region bis zum heutigen Tag prägt.

Viele der großen Querköpfe der ostdeutschen Literatur stammen von dort: An Erich Loest erinnert die neu gebaute Bibliothek in Mittweida. Durch die Erde ein Riß, der Titel seiner Lebenserinnerungen, er bekommt vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen eine unvermutete Brisanz. „Wir haben einander gegenseitig überfordert“, schrieb 1991 der hellsichtige Reiner Kunze. Dann ist er doch wieder in seine alte Heimat nach Oelsnitz gezogen.

Was dieses Buch so wunderbar lesbar macht, ist der Wunsch, den es weckt, die Autoren auf ihren Streifzügen zu begleiten. Sie machen ihre Leser mit einer Landschaft vertraut, die es lohnt, sie wieder mit freiem Blick und offenem Herzen zu besuchen.


Klaus-Martin Bresgott, Johann Hinrich Claussen

Streifzüge durch Chemnitz und das Erzgebirge. Menschen – Bücher – Baudenkmäler

Monumente Publikationen 2025,

128 Seiten, 22,90 Euro

Johann Michael Möller

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