Im Fokus
von Matthias Schütt |
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WHO-Direktor Michel Zaffran zeigt sich im Interview überzeugt, dass trotz einer Finanzlücke die Kinderlähmung schon bald Geschichte sein wird.

Wie stehen die Chancen, die Polio-Kampagne bis 2023 erfolgreich abzuschließen?

Dank der Rotarier und ihrer Partner in der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) haben wir die Infektionen mit wilden Polioviren um 99 Prozent gesenkt. 1985 erkrankten jedes Jahr 350.000 Kinder in 125 Ländern an Kinderlähmung, heute sind es weniger als 200 Fälle im Jahr, und das nur noch in einer Region: dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. 99 Prozent reicht aber nicht. Wenn wir die Viren nicht komplett ausschalten, laufen wir Gefahr, dass die Krankheit weltweit zurückkehrt. Und jetzt die gute Nachricht: Wir haben alle Mittel und Strategien zur Hand, um bis 2023 zum Erfolg zu kommen.

Beeinträchtigt die Corona-Krise den Fortschritt der Polio-Kampagne?

Leider ja. Polio-Impfungen erfordern engen Kontakt von Mensch zu Mensch, und das steht diametral den Abstands-Empfehlungen entgegen, die für die Bekämpfung von Covid-19 notwendig sind. Deshalb haben wir die sehr schwierige Entscheidung getroffen, vorübergehend die Polio-Impfungen auszusetzen.

Nun müssen wir leider mit einem Anstieg der Polio-Fälle in den betroffenen Gebieten rechnen und auch mit einer Ausbreitung in andere Regionen. Deshalb ist es extrem wichtig, dass wir 1. unsere Polio-Überwachungsmaßnahmen so umfassend wie möglich weiterführen, und 2. so schnell wie möglich zum vorgesehenen Aktionsplan inklusive Impfungen zurückkehren. In der Zwischenzeit stellen wir in vielen Ländern die Polio-Infrastruktur – Personal, Labore, Logistik – uneingeschränkt zur Verfügung, um die nationalen Gesundheitssysteme für den Kampf gegen die Corona-Pandemie zu stärken.

Der bisherige Erfolg der Polio-Kampagne ist daran zu erkennen, dass die erwähnte afghanisch-pakistanische Grenzregion der einzige verbliebene Hotspot auf der Welt ist. Nun hat es in Pakistan im vergangenen Jahr einen deutlichen Rückschlag gegeben. Was kann die GPEI tun, um wieder in die Erfolgsspur zu finden?

Polio zu stoppen ist eigentlich eine geradlinige Aufgabe: Wenn du in einem bestimmten Gebiet genug Kinder geimpft hast, stirbt das Virus aus. Kompliziert wird es dort, wo Kinder übersehen werden, denn dann kann das Virus sich immer weiter verbreiten. Die Gründe, warum es immer noch Nischen mit vergessenen Kindern gibt, unterscheiden sich je nach Region. Ausschlaggebend dafür sind Faktoren wie Wanderbewegungen in der Bevölkerung, eine schwache Infrastruktur, fehlende Gesundheitsüberwachung, Widerstand gegen Impfungen, auch durch Fehlinformationen, und eine fragile politische Sicherheitslage. Was die Regierungen in beiden Ländern jetzt dagegen unternehmen, ist eine genaue Analyse der jeweiligen Schwachstellen, um passgenaue Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Die GPEI hat schon immer mit Finanzproblemen kämpfen müssen. Wie hoch ist derzeit die Lücke zwischen den benötigten und den vorhandenen Mitteln? Und wie können wir sie schließen?

Rotary International und die Rotarier sind unsere wichtigsten Fürsprecher, um von den Regierungen die notwendigen Mittel zu erhalten. Im November haben sich Rotarier mit hochrangigen Vertretern öffentlicher Institutionen sowie privater Einrichtungen aus aller Welt bei dem außergewöhnlichen „The Last Mile Forum“ in Abh Dhabi zusammengesetzt. Das Ergebnis: Die Weltgemeinschaft sichert der Polio-Kampagne Zuwendungen von 2,6 Milliarden US-Dollar zu – eine unglaubliche Demonstration internationaler Selbstverpflichtung! Der errechnete Bedarf der Kampagne liegt allerdings bei 3,27 Milliarden USD. Es kommt jetzt darauf an, diese Lücke auch wegen der beschriebenen Verzögerungen so schnell wie möglich zu schließen.

Erlauben Sie mir zum Schluss meinen rotarischen Freunden in Deutschland und Österreich zuzurufen: Bitte verdoppeln Sie Ihre Anstrengungen. Wir können ohne Sie nicht erfolgreich sein. Geben Sie bitte nicht auf, gerade in dieser kritischen Zeit!

Die Fragen stellte Matthias Schütt.


Zur Person

 

 

 

Der Franzose Michel Zaffran ist seit 2016 Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO für den Kampf gegen Polio und Vorsitzender der Strategiekommission der GPEI. Der Ingenieur und Fachmann für tropische Epidemiologie arbeitet seit 1987 für die WHO und ist Mitglied im Rotary Club Gex-Divonne.

 

 

 

Matthias Schütt

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