Rotary Aktuell
von Leonhard Dihlmann |
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Hasso Herschel floh aus der DDR in die Bundesrepublik. Der Fluchttunnel unter der Berliner Mauer, an dessen Bau er maßgeblich beteiligt war, wurde weltbekannt. Und er konnte vielen anderen zur Flucht verhelfen.

29 Menschen konnten im September 1962 bei der bis dahin größten Massenflucht aus der DDR fliehen. Insgesamt verhalf Herschel rund 1.000 Menschen zur Flucht über die innerdeutsche Grenze – so vielen, wie kein anderer Fluchthelfer.

Hasso Herschel wurde 1935 in Dresden geboren. Das repressive, sozialistische System der DDR lehnte er ab. Nach der Teilnahme an Demonstrationen während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 wurde er für mehrere Wochen inhaftiert. Später verkaufte Herschel ostdeutsche Waren in den Westen. Dafür wurde er in der DDR zu sechs Jahren Haft verurteilt. 1960 kam er nach viereinhalb Jahren im Gefängnis frei.

Am 13. August 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet. Mithilfe eines Schweizer Passes gelang ihm wenige Monate später die Flucht nach West-Berlin. Dort angekommen, suchte er nach einer Möglichkeit, seine Schwester und deren Tochter in den Westen zu holen.

Herschel lernte eine Studentengruppe um Joachim Rudolph und die beiden Italiener "Mimmo" Sesta und "Gigi" Spina kennen. Die Gruppe plante, einen Tunnel unter der Mauer hindurchzugraben, ebenfalls um Verwandte und Freunde in den Westen zu holen. Herschel schloss sich den Männern an.

Vom Keller einer auf der Westseite der Mauer gelegenen Fabrik an der Bernauer Straße ausgehend, begannen sie, Tag und Nacht zu graben. Mindestens 30 Männer waren insgesamt an dem riskanten Vorhaben beteiligt. Neben dem möglichen Einsturz des Tunnels bestand immer die Gefahr, an die Stasi verraten zu werden.

Nach monatelangen Grabungen war der rund 130 Meter lange Tunnel im September 1962 fertig: 29 Menschen gelang die unterirdische Flucht, darunter auch Herschels Schwester mit ihrer kleinen Tochter.

Besonders an dieser Flucht war die Dokumentation: Einige der Tunnelgräber hatten die Filmrechte an den Grabungen und der Flucht für 50.000 D-Mark an den US-amerikanischen Sender NBC verkauft. Mehrere Kameramänner begleiteten den Tunnelbau und hielten schließlich fest, wie die Fluchthelfer ihre Familienangehörigen in die Arme schlossen. Der Dokumentarfilm wurde zum Welterfolg, der sogar US-Präsident Kennedy zu Tränen gerührt haben soll.

Obwohl Herschel sein Ziel, die eigene Familie zusammenzuführen, erreicht hatte, betätigte er sich auch danach als Fluchthelfer. Dabei blieb der Tunnelbau nicht die einzige Methode: Gemeinsam mit Burkhard Veigel baute er einen Cadillac DeVille um, sodass hinter dem Armaturenbrett genug Platz war, um einen Menschen zu verstecken.Auch ein Hubschrauber und falsche Pässe wurden als Fluchtmittel verwendet.

Insgesamt verhalf Herschel rund 1.000 Menschen zur Flucht aus der SED-Diktatur. Kein anderer Fluchthelfer war gemessen an der Anzahl unterstützter Geflüchteter erfolgreicher als er.

1971 beteiligte er sich am Bau eines weiteren Tunnels. Das Unternehmen wurde jedoch vor der Fertigstellung verraten und schließlich von der Stasi zugeschüttet. Jahrzehnte später wurde der Tunnel wiederentdeckt und mithilfe eines Besuchertunnels zugänglich gemacht.

Die ursprünglich persönlich und idealistisch motivierte Fluchthilfe drohte mit der Zeit zunehmend in Verruf zu geraten: Während Herschel Geld annahm, um die entstehenden Kosten zu decken, boten kommerzielle Fluchthelfer ihre Dienste gegen teils hohe Bezahlung an. Einige vermeintliche Fluchthelfer entpuppten sich sogar als Betrüger.

Die Anzahl der Menschen, die die Berliner Mauer während ihres Bestehens zwischen 1961 und 1989 zu überwinden versuchten, ist nicht bekannt. 5.075 Menschen gelang die lebensgefährliche Flucht. Mindestens 140 Menschen wurden beim Versuch, die innerdeutsche Grenze zu überqueren, getötet. Viele weitere wurden zum Teil schwer verletzt oder in der DDR zu langen Haftstrafen verurteilt.

Hasso Herschel betrieb später mehrere Restaurants in Berlin. 2012 wurde er gemeinsam mit 14 weiteren Fluchthelfern mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Heute lebt der 90-Jährige in der Uckermark.

Leonhard Dihlmann

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