Kolumne Peter
von Peter Peter |
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„Man nehme …“ – das war einmal. Omas Koch- und Backbücher haben ausgedient. Heute sind Apps und Anregungen von Influencern und Star-Köchen gefragt.

Kulinarische Emanzipation: Früher haben wir Rezepte gerne Kochvorschriften genannt und sie teilweise sklavisch befolgt. Im heutigen Kochalltag sind die Ideen, die uns das Netz liefert, erst einmal als Anregung gefragt. Mal schnell durchzappen, wenn wir einen pfiffigen Vorschlag suchen, wie wir aus Resten im Kühlschrank Spannendes zaubern können. Während unsere Omas nachblätterten, wie Leipziger Allerlei oder Sauce hollandaise geht, sich also meist schon vorher für eine Speise entschieden hatten, stehen heute Millionen von Optionen im Aufmerksamkeitswettbewerb der User. Meist voten wir mit unseren Augen, entscheiden spontan anhand von Food-Fotos, was wir gerade zubereiten wollen. Es gibt die Followerküche, die Lieblingsbloggern oder Influencerinnen vertraut, es gibt die angesagten Video-Reels von Instagram und die kundenbindenden Rezepte-Apps der Supermärkte wie „Frisch gekocht“ von Billa (Österreich). Wenn ich wissen will, wie lange eine Ente gebacken wird, google ich einfach. Die durchfotografierten Arbeitsschritte empfinden nicht nur Studenten, die zum ersten Mal selbst am Herd stehen, als Erleichterung. Praktisches Problem: Wie schütze ich meinen aufgeklappten Laptop, dass er keine Fettspritzer abbekommt? Und kann ich mit dem sauberen kleinen Finger die Tastatur bedienen, wenn der Rest der Hand eingemehlt ist?

Was bedeutet diese Flexibilität für die Kochbücher, die sich bei uns angesammelt haben? Koche ich noch nach den freudlos aufgemachten Klassikern, wenn mein Thermomix zwischen Tausenden einprogrammierten Rezepten wählen kann? Und die gehefteten Sammlungen, die uns erzählen, dass auf Pizza Dosentomaten geschüttet werden und man Auberginen essen kann? Es ergibt Sinn, Kochbücher wegzugeben, in die man ewig nicht mehr geschaut hat, die auf dem Küchenschrank vergilben. Gebrauchstexte, die man meist nicht mehr braucht – vielleicht staunt ja ein junger Zufallsfinder über ein Vintagerezept wie Krautwickel.

Kollateraleffekt: Der aktuelle Kochbuchmarkt boomt. Wir tauschen unsere Rezepte gegen modischere aus, wie frau den Inhalt des Kleiderschranks gegen modernere Schnitte auswechselt. Unsere Ansprüche an kulinarische Lektüre sind gewachsen. Wir wollen jetzt wissen, wie die Influencerin oder der TV-Koch persönlich tickt, die da ihre Kochgeheimnisse teilen. Wir wollen, angeregt durch professionelles Foto-Layout, lieber eine Gaumenreise genießen, als brav zu üben, wie man Tradition nachkocht.

Heutige Kochbücher leben vom Narrativ, sie wollen eine Philosophie oder Geistesrichtung gastronomisch transportieren. So sprechen sie auch neue, weniger praxisorientierte Käuferschichten an. Passenderweise boomt der Markt mit kulinarischen Reisebüchern, ein bahnbrechender Erfolg war ein Titel wie Ottolenghis Jerusalem. Wie man vom virtuellen „armchair traveling“ spricht, so könnte man analog den Begriff „armchair tasting“ prägen. Wir träumen uns mit unseren Geschmacksnerven in fremde Genusswelten, die unsere Fantasie anregen, und kochen im Durchschnitt kaum mehr als zwei oder drei Rezepte nach. Dann kaufen wir flugs das nächste „cookery book“ und entsorgen dafür ein gelesenes.

Kurzum, das neue Kochbuch ist journalisch und emotional. Es setzt auf Neugierde, auf ungewöhnliche Kombinationen. Freude am Kochen!

Natürlich werden ein paar Longseller sich weiterhin etablieren, etwa Marcella Hazans abbildungsfreie Italienische Küche. Aber letzen Endes ist dieses frische kulturell aufgeladene Buchkonzept die wertige Antwort auf die unendliche Konkurrenz der anklickbaren Rezepte (samt Werbungswust), die unseren Kochalltag immer mehr dominiert und bereichert.

Peter Peter

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