Hoffmeisters Empfehlungen
von Martin Hoffmeister |
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Kulturelle Angebote rangieren beim Publikum irgendwo zwischen existenzieller Notwendigkeit, indifferentem Gewohnheitsinteresse und überbewerteter Bespielung

Auf jeden Fall gilt: Wer sich ins Museum, Konzert, Theater, Kino oder zu Lesungen begibt, trifft die Wahl zwischen zeitgeistigen künstlerischen Vakua und Simulationen, ideologischer Übergriffigkeit oder den grundlegend-zeitlosen Korrektiven expertisege­sättigten Kunstschaffens. Aber: Wer das Haus verlässt, wird nicht unbedingt zum Menschenfreund – eine Erfahrung, die seit Jahrhunderten greift, sich in diesen Tagen aufgeregt-verwirrten Miteinanders allerdings besonders aufdrängt. Bereits Molières Komödie "Der Menschenfeind" (1666) spiegelt in bestechender Klarheit und Zuspitzung die Zumutungen gesellschaftlicher Verfehlungen. Als aufrichtiger Einzelner in einem Umfeld der Lügen, Falschheiten, Intrigen, überdrehten Inszenierungen und Worthülsen gerät Molières Protagonist Alceste ins Abseits. Radikalität des Widerspruchs und Kraft der Wahrhaftigkeit schützen den Außenseiter hingegen nicht vor emotionalem Versagen. Er verliebt sich in die zynisch-ironische
Célimène. Molières Bühnenstück reflektiert und spiegelt das Leben am Hofe Ludwigs XIV. Kapriziöse Heuchler, aufgedrehte Narzissten und ein Hofstaat von Opportunisten – man kennt das "Personal".

Dmitri Schostakowitsch als Operettenkomponist? Eine Reise nach Graz gewährt Aufschluss über die 1959 in Moskau uraufgeführte Komödie "Moskau, Tscherjomuschki". Die gleichnamige Vorzeigesiedlung ("Kirschgarten") der Metropole versprach insbesondere jüngeren Generationen der Chruschtschow-Ära bevorzugtes Wohnen. Ein Irrtum. Vor diesem Hintergrund traf Schostakowitschs Satire über Wohnungsnot, Bürokratismus, Korruption und Vetternwirtschaft den Nerv der Zeit. Mit Tempo, beißender Ironie und verdichteten musikalischen Volten, die Zitate aus Werken von Zeitgenossen ebenso integrieren wie Schlager, Volkslieder und Persiflagen eigener Werke, fokussiert der Komponist auf die gesellschaftlichen und politischen Missstände. Durch den Abend führt mit Witz und bezwingendem Charme Late-Night-Legende Harald Schmidt.

Zu den bedeutendsten Meistern mitteldeutscher Provenienz zählt der in Bad Köstritz geborene Heinrich Schütz. Nach seinem Tod vergessen, erleben seine Werke heute globale Bühnenpräsenz, insbesondere die Madrigale und geistlichen Chorwerke. Das Heinrich Schütz Musikfest gastiert alljährlich mit rund 50 Veranstaltungen an wichtigen Wirkungsstätten des Komponisten wie Dresden, Gera, Bad Köstritz, Weißenfels und Zeitz. Die Ausgabe 2025 präsentiert einmal mehr international renommierte Ensembles wie die Cappella de la Torre, Hamburger Ratsmusik, Windsbacher Knabenchor, Gewandhauschor oder das Ensemble Ælbgut. Die Konzerte werden gerahmt von Gottesdiensten, Ausstellungen, Lesungen und Vorträgen.

Über sieben Jahrzehnte umfasst das Schaffen der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama. In Kooperation mit dem Atelier der Ikone zeigt die Fondation Beyeler neben bekannten Werken wie den Infinity Mirror Rooms Malerei, Skulpturen, Zeichnungen, Collagen, Live-Performances und Arbeiten, die in Europa zuvor nicht ausgestellt wurden. Vor allem Kusamas stilprägendes Polka-Dots-Œuvre lässt die Retrospektive zu einem Monument psychedelischer Wahrnehmungsdimension erwachsen.


Die Oktober-Tipps:

  • Der Menschenfeind, Komödie von Molière, Regie: Sebastian Baumgarten, Düsseldorfer Schauspielhaus, Premiere am 25.10.25, dhaus.de
  • Dmitri Schostakowitsch: Moskau, Tscherjomuschki, Oper Graz, Premiere: 4.10.25, oper-graz.buehnen-graz.com
  • Heinrich Schütz Musikfest: "Weltsichten. Zwischen den Zeiten", 2.10.–12.10.25, schuetz-musikfest.de
  • Yayoi Kusama, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, 12.10.25 bis 25.1.26, fondationbeyeler.ch
Martin Hoffmeister

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