Standpunkt
von Anke Schewe |
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Rotary Clubs haben das Recht auf Transparenz und Mitbestimmung, wenn es um die Wahl des Governors geht – auch wenn dafür tiefgreifende Veränderungen nötig sind.

Was nimmt man sich nicht alles vor, wenn man gerade zum Governor nominiert wurde? In diesem Moment macht man sich auch noch keine Gedanken darüber, von wem man gewählt wurde und unter welchen Umständen. Zwei Jahre später hat einer meiner AssistantGovernors anerkennend zu mir gesagt, ich hätte als Governorin „keinen Stein auf dem anderen“ gelassen und „jeden einzelnen umgedreht“. Tatsächlich habe ich den gesamten Distrikt, vor allem aber die langjährigen Führungs- und Entscheidungsstrukturen durch mein MRT geschickt und sichtbar gemacht. Letztlich ist auch hierdurch aus meinen ursprünglichen Zielen ein Change geworden.

Die Versuchung, Hinterzimmer-Entscheidungen zu treffen, ist aus meiner Sicht bei einer Governorwahl am größten. Der mit Governor-Funktionsträgern besetzte Nominierungsausschuss ist naturgemäß an einer Kontinuität in der Distriktpolitik interessiert. Dies kann leicht dazu führen, dass das Vorrecht der Clubs, Kandidaten zu benennen, aus dem Blickfeld gerät. So wird häufig ein interner Kandidat gesucht, der nicht im Wettbewerb mit Clubkandidaten steht, sondern bereits vorab als Wunschkandidat eines Governors oder des Nominierungsausschusses feststeht. Diese Doppelbödigkeit entspricht nicht mehr unserem heutigen demokratischen Verständnis.

Neuer Nominierungsausschuss etabliert

Kurz vor Antritt meines Governoramtes bin ich zu dem Entschluss gekommen, eine Disruption zu wagen und neue Wege zu gehen. Mehr intuitiv war mir aber auch klar, dass ein solch tiefgreifender Veränderungsprozess nur möglich ist, wenn man genügend Unterstützer hat. Und hierzu gehören vor allem die Clubs und die Rotarier.

Aus Überzeugung habe ich im Distriktbeirat eine konsequente Rotation durchgeführt, die Zahl der Assistant Governors von sechs auf zehn erhöht und Letztere aktiv so gestärkt, dass sie ihre von Rotary International vorgesehene Funktion und Verantwortung mit großem Selbstbewusstsein wahrnehmen konnten.

Mit den Clubs wollte ich als Governorin auf Augenhöhe ins Gespräch kommen und keinen Beauty-Contest veranstalten. Mir war wichtig zu erfahren, was unsere rotarischen Freunde in den Clubs individuell wirklich bewegt und wie wir vom Distrikt aus unterstützen können. Mein Führungsteam und ich hatten die Hoffnung, auf diese Weise die Bindekräfte der Clubs untereinander und zum Distrikt zu stärken. Hierzu haben letztlich auch unsere rund 200 vom Distrikt veranstalteten Online-Meetings im Coronajahr beigetragen.

Beim Thema Governorwahl kann man gut erkennen, was eingefahrene Gleise sind. Alle 15 deutschen Distrikte haben einen Nominierungsausschuss eingerichtet, der Clubvorschläge entgegennimmt, aber auch das Recht hat, einen eigenen internen Kandidaten einzubringen. Dieses eigene Vorschlagsrecht des Nominierungsausschusses kann als Korrektiv dienen. Es kann aber auch dazu benutzt werden, ohne Ansehen der von Rotary International im Wahlverfahren gewollten Clubvorschläge von vornherein einen internen Kandidaten zu präjudizieren.

Der Wissensstand über die Governorwahl in unserem Distrikt war zu Beginn des rotarischen Jahres 2020/21 noch sehr gering. Trotzdem ergab eine Umfrage, dass nicht einmal die Hälfte aller Rotarier mit dem bisherigen Wahlverfahren (Nominierungsausschuss bestehend aus fünf Past-Governors, dem Governor, dem Elect und dem Nominee) zufrieden war. 30 Prozent der Jüngeren sympathisierten mit der Direktwahl.

Im Nachgang zur Umfrage fand eine distriktweite Kommunikation und teils sehr kontroverse Diskussion zum Thema Governorwahl statt.

Zur Distriktkonferenz lagen von unseren Clubs zwei Anträge zur Neuordnung vor: Neubesetzung des Nominierungsausschusses mit nur drei Past-Governors und vier Clubvertretern sowie Direktwahl durch Abstimmung in den Clubs. Mit einer Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent entschieden sich unsere Clubs mit großer Mehrheit (63,29 Prozent der Elektorenstimmen) für den neuen Nominierungsausschuss. 13,29 Prozent entfielen auf die Direktwahl und nur 23,42 Prozent wollten, dass alles so bleibt, wie es ist.

Die Erneuerung der Governorwahl am Ende des rotarischen Jahres 2020/21 war aus meiner Sicht ein klares Zeichen für mehr Teilhabe und mehr Transparenz. Wenn wir Rotary zukunfts fähig ausrichten wollen, müssen wir uns den Wünschen der jüngeren Generation anpassen. Was uns der Soziologe und Serviceclub-Experte Sebastian Gradinger empfiehlt, wird von Rotaract unter anderem bei der Wahl bereits in großem Umfang vorgelebt.

Diskutieren Sie mit und beteiligen Sie sich an unserer Meinungsumfrage zu diesem Standpunkt: rotary.de/#umfrage

Anke Schewe

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