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Berlin

Sprechstunde in der Turnhalle

Die Ärztin Pia Skarabis-Querfeld (RC Berlin-Tiergarten) baut ehrenamtlich ein medizinisches Hilfsnetzwerk für Flüchtlinge in Berlin auf

Matthias Schütt01.08.2015

Eigentlich hatte sich Pia Skarabis-Querfeld zum Weihnachtsfest im vergangenen Jahr auf ein paar ruhige Tage mit der Familie gefreut. Doch dann erreichte am Tag vor Heiligabend das Flüchtlingselend ihre Nachbarschaft im Berliner Stadtteil Dahlem. Für die Ärztin und ihren Mann, ebenfalls Mediziner, war es keine Frage, sich ehrenamtlich um die Betreuung der 200 Gäste aus Syrien, Afghanistan, Irak und dem Balkan zu kümmern, die zunächst in einer Turnhalle der Freien Universität unterkamen.

Was die beiden dort sahen und was sie seither umtreibt, ist die schlechte gesundheitliche Verfassung vieler Flüchtlinge. Sie werden zwar trotz aller Zwänge menschenwürdig untergebracht, die gesundheitliche Versorgung jedoch ist in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten unzureichend. „Dabei wird ihnen bei Notfällen und lebensbedrohlichen Erkrankungen zwar keine Hilfe vorenthalten“, erklärt Skarabis-Querfeld, „die bürokratischen Hürden aber, um zum Arzt zu kommen, sind so hoch, dass viele daran scheitern. Sie können sich ja oft nicht einmal verständlich machen. Wer hat schon immer einen Übersetzer zur Seite?“

Sie spielt damit auf das Berliner Verfahren an, Flüchtlingen nur auf Antrag einen Krankenschein auszustellen. Sie müssen dafür zum Beginn des Quartals beim Landesamt für Gesundheit und Soziales vorsprechen. Beim ersten Arztbesuch wird der Schein einbehalten, und um Überweisungen zu erbitten, muss man das Verfahren kennen – und die Sprache. In Hamburg und Bremen erhält jeder Asylbewerber eine elektronische Gesundheitskarte, berichtete kürzlich der Stern in einer Reportage über die Initiative in Dahlem. Damit ist nicht nur die medizinische Versorgung gewährleistet, sondern die Städte sparen sogar, weil das aufwendige Prüfverfahren der Anträge entfällt.


Ärztin der Berliner Philharmoniker
Sie sei vielseitig interessiert und schnell für neue Ideen zu begeistern, erklärt Skarabis-Querfeld ihre Bereitschaft, über die Erstversorgung hinaus ein ganzes medizinisches Hilfsnetzwerk für Flüchtlinge im Stadtteil Steglitz-Zehlendorf aufzuziehen. Schon als Jugendliche war sie in der Kirche engagiert, heute arbeitet sie im Vorstand des Fördervereins ihrer Dahlemer Gemeinde. In der Medizin ist sie eigentlich auf einem ganz anderen Feld zu Hause: Als Sportärztin und Chirotherapeutin begann sie sich nach einer eigenen Schulterverletzung frühzeitig auf manuelle Therapien zu spezialisieren. Vor 20 Jahren war die Kombination Schulmedizin mit Chirotherapie, Akupunktur und speziellen Muskeltechniken noch so neu, dass ihre Praxis vom ersten Tag an überlaufen war. Von ihrem Know-how profitieren zum Beispiel Musiker, die oft berufstypische Belastungssyndrome entwickeln. „Aus der Arbeit mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker ergab sich dann die Gelegenheit, das Orchester auf Auslandstourneen als Ärztin zu begleiten, was ich sechs Jahre lang sehr gerne getan habe“, erinnert sie sich. In ihrem Buch „Der gesunde Musiker“ hat sie unter anderem Trainingsprogramme für Musiker in den einzelnen Instrumentengruppen entwickelt.

Ihr aktuelles Projekt erfordert vor allem Zeit und Organisationstalent. Schon beim ersten Besuch in der Turnhalle hatte Skarabis-Querfeld zehn kranke Kinder entdeckt, die sofort behandelt werden mussten. Sich hier zu engagieren ist für sie nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, sondern auch der Prävention. Die Masernepidemie, die Berlin ins Gerede gebracht hat, ist nämlich keineswegs nur deshalb entstanden, weil ein bestimmtes Milieu Impfungen grundsätzlich ablehnt, sondern auch weil Flüchtlinge bei ihrer Ankunft nicht aufmerksam genug untersucht und geimpft wurden. Sonst hätte sich der ursprünglich aus dem Balkan eingeschleppte Erreger nicht so rapide unter Flüchtlingen und danach in der Bevölkerung verbreiten können.


Ärzte und Helfer Gesucht
Neben der Sprechstunde organisierte sie mit mehreren Kollegen auch Spenden für Medikamente sowie eine Impfaktion für 300 Menschen. Die dafür benötigten 8000 Euro wurden aus Spenden vorgeschossen und werden jetzt vom Land Berlin zurückerstattet. Außerdem führt sie eine Liste mit Ärzten, zu denen sie akut erkrankte Flüchtlinge schicken kann. Probleme bereitet vor allem die Koordination der Hilfe. Sie sucht deshalb nicht nur weitere Ärzte, sondern auch nichtmedizinische Helfer, die zum Beispiel bei den Sprechstunden assistieren können.

Das Problem der Übersetzungen ist inzwischen etwas kleiner, weil auf der Website der Initiative www.medizin-hilft-fluechtlingen.de Mustertexte in verschiedenen Sprachen zum Download bereitstehen, unter anderem in Arabisch, Dari und Serbokroatisch. „Wir finden übrigens sehr viel Sympathie und Unterstützung in der Öffentlichkeit“, freut sich Skarabis-Querfeld, wozu auch ihr Rotary Club gehört. Aus rotarischem Umfeld wurden inzwischen sogar fünf Wohnungen für syrische Familien bereitgestellt. Auf dem normalen Wohnungsmarkt hätten sie keine Chance gehabt. 


 Zur Person:

Pia Skarabis-Querfeld wurde 1967 in Berlin geboren. Sie ist verheiratet mit Prof. Uwe Querfeld (RC Berlin-Mitte) und Mutter zweier Söhne. Das Abitur legte sie bereits mit 17 ab. Sie studierte von 1985 bis 1992 Medizin an der Freien Universität Berlin. Ein Forschungssemester führte sie nach Boston in die USA. Nach der Approbation folgten erste Berufsjahre im Deutschen Herzzentrum Berlin; Weiterbildung zur Sportmedizinerin und Ausbildung zur Chirotherapeutin. 1995 Promotion zum Dr. med. 1996 eröffnete sie eine sportärztliche Privatpraxis mit derzeit acht Mitarbeitern. Von 2000 bis 2006 begleitete sie die Berliner Philharmoniker auf ihren Auslandsreisen.

 

 

 

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.