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Aus Lüneburg zum Polio-Einsatz in Indien

»Sie sind so dankbar, dass wir kommen«

Hannelore Krome ist Präsidentin des 2010 gecharterten RC Lüneburg-Hanse. Die ehemalige Gymnasiallehrerin ist heute als freiberufliche Dozentin tätig und viel auf Reisen. Ihr jüngster Trip war ein Abenteuer besonderer Art: Sie fuhr mit einer Gruppe holländischer Rotarier zueinem Nationalen Impftag (NID) der Polio-Kampagne nach Indien. Nach ihrer Rückkehr befragten wir sie zu Eindrücken und Erlebnissen

Matthias Schütt14.05.2012

Rotary Magazin: Freundin Krome, wie kam es zu Ihrer Initiative, an einem Polio-Impftag in Indien teilzunehmen?

Krome: Die Vorstellung, dass es uns gelingen kann, die Kinderlähmung endgültig zu besiegen, finde ich nach wie vor faszinierend. Dazu möchte ich meinen Teil beitragen. Im vergangenen Jahr auf der Rotary Convention in New Orleans war die Gelegenheit plötzlich da: Man konnte sich an einem Polio-Infostand als freiwilliger Impfhelfer eintragen. Über Rotary International habe ich danach erfahren, dass solche Reisen dezentral von Rotariern auf Distriktebene geplant werden. Aus einer mitgeschickten Liste mit Ansprechpartnern habe ich dann im Dezember mit einer holländischen Gruppe Kontakt aufgenommen.

Wie sahen Ihre Vorbereitungen aus?
Nachdem ich schon am Telefon von Past-Gov. Albertine Perre-Bulder vom Distrikt 1570 zum nächsten NID im Februar eingeladen worden war, fuhr ich im Januar zu einem Vorbereitungsseminar nach Utrecht, wo ich sehr herzlich aufgenommen wurde. Da ich viel in der Welt unterwegs bin, ist mein Impfpass immer aktuell, sodass wir am 17. Februar ohne Weiteres von Amsterdam aus nach Neu-Delhi aufbrechen konnten. Wir waren 16 Rotarier und insgesamt zehn Tage in Uttar Pradesh unterwegs.

Wie lief der Aufenthalt konkret ab?
Ich war schon einmal mehrere Monate in Indien und wusste ungefähr, was mich erwartet. Obwohl unser Reiseziel nur wenige Autostunden von Neu-Delhi entfernt lag, haben wir Indien in seiner nach wie vor großen Armut erlebt. Unser erster Einsatz erfolgte in der Stadt Bijnor, wo wir in Vierer-Teams und in Begleitung lokaler Rotarier an mehreren Stellen der Stadt und im Umland Impfungen vorgenommen haben. Dies lief nicht immer gut organisiert ab. Kaum war unser Van angekommen, waren wir von Menschentrauben umstellt, Kinder bettelten um Geschenke, alle stürzten sich auf uns, sodass es nicht einfach war, in dem Chaos die Impflinge auszumachen. Trotzdem hat mein Team innerhalb von vier Stunden sicherlich hundert Kinder impfen können.

Was genau mussten Sie tun?
Die Kinder wurden uns von ihren Eltern oder älteren Geschwis­tern gebracht und erhielten die zwei Tropfen in den Mund. Dann wurde der kleine Finger markiert und ein kleines Stofftier als Belohnung überreicht. Am folgenden Tag haben wir in einem sehr armen Viertel Haus-zu-Haus-Impfungen durchgeführt, um auch die Kinder zu erreichen, die am NID nicht erschienen sind. In der wesentlich größeren Stadt Moradabad war der Ablauf ähnlich, wobei wir hier zwei Muslima in Burka als Begleitung hatten, ohne die wir im islamischen Viertel keinen Zugang in die Wohnungen gefunden hätten.  

Wie wurden Sie von den Bewohnern aufgenommen?
Die Menschen waren sehr aufgeschlossen. Sie haben ja täglich vor Augen, welche furchtbaren Schäden die Kinderlähmung anrichtet.

Was haben Sie außer diesen Einsätzen noch erlebt?
Wir waren in mehreren Rotary Clubs zu Gast und haben auch am sogenannten „Polio-Summit“ am 25. Februar in Neu-Delhi mit dem indischen Regierungschef Manmohan Singh und Präsident RI Kalyan Banerjee teilgenommen. Außerdem hatten die Holländer 10.000 Euro an Spenden mitgebracht und übergaben dafür Rollstühle und Spezialfahrräder an Polio-Opfer. Es war sehr bewegend zu erleben, wie Kinder und Erwachsene, die sich zum Teil nur auf allen Vieren fortbewegen konnten, damit ein gewisses Maß an Mobilität und Unabhängigkeit erhalten. Beeindruckend war auch der Besuch des von Deutschland geförderten St. Stephen Hospitals in Neu-Delhi, wo uns Dr. Varghese die (eingeschränkten) Therapiemöglichkeiten von Polio-Opfern vor Augen führte. Neben dem Besuch einiger NGOs blieb dann auch noch Zeit für einen touristischen Abstecher zum Taj Mahal in Agra.

Und Ihr Fazit, nachdem die Reise ein wenig zurückliegt?
Ich hatte zunächst erwartet, dass wir jeden Tag mit den Impfteams losziehen. Dass unsere Einsätze – bedingt durch die Vorgaben der indischen Regierung – insgesamt zeitlich überschaubar waren, fand ich deshalb zunächst enttäuschend. Dann aber wurde uns bewusst, dass es bei unserem Auftritt nicht in erster Linie auf die Zahl der Impfungen ankam. Wichtig war die Publicity: dass 16 Menschen von weit her anreisen, um den Bewohnern auch in den ärmsten Gegenden zu helfen. Das macht in der Bevölkerung starken Eindruck und gibt der Kampagne den nötigen Rückhalt. Allerdings: Wenn Sie sehen, in welcher Armut viele Inder immer noch leben müssen, wünscht man sich, dass die Polio-Kampagne eingebettet wäre in umfassendere Maßnahmen zur Verbesserung von Gesundheitsvorsorge und Lebensbedingungen.  

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.