Rotary Aktuell
Aus Not wird Hoffnung

ShelterBox hilft seit 25 Jahren Menschen, die aufgrund von Katastrophen und Konflikten ihr Zuhause verloren haben. Die Betroffenen erhalten so eine Chance auf einen Neuanfang. Rotary spielt als Partner eine ganz wichtige Rolle. Das Rotary Magazin war beim Vorbereitungstraining für Hilfseinsätze dabei.
Trainingszentrum

Jede Minute zählt. So schnell wie möglich versucht Christian Biernath-Wüpping, das Ausmaß der Katastrophe zu erfassen. Wer von den verletzten Menschen benötigt zuerst Hilfe? Das ist eine der nun entscheidenden Fragen. Seine Verantwortung ist groß. Ihm wurde gerade die Rolle des sogenannten Helikopters von einer Kollegin übertragen. Dies ist die Bezeichnung für die Person, die beim Einsatzvorbereitungstraining von ShelterBox die Reaktion auf Erste-Hilfe-Szenarien koordiniert. Er muss schauen, wer aus seinem Team, sie sind zu fünft, welchen Job übernehmen kann. Zugleich muss er den Kontakt zur Einsatzzentrale beziehungsweise zum Notruf herstellen. Er steht unter Stress, spürt Druck – nicht ahnend, dass dieser in den kommenden Tagen noch zunehmen wird.

Die Einsatzzentrale benötigt von mir so schnell wie möglich alle relevanten Informationen“, berichtet er. Wie viele Verletzte gibt es? Wie schwer sind die Verletzungen? Bei diesem Szenario haben es Christian Biernath-Wüpping und sein Team mit einem großen Unfall bei Waldarbeiten zu tun. Sie trainieren in Cornwall sieben Tage lang alle möglichen Ernstfälle. Auch solche, die mit dem eigentlich Einsatz nichts zu tun haben, aber auftreten könnten. Biernath-Wüpping ist der einzige Deutsche bei diesem Pre-Deployment-Training. Der 34-jährige Rotarier, Mitglied im Rotary Club Hamburg-International, ist bereits Botschafter für ShelterBox, hält Vorträge bei Rotary Clubs über die Arbeit und die Einsätze von ShelterBox und sammelt Spenden. Nun möchte er selbst bei einer der nächsten Katastropheneinsätze helfen. Die Grundvoraussetzung dafür ist, zuvor ein Training absolviert zu haben. Er bringt wertvolles Wissen aus seiner ehrenamtlichen Arbeit beim Technischen Hilfswerk Hamburg-Nord mit – und lernt doch viel Neues. Später zum Beispiel, dass es besser gewesen wäre, sich komplett angezogen ins Bett zu legen. Als er mitten in der Nacht aufgrund eines Nachbebens seine Schlafunterkunft verlassen muss, bleibt keine Zeit, Socken anzuziehen.

„Unser Trainingsprogramm speist sich aus Erfahrungen, die wir auf Einsätzen gesammelt haben“, erklärt Colin Jones. „Es wird jährlich auf den neusten Stand unserer Arbeit gebracht.“ Jones ist Teil des Schulungsteams und gemeinsam mit Martin Strutton hauptverantwortlich für das Training, welches Christian Biernath-Wüpping durchläuft. Der Aufwand, den Colin Jones und sein Team betreiben, ist beeindruckend. Jones benutzt lieber das Wort „notwendig“. Alle späteren Mitglieder eines Einsatzteams müssten sich bestens vorbereitet und sicher fühlen. „Jedes Land hat seine ganz eigenen, einzigartigen Herausforderungen“, sagt er. Natürlich spricht er aus eigener Erfahrung. Vor knapp zwei Jahren war er in der Ukraine im Einsatz. „ShelterBox ist unglaublich hartnäckig, um die Menschen zu erreichen, die unsere Hilfe am meisten benötigen.“ Die Liste der Einsatzländer ist lang und reicht über Kamerun und Syrien bis hin zu Nordkorea.

Die Simulationen sind zum Teil extrem aufwendig. Auch große Szenarien wie Flutkatastrophen und Erdbeben müssen die Trainingsteilnehmer bewältigen. „Dafür benötigen wir natürlich Freiwillige, die die Betroffenen spielen, denen geholfen werden muss. Je nach Szenario sind bis zu 30 Personen involviert“, berichtet Jones. Die lokalen Rotary Clubs Helston-Lizard, HelstonCober Valley und Redruth unterstützen dieses Training tatkräftig. Die rotarischen Freunde sind mit Eifer dabei. Das Beispiel lokaler Rotary-Mitglieder, die die Bereitschaftsaktivitäten von ShelterBox ehrenamtlich unterstützen, zeigt, wie eng ShelterBox und Rotary in vielen Bereichen miteinander verknüpft sind.
Die Trainingsteilnehmerinnen und -teilnehmer vergessen im Laufe der Zeit, dass sie keine realen Katastrophen zu bewältigen haben. Sie erleben eine Reihe von Emotionen, die mit Katastrophenhilfe verbunden sind. Das Training bietet realistische sowie anschauliche Einblicke in die Herausforderungen, vor denen sie im wirklichen Einsatz stehen könnten. Das Trainung wird zum Kampf gegen den eigenen Geist. „Es ist erstaunlich, was der eigene Körper trotz Schlafdefizit leisten kann“, sagt Christian Biernath-Wüpping rückblickend. Auch Wochen später lässt ihn das Erlebte beim Gespräch mit Redakteur Florian Quanz, der für zwei Tage in Cornwall vor Ort war, nicht los. „Ich bin ein sehr emphatischer Mensch“, gibt Biernath-Wüpping zu. Er hat während des Training viel über sich selbst, aber auch über Dynamiken in Rettungsteams gelernt. Geht Biernath-Wüpping in den Einsatz, fühlt er sich sicher. „Ich bin bestens vorbereitet. Die ShelterBox-Strukturen stimmen.“
Planungszentrum

Am nächsten Morgen in der ShelterBox-Zentrale: Das Telefon von Alex Youlten klingelt. Sie ist seit 2017 die Rotary-Partnerschaftsmanagerin von Shelterbox. Ihr Job ist es, die Kontakte zum ShelterBox-Partner Rotary bestmöglich zu nutzen. „Ich werde von der Leidenschaft angetrieben, sicherzustellen, dass wir das Beste tun und bestmöglich mit anderen Organisationen zusammenarbeiten“, erklärt Youlten. Gerade prüft ShelterBox einen möglichen Einsatz im Sudan. Per Mail hat sich Youlten bereits an ihren Konterpart bei Rotary International, Partnerschaftsmanagerin Carrie Golden, gewandt. Sie möchte in Erfahrung bringen, ob es Rotary-Mitglieder im Sudan gibt, die vor und während des Einsatzes wertvolle Hilfe leisten können. Das wäre keine Besonderheit. Rotarier spielen bei vielen Einsätzen eine wichtige Rolle. Zuletzt zum Beispiel in Marokko. „Dank dem rotarischen Netzwerk hatten wir entscheidende Kontakte zu Behörden und einer lokalen Hilfsorganisation namens Association Le Grand Atlas knüpfen können“, erzählt Youlten. So sei es möglich gewesen, 1200 Familien in entlegenen Bergdörfern zu helfen.
Wie wertvoll die Kooperation mit Behörden und Organisationen vor Ort ist, unterstreicht auch Alice Jefferson, die die Abteilung für Notfallmaßnahmen leitet: „Je früher wir mit Menschen aus dem Katastrophengebiet in Kontakt kommen, desto besser. Sie können uns sagen, was wirklich vor Ort benötigt wird. Mit den Behörden besprechen wir auch logistische Fragen. Wo können unsere Shelter Kits im Land zwischengelagert werden, und wie kann der Transport auf der letzten Meile bewältigt werden?“ Zweifellos sind etwa Dörfer im Gebirge schwerer zu erreichen als Küstenstädte. Im Falle des Sudans, berichtet Jefferson, wolle man zunächst abschätzen können, wie risikobehaftet ein Einsatz in dem Bürgerkriegsland derzeit ist. Rotarier vor Ort könnten die entscheidenden Informationen liefern. Sie blickt zu Alex Youlten. Die hat gerade ihr Telefonat beendet. Am anderen Ende war jedoch nicht Carrie Golden aus Evanston. Dafür trifft just in diesem Moment eine Mail von Golden ein. Diese bestätigt, dass es im Sudan Rotarier gibt. Es werde versucht, einen Kontakt zu vermitteln. Youlten strahlt. „Die Geschichte von ShelterBox begann mit Rotary und setzt sich mit Rotary fort“, erzählt sie lachend. Für Alex Youlten, die selbst Rotarierin ist, sei es ein Privileg, für beide Organisationen arbeiten zu können, ehrenamtlich als Rotary-Mitglied und hauptamtlich als ShelterBox-Angestellte.

Die Gleichzeitigkeit von Katastrophen ist eine immer wiederkehrende Herausforderung für die Hilfsorganisation. Alice Jefferson sitzt wenig später an einem Schreibtisch im Großraumbüro. Sie schaut sich gemeinsam mit Rachel Harvey EchtzeitWettersatelliten-Daten am Computerbildschirm an. Harvey ist Leiterin der Notfallvorsorge. Ein Tropensturm hat den Weg in Richtung Karibik eingeschlagen. Noch ist unklar, ob er sich zu einem Hurrikan entwickeln und welchen genauen Weg er nehmen wird. Während sich womöglich die nächste Katastrophe der Karibik nähert, sind Kollegen von ihnen derzeit auf der Karibikinsel Grenada im Einsatz, wo Hurrikan Beryl verheerende Verwüstungen angerichtet hat.
Logistikszentrum

Sehr wahrscheinlich muss in Kürze das nächste ShelterBox-Einsatzteam los. Eine wichtige Rolle im gesamten Prozess spielt dabei auch Benedict Redman. Dessen Blick schweift. Er verschafft sich einen Überblick im Lager von Alpinter. Er ist am frühen Morgen aus London per Zug angereist und steht nun in Ronse, einer Kleinstadt eine gute Autostunde südlich von Brüssel, vor Paletten mit Hilfsgütern. „Wir lagern diese an strategischen Orten auf der ganzen Welt, um sie so schnell wie möglich zu den Menschen zu bringen, die sie benötigen“, erklärt er. „Einer dieser strategischen Orte ist hier.“
Benedict Redman ist Globaler Lieferketten-Manager bei ShelterBox. Gemeinsam mit zwei Kollegen ist er für die globale Lagerung von Hilfsgütern verantwortlich. Seine Arbeit beginnt mit dem Ausschreibungsprozess für benötigte Hilfsgüter und umfasst die Koordinierung der Anlieferung und Lagerung in Logistikzentren. Die Lieferkette von der Produktion der Hilfsgüter bis zur Lagerung muss immer funktionieren. Redman verwaltet auch die Lagerbestände, muss also genau schauen, welche Hilfsgüter nach einem Katastropheneinsatz neu geordert werden müssen. Er möchte den Zeitraum des Mangels an Lagerbeständen so gering wie möglich halten. „Was hier rausgeht, soll in zwei Wochen wieder da sein“, beschreibt er die Zielsetzung.

„Wir lagern hier lebenswichtige Artikel wie Zelte, Planen und Seile für Unterkünfte. Außerdem haben wir andere wichtige Dinge wie Decken, Schlafmatten, Küchensets, Solarleuchten, Wasserträger, Wasserfilter und Eimer hier. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Menschen diese Dinge oft brauchen, wenn sie von einer Katastrophe betroffen sind“, sagt Redman. Alpinter ist ein Dienstleister, der seine Lagerflächen an Hilfsorganisationen wie ShelterBox vermietet. „Nicht alle hier gelagerten Hilfsgüter gehören ShelterBox. Ein Teil ist nur für uns reserviert. Diese Hilfsgüter müssen wir erst bezahlen, wenn wir sie tatsächlich benötigen“, erklärt Redman. Das hat für ShelterBox den entscheidenden Vorteil, dass man nicht zu viel Ware gleich kaufen muss, die womöglich sehr lange liegt, ehe sie zum Einsatz kommt. „Zugleich hat aber keine andere Hilfsorganisation Zugriff.“ Der könne aber nach Rücksprache gewährt werden. Die Zusammenarbeit mit Alpinter funktioniere hervorragend, betont Benedict Redman abschließend.
Kooperation
Rotary und Rotaract Clubs sowie einzelne Mitglieder der rotarischen Gemeinschaft koordinieren viele Hilfseinsätze und setzen sie um. Bei vielen Katastrophen in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, wie wirkungsvoll die Partnerschaft mit ShelterBox ist. Hier vier Beispiele:
Nepal 2015
ShelterBox und Rotary unterstützten Zehntausende Menschen mit Notunterkünften, nachdem ein verheerendes Erdbeben Dörfer in den Bergen Nepals erschüttert hatte. Rotary- und RotaractMitglieder erstellten Schadensberichte und stellten wichtige Kontakte zu lokalen Behörden und Gemeinden her.
Paraguay 2019
Als El Niño im April und Mai 2019 extrem starke Regenfälle verursachte, kam es in Paraguay zu massiven Überschwemmungen, die schätzungsweise 60.000 Menschen obdachlos machten. Die anschließende Hilfsmission von ShelterBox und Rotary wurde dank Mitgliedern der Rotaract Clubs Asunción und Asunción Catedral ein Erfolg. So halfen Mariana Santiviago und Oliver Lugo Fatecha beim Übersetzen. Gabriela Grasso, Fanny Santos und andere leisteten logistische Unterstützung.
Honduras 2020/21
Nach den Tropenstürmen Iota und Eta schloss ShelterBox sich mit dem Rotary Club San Pedro Sula und Habitat for Humanity Honduras zusammen, um Familien nach diesen verheerenden Hurrikans zu unterstützen. Die Verteilung von Notunterkünften und anderen Hilfsgütern wurde auch von Rotary-Partnern in einer durch die Covid-19- Pandemie verschärften Situation realisiert.
Philippinen 2022
Unter der Leitung von ShelterBox Operations Philippines (SBOP) in enger Zusammenarbeit mit dem Rotary Club Cebu, Distrikt 3860, und den Rotary Clubs auf der Insel Bohol verteilten ShelterBox-Teams gemeinsam mit RotaryMitgliedern Notunterkünfte, Holz und Wellblech, um den Menschen die Reparatur und den Wiederaufbau ihrer durch den Taifun zerstörten Häuser zu ermöglichen.

Copyright: Andreas Fischer
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