Evanston
Wo »RI« zu Hause ist
Wenn hierzulande über das Zentralbüro von Rotary International gesprochen wird, ist schnell von „denen aus Evanston“ oder „den Amerikanern“ die Rede. Doch wer genau verbirgt sich dahinter? Insa Feye und René Nehring haben sich vor Ort umgesehen.
Wer sich nicht ganz weit zurücklehnt und gen Himmel schaut, nimmt sie kaum wahr, die Rotary-Flagge, die hoch oben auf dem Dach des 18-stöckigen Hochhauses leise im Wind weht. Weiter unten über dem Haupteingang ist in dezenten dunklen Lettern zu lesen: „Rotary International World Headquarters“. Dort, mitten in Evanston im Bundesstaat Illinois, 30 Autominuten vom Stadtzentrum Chicagos entfernt, befindet sich der Hauptsitz von Rotary International. Im „One Rotary Center“ arbeiten etwa 600 Kollegen hauptamtlich für Rotary. Hinzu kommen noch die Mitarbeiter in den sieben internationalen Büros auf der Welt, wie zum Beispiel das Europa/Afrika-Büro in Zürich. Verantwortlich für sie alle ist an der Spitze der Verwaltung – als Nachfolger Ed Futas – seit Juli 2011 der RI-Generalsekretär und Chief Executive Officer (CEO) John Hewko. Er und seine Mitarbeiter unterstützen mehr als 34.000 Clubs in über 200 Ländern und Regionen.
Wer das „One Rotary Center“ an der Sherman Avenue im beschaulichen Evanston betritt, spürt meist gleich zu Beginn eine besondere Atmosphäre. Hier im Hauptsitz ist es völlig normal, zum Beispiel den Generalsekretär im Fahrstuhl zu treffen oder den RI-Präsidenten über den Flur laufen zu sehen – und gelegentlich ein freundliches Wort zu wechseln. Hier sind „die aus Evanston“, die sonst so fern sind, plötzlich ganz nah und bekommen ein Gesicht. Ebenfalls zu RI gehört das Café International im Untergeschoss, das ein beliebter Treffpunkt für die Mitarbeiter und deren Gäste ist.
Auf den einzelnen Etagen breitet sich die Welt von Rotary International aus auf weitläufige Großraumbüros, die vielen einzelnen Arbeitsplätze sind abgetrennt durch dünne mannshohe Stellwände. Drumherum haben einige Führungskräfte ihr eigenes Büro hinter Glaswänden und Holzverkleidungen, mit Panorama-Blick über Evanston, manche auch auf den Lake Michigan.
Kommunikation
Das RI-Zentralbüro ist gegliedert in diverse Departements und Unterabteilungen. Im Kommunikationsdepartement etwa arbeiten 155 Mitarbeiter in den Bereichen PR, Editorial Services, Broadcast Media, Rotary-Website, die Redaktion The Rotarian und die Sprachenabteilung. Letztere besteht unter der Leitung von Michele Moiron aus einem Team von 31 Kollegen aus 12 Ländern, die 11 Sprachen beherrschen. In 2011 verzeichnete die Abteilung eine Produktionsrate, also die als Aufträge hereinkommende Wortzahl, von 10.638.000 Wörtern, Tendenz steigend. In 2012 habe es allein im Bereich Übersetzung einen Anstieg von neun Prozent gegeben, sagt Michele Moiron. Besonders bedeutend für unseren deutschsprachigen Raum sind in dieser Abteilung Katharina Klopfer und Stefan Meuser. Sie bilden vor Ort in Evanston das deutsche Übersetzer- und Dolmetscher-Team und sind damit wertvolle Sprachunterstützung für den RI-Hauptsitz. „Alle Abteilungen beliefern uns mit Aufträgen“, sagt Stefan Meuser, aufgewachsen in Bremen und seit rund elf Jahren bei RI. Zu den Aufgaben zählt etwa die Bearbeitung von Publikationen wie Handbücher, PR-Material, der deutschsprachige Teil der Website „rotary.org“, anfallende Korrespondenz wie zum Beispiel E-Mail-Verkehr oder das monatliche RI-Pflichtmaterial für das Rotary Magazin. Hinzu kommen die Betreuung der Social Media-Präsenzen wie Twitter oder Facebook, die Veranstaltung und Moderation von Webinaren und seit Neuestem auch das simultane Dolmetschen bei internationalen Veranstaltungen. „Wir wissen oft als erstes, wenn es etwas Neues aus einer Abteilung gibt“, sagt Katharina Klopfer, die Anfang 2009 von Deutschland nach Chicago zog. Bei einigen Materialien gilt dann zunächst absolute Geheimhaltung, zum Beispiel vor der offiziellen Verkündung des neuen RI-Präsidentenmottos, das vorher übersetzt wurde. Meistens geht es jedoch gar nicht darum, eingehende Texte einfach eins zu eins zu übersetzen. Die größte Herausforderung ist es, die Inhalte und Botschaften so zu übertragen, dass diese weltweit lokal verstanden werden. „Wir sind nicht nur Übersetzer, sondern auch Kulturberater und Filter“, sagt Stefan Meuser.
„The Rotarian“
Das traditionelle Medium zwischen RI und den Rotariern vor Ort ist die Zeitschrift The Rotarian. An deren Spitze steht seit 2008 Chefredakteur John Rezek.
Der Rotarian ist nicht nur das Magazin für Nordamerika, hier entsteht unter anderem auch das RI-Pflichtmaterial, das die Regionalmagazine in jeder Ausgabe übernehmen müssen. Dazu gehören zum Beispiel der Präsidentenbrief, die Foundation-Botschaft oder die Beilage „Global Outlook“, die sich mit grundlegenden Entwicklungen innerhalb Rotarys auseinandersetzt. „Wir haben ein Gespür dafür, was gerade passiert, weil wir direkt im Hause sitzen“, sagt John Rezek. „Es ist unsere Verantwortung, es in einer angemessenen Form für die anderen Magazine aufzubereiten.“ Alles dient dazu, den Lesern rund um den Globus ein bestimmtes einheitliches Wissen über RI zu vermitteln. Dennoch betont der Chefredakteur: „Wir sind keine RI-Broschüre, sondern ein unabhängiges, auf eigenen Geschichten basierendes Magazin.“ Das gilt auch für die zertifizierten Regionalmagazine wie das Rotary Magazin – die Lokalisierung spielt auch hier eine entscheidende Rolle. Dass John Rezek und sein Redaktionsteam einen erfolgreichen Job machen, beweisen zahlreiche Pokale und Urkunden, die als Auszeichnung für die Entwicklung des Magazins das Büro des Chefredakteurs schmücken.
Rotarys Recht
Für die juristischen Belange in jeglicher Form für RI und auch die Rotary Foundation sorgt Steven Routberg, General Counsel und Manager Legal Services. Er und seine Mitarbeiter bearbeiten ein weites Themenfeld, etwa zur Unternehmenspolitik und zu Rechtsfragen. Mit dabei sind zum Beispiel auch Lizensierungsfragen bezüglich der RI-Regionalmagazine. Auch für die Zusammenarbeit mit regionalen Partner-Organisationen – wie bei uns der Rotary Deutschland Gemeindienst (RDG) oder die Deutsche Rotarische Stiftung – erarbeitet diese Abteilung die juristischen Rahmenbedingungen. Alle drei Jahre tritt der Gesetzgebende Rat (Council on Legislation) zusammen, der ebenfalls von Steven Routberg und seinem Team juristisch unterstützt wird. In dem Verantwortungsbereich dieser Abteilung liegt außerdem die Grant-Verwaltung der Rotary Foundation.
Finanzen unter Kontrolle
Neben gutem Recht bilden auch solide Finanzen eine unverzichtbare Grundlage erfolgreicher Arbeit. Seit dem Frühjahr dieses Jahres überwacht Lori O. Carlson als Chief Financial Officer (CFO) und General Manager die Finanzen von Rotary International und der Rotary Foundation. Zu ihren Aufgaben zählen unter anderem das Finanzmanagement, die Finanzplanung und -analyse, die Rechnungsprüfung und das Risikomanagement. Allerdings sieht sich die Herrin der Finanzen nicht nur kühle Buchhalterin. Vielmehr sagt sie zu ihrem Aufgabengebiet als CFO ganz plakativ: „Ich bin der Chef-Geschichtenerzähler.“ Eine Aufgabe mit viel Verantwortung, denn „wenn man die Geschichte nicht richtig erzählt, wissen die Leute nicht, woran sie sind.“ Ein Finanzbericht, sagt Lori O. Carlson, sei ein Resümee in Zahlen aller Aktivitäten der Organisation. „Manchmal müssen wir als Buchhalter übersetzen. Es ist wie eine Fremdsprache. Die Zahlen sind unsere Wörter, mit denen wir erzählen, ob ein Jahr erfolreich war oder nicht.“
Die Foundation
Um das Thema Finanzen dreht sich auch der Arbeitsalltag von John Osterlund, General Manager der Rotary Foundation. Auf seinem großen braunen Holzschreibtisch vor der Fensterfront im 17. Stock steht ganz vorne an ein Ziegelstein. Er trägt die Aufschrift: „Build the future with action and vision“. Genau darum kümmern sich John Osterlund und seine etwa 160 Mitarbeiter etwa in den Abteilungen PolioPlus, Fondsentwicklung, Future Vision Pilot-Prozesse und Foundation-Programme in enger Zusammenarbeit mit den Trustees der Foundation. Viermal im Jahr für jeweils eine Woche sitzt John Osterlund mit dem Kuratorium zusammen und legt die strategische Ausrichtung der Organisation fest, zum Beispiel die Investmentstrategie. Generell kämen 97 Prozent der Spenden für die Foundation aus Rotary-Quellen, sagt John Osterlund und weist in diesem Zusammenhang auch auf den Nutzen hin, den Rotarier durch Mittel der Foundation haben, etwa wenn ein Club einen Group Study Exchange-Kandidaten oder ein Projekt-Grant gesponsert bekommt. Wichtig ist, dass RI und die Foundation stets eine Einheit bilden. „So ist etwa damals zwischen 2007 und 2009, als die Foundation hohe Buchverluste zu verzeichnen hatte“, so Osterlund, „der Cashflow deshalb stabil geblieben, weil die Rotarier nicht aufgehört haben, einzuzahlen.“
Mitgliederservice
Um die direkte Unterstützung aller Mitglieder von RI kümmern sich Michele Berg, seit Juli neu im Amt als General Manager und Chief Programs and Member Services Officer, und ihre über 150 Mitarbeiter. Sie betreuen die Themen RI-Programme, Weiterbildung, Training, internationale Meetings oder Mitgliedschaftsentwicklung. Ihre Hauptziele für das kommende Jahr sind die Begleitung der weltweiten Einführung der neuen Grant-Struktur im Rahmen des Future Vision Plans, regionale Mitgliedschaftspläne in Zusammenarbeit mit dem RI-Zentralvorstand und das neue Online-Tool „Rotary Club Central“, das Club- und Distriktvorständen helfen soll, Ziele festzuhalten und Clubentwicklungen zu verfolgen.
„One Rotary“
Ganz oben im 18. Stock befinden sich die Büros des Generalsekretärs, des amtierenden und des kommenden RI-Präsidenten sowie der Konferenzraum des RI-Zentralvorstands. Wenn die Präsidenten gerade außer Haus sind, laden die Räumlichkeiten bei offenen Türen dazu ein, einen Blick hineinzuwerfen. Die Damen am Empfang lächeln nur freundlich und sagen: „Bitte schön.“
Wir treffen während unseres Streifzugs Präsident Tanaka und Generalsekretär John Hewko. Während des Gesprächs macht Hewko immer wieder den Geist deutlich, der für das ganze Haus steht: Auf allen Rotary-Etagen in der „Zentrale“ steht bei einem breit gefächerten Aufgabenspektrum ein gemeinsames Ziel im Mittelpunkt: die Unterstützung der ehrenamtlich aktiven Rotarier in den Clubs und Distrikten rund um den Erdball, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Sinne von „One Rotary“ zu gewährleisten. Denn „letztendlich“, sagt Hewko, „sind wir immer nur so stark wie unsere Clubs.“
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