Einzelschicksale im Fokus
Rotary im Nationalsozialismus

Ende März lud der Rotary Club Stuttgart-Wildpark zur Buchvorstellung des Gedenkbuchs „Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus“ ein. Herausgeber Prof. Dr. Hermann Schäfer stellte das Werk im Gestapo-Museum "Hotel Silber" in Stuttgart vor.
Die Veranstaltung wurde von Brigitte Lösch eröffnet, die von 2011 bis 2016 als Vizepräsidentin des Landtags Baden-Württemberg amtierte und den Verein Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V. leitet. Sie stellte das "Hotel Silber" als historischen Erinnerungs- und Bildungsort vor. Einst Hauptquartier der Gestapo für Württemberg und Hohenzollern, wurde das Gebäude über Jahrzehnte hinweg von der Polizei genutzt, bevor es durch eine Bürgerinitiative als Gedenkort erhalten blieb. Heute dient es als Raum für historisch-politische Bildung, Museum und als Mahnmal für die Opfer des NS-Terrors.

(v.l.): Prof. Schäfer, Brigitte Lösch und Prof. Kurt-Jürgen Maass im Gedenkort “Hotel Silber” in Stuttgart. © Schoelkopf
Nach der Einführung sprach Dan Peter, Präsident des Rotary Clubs Stuttgart-Wildpark, über die Bedeutung des rotarischen Forschungsprojekts und würdigte das Engagement von Freund Kurt-Jürgen Maass für die Organisation der Veranstaltung und den Anstoß für die historische Aufarbeitung der Rolle der Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Bereits im Oktober 2015 forderte Kurt-Jürgen Maass (RC Stuttgart-Wildpark) im Rotary Magazin, die Geschichte Rotarys in Deutschland während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Mit Blick auf die für 2019 geplante Rotary World Convention in Hamburg wurde es höchste Zeit, die historische Kenntnislücke zu schließen. Rasch bildete sich ein wachsender Expertenkreis aus bis zu 70 Rotary-Mitgliedern aus über 60 Clubs. Seit dem ersten Treffen im März 2016 arbeiteten zahlreiche Historiker zusammen und das selbstorganisierte Forschungsprojekt "Rotary in Deutschland 1920er bis 1960er Jahre" begann mit einer systematischen, historisch-kritischen Untersuchung.
Eines der Ergebnisse dieser Arbeit ist das Ende 2024 erschiene Buch. In 300 Biografien wird in diesem Buch an Rotary-Mitglieder, die unter dem Druck des Nazi-Regimes aufgrund ihrer Herkunft oder politischen Einstellung aus deutschen und österreichischen Clubs ausgeschlossen wurden, erinnert. Präsident Peter betonte, dass es im Rahmen der Erinnerungskultur von großer Bedeutung sei, dass im Buch eine Vielzahl einzelner Namen aufgeführt werde, wodurch den Opfern des Nationalsozialismus ein Andenken gestiftet werde. „Diese Menschen hätten das Unrecht selbst erlebt und ertragen müssen – ihr Leben sei auf furchtbare Weise missbraucht worden, und nun gebe es zumindest eine kleine Erinnerung an ihr Schicksal“, so Präsident Peter. Erinnern sei wichtig, „gegen das allzu schnelle Verdrängen“. Es müsse „faktenbasiert geschehen, gegen jede Relativierung – das ist gerade in einer Demokratie wichtig".
Im Anschluss begrüßte Kurt-Jürgen Maass den aus Bonn angereisten Referenten Prof. Schäfer und blickte auf deren gemeinsame Arbeit in der Forschungsgruppe zurück. Schäfer (RC Bonn Süd-Bad Godesberg), renommierter Wirtschafts- und Sozialhistoriker, war Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und diente unter Kanzlerin Angela Merkel als Ministerialdirektor im Kanzleramt.

Die Einzelschicksale der rotarischen Freunde werden im Buch von Prof. Schäfer aufgearbeitet. © Schoelkopf
Prof. Schäfer präsentierte das von ihm herausgegebene Buch und begann mit einer historischen Einordnung. Ab 1933 bekämpfte die NSDAP Rotary propagandistisch wegen dessen Internationalität und angeblicher Steuerung aus den USA – damals waren sehr wenige Rotary-Mitglieder Mitglieder der NSDAP. Prof. Schäfer erläuterte eindrücklich, wie viele Rotary Clubs nach 1933 unter dem Druck des NS-Regimes handelten: Nicht-arische Mitglieder wurden zum Austritt gedrängt oder ausgeschlossen, viele Clubs versuchten sich anzupassen, bis sie sich schließlich 1937 selbst auflösten. Schäfer verdeutlichte dies anhand eines Protokolls einer Distriktkonferenz vom 4. April 1933 in München, auf der die Clubs über ihre Haltung zur sogenannten "Judenfrage" diskutierten. Besonderes Augenmerk bei seinem Vortrag in Stuttgart legte Schäfer auf die Entwicklungen in Stuttgart. Während einige Clubs, zum Beispiel in Karlsruhe, München und Nürnberg bereits Fakten geschaffen und jüdische Mitglieder ausgeschlossen hatten, plädierte der Vertreter des RC Stuttgart, Otto Fischer, klar gegen eine Nötigung jüdischer Rotarier und erklärte, dass es keine Nötigung der jüdischen Mitglieder in irgendeiner Weise geben dürfe. „Entweder wir stehen zu unseren Freunden oder wir fallen mit ihnen“, so Fischer. Er kündigte an, den Club zu verlassen, falls jüdische Freunde gezwungen würden, auszutreten. Dennoch war der Widerstand nicht von Dauer: Fritz Wertheimer, ein jüdisches Mitglied des RC Stuttgart, wurde schließlich doch ausgeschlossen. Trotz anfänglicher Unterstützung musste der Club diesen Versuch aufgeben – ein Schicksal, das vielen jüdischen Rotariern in Deutschland widerfuhr. Die Entwicklungen in Stuttgart zeigen exemplarisch, wie unterschiedlich die Reaktionen der Rotary Clubs auf die neuen politischen Gegebenheiten ausfielen – von zunächst Widerstand bis hin zu vorauseilendem Gehorsam.
Schäfer sprach auch die Schicksale weiterer prominenter Rotarier wie Konrad Adenauer, Thomas Mann oder Karl Wolfskehl an, die alle aus den Clubs ausgeschlossen wurden. Zwar wird an die Schicksale vieler Rotarier im Buch erinnert, aber viel mehr Schicksale sind unbekannt und bisher historisch erforscht. Mit seinem tiefgehenden Fachwissen zeigte Schäfer die Bedeutung historischer Erinnerungsarbeit für die heutige Gesellschaft auf eindrücklich auf. Die anschließende Diskussion unterstrich das große Interesse der Anwesenden und verdeutlichte, wie wichtig es ist, sich aktiv mit der Geschichte auseinanderzusetzen und die Demokratie zu stärken.
Informationen zum Buch: Hermann Schäfer (2024): Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch. Wallstein Verlag.

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