Action Day
Zwei Governorprojekte, zwei Distrikte, eine Veranstaltung mit Gänsehaut
"Little Berlin" zwischen Franken und Thüringen: Nicht nur Berlin war durch eine Mauer getrennt: Auch das kleine Dorf Mödlareuth hatte einen Ost- und einen Westteil: Mitglieder der RCs der Distrikte 1880 und 1950 trafen sich am Action Day in dem 50-Seelen-Dorf, in dem Weltgeschichte geschrieben wurde.
"Grünes Band - Grenzen trennen, Natur verbindet" – dieses Motto flankiert den Auftakt des Governorprojektes gleich zweier Distrikte und beschreibt die Überlegungen der beiden incoming Governors der benachbarten Distrikte, Sabina Gärtner-Nitsche (RC Nürnberg-Neumarkt) und Ulrich Purfürst (RC Schleiz).
Ab 1966 verlief die innerdeutsche Grenze mitten durch das Dorf Mödlareuth, nach dem Vorbild der Berlinger Mauer trennte auch hier eine Betonmauer entlang des Tannbachs einzelne Familien und den gesamten Ort. Über 37 Jahre lang war dort kein legaler Grenzübertritt möglich.
Heute hat das Dorf einen bayerischen und einen thüringischen Teil, doch der Tannbach trennt nicht mehr die Menschen. An diesem historischen Ort steht nun ein Deutsch-Deutsches Museum, eine Gedenkstätte erinnert an die deutsche Teilung. Es war die Idee von Ulrich Purfürst, sich an dieser Nahtstelle der ehemals unterschiedlichen politischen Systeme zu erinnern. Bis die Mauer fiel, war es in Mödlareuth verboten, von Ost nach West auch nur zu winken oder zu grüßen.
Nun sollte anlässlich des Action Day genau das Gegenteil passieren: In einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung - es waren die Präsidentinnen und Präsidenten des rotarischen Jahres 2023/2024 der Distrikte 1880 und 1950 angereist - wurde natürlich herzlich von Ost nach West und von West nach Ost gewunken und gegrüßt.
Das Deutsch-Deutsche Museum zeigt mit Teilen der 700 Meter langen Betonsperrmauer, des Metallgitterzauns und der Beobachtungstürme eindringlich die Schrecken der Teilung, erklärt werden auch die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte dieses dunklen Kapitels. Alltagsgeschichten verdeutlichen die Grausamkeit: Die Menschen konnten ihre Verwandten im Ostteil des Dorfes – man musste sich ja nur auf eine Anhöhe stellen – zwar sehen, doch die hundert Meter Luftlinie durften nicht überwunden werden.
Eine lange Auto- oder Zugfahrt über Hof und Plauen war Pflicht, und dauerte Stunden. Wie es den Nachbarn jenseits der Grenze ging, zeigte sich damals an den Wäscheleinen: Hing dort schwarz, herrschte Trauer, fiel der Blick auf blaue oder rosa Babywäsche, konnten sich Bekannte und Verwandte ebenfalls freuen.
Es war der besondere Verdienst dieses Action Days, dass diese Erinnerungen für Gänsehaut sorgten: der amtierende Governor 1880, Armin Staigis (RC Chemnitz-Schlossberg) moderierte eine Diskussion – zu Wort kamen Dr. Oliver Bär, CSU-Landrat im Landkreis Hof, und Thomas Fügmann, CDU-Landrat im Saale-Orla-Kreis.
Während Dr. Bär an Hans-Dietrich Genschers berühmte Balkonrede in der Prager Botschaft erinnerte und die Jubelschreie der ausreisewilligen DDR-Bürger, schilderte Thomas Fügmann, dass er nach dem 9. November 1989 als Lehrer in der Schule kaum noch Schüler vorfand. So steuerte er in diesen historischen Tagen ebenfalls seinen Trabi über die Grenzanlage – begleitet von der Sorge, dass die jubelnden Menschen, die auf seinen Trabi klopften, Schaden an dem Auto anrichten könnten…
Ebenfalls Zeitzeuge: Matthias Gehler, ehemaliger Pfarrer und Liedermacher. Er saß als Regierungssprecher im Kabinett Lothar de Maiziére, von 1992 bis 2020 war er Programmchef beim MDR, heute ist er Distriktberichterstatter 1950. Er rief ins Gedächtnis, dass die Menschen im Osten die Mauer und das SED-Regime gewaltlos und friedlich zum Einsturz brachten – und weil jede und jeder, hinter den Menschen lagen zwei Diktaturen, unmittelbar in seiner Existenz betroffen war, sich Lebensgeschichten gänzlich anders entwickelten als im Westen.
Wo wir heute stehen? Politik für ländliche Räume sei eine der wichtigsten Aufgabe der Stunde, die demographische Entwicklung und die Überalterung der Gesellschaft sei im Osten eine noch gewaltigere Herausforderung als im Westen, und die schon angesichts der niedrigen Geburtenzahlen in den ersten Jahren nach dem Mauerfall und der verstärkten Abwanderung der zwischen 1975 und 1989 Geborenen.
"Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ – Governor Armin Staigis zitiert diesen berühmten Satz Willy Brandts zum Mauerfall, und stellt fest, dass drei Jahrzehnte später dieses Zusammenwachsen noch immer nicht beendet ist.
Doch es geht voran: der Mauerfall hat das Leben in Deutschland verbessert – das denkt immerhin ein Dreiviertel der Bevölkerung in Deutschland, wie unter anderem eine Studie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur belegt. "Freiheit und Verantwortung", so Armin Staigis, "sind Geschwister. Wir dürfen in Deutschland fröhlicher und zuversichtlicher werden. Und wir müssen unserer Verantwortung – als Rotarier – gerecht werden."
Doch in Mödlareuth sollte nicht nur an Mauern und Stacheldraht erinnert werden. Die innerdeutsche Grenze wurde – als verbotene Zone für die Menschen – auch zum Naturparadies. Das Grüne Band. Seltene Vögel und Insekten haben hier Räume zum Überleben gefunden. Die brutale Schneise trennte Familien, Freunde und Orte, und gerade deshalb konnten seltene Pflanzen und Tiere hier überleben.
Während Ulrich Purfürst sein Governorjahr der Erinnerungskultur und der schmerzhaften Trennung widmen wollte, verweist Madame Governor Sabina Gärtner-Nitsche auf das Grüne Band. Fast 1400 Kilometer zieht sich der Geländestreifen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze, er verläuft von Ost nach West, im Norden weiter bis zum Eismeer am äußersten Ende Norwegens und im Süden bis zum Schwarzen Meer an der Grenze zur Türkei. Die Gesamtlänge beträgt 12.500 Kilometer, das Grüne Band ist das Überbleibsel des Eisernen Vorhangs und heute ein Biotopnetzwerk von globaler Bedeutung, für die langfristige Bewahrung Europas einzigartiger Ökosysteme und biologischer Vielfalt essenziell.
Sabina Gärtner-Nitsche schließt den Tag mit dem Hinweis auf eine "lebendige Erinnerungslandschaft, die Natur, Kultur und die jüngere europäische Geschichte auf einzigartige Weise verbindet."
Parallel zur Auftaktveranstaltung in Mödlareuth enthüllte der RC Schleiz mehrere Informationstafeln zum Projekt "Unterer Hainteich". Gemeinsam mit Mitgliedern des Kreisfischereivereins Saale-Wisenta und der Stadt Schleiz hatten die Rotarier in mehreren Arbeitseinsätzen eine verwahrloste Gartenlaube beseitigt, das Gelände aufgeräumt und den Teich renaturiert.
Ein besonderer Wehmutstropfen bleibt: Ulrich Purfürst vom Club Schleiz kann sein Amt aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten. Für ihn nimmt Stefan Kuchenmeister (RC Höchstadt) die Herausforderung des Amtes als Governor an.
Ulrike Löw (RC Nürnberg-Reichswald) ist seit 20 Jahren als Journalistin tätig. Ihr Schwerpunkt liegt bei rechtlichen Themen: Aktuelle Rechtsnews interessieren sie ebenso wie juristische Hintergründe, regelmäßig sitzt sie in Gerichtssälen und berichtet über Strafprozesse. Ab August 2021 ist sie Berichterstatterin des Distrikts 1880.
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