KI-Assistenzsystem Lumi
"Ein großartiges Modul"
Wie der Bürgerservice einer Stadt dank KI ganz neu aufgebaut werden kann, zeigt sich am Vorreiter Heidelberg. Die Verantwortlichen sind sehr zufrieden und doch erst am Anfang.
Im Interview: Eckart Würzner, Bürgermeister der Stadt Heidelberg und Jonas Andrulis, Gründer und Geschäftsführer von Aleph Alpha (IT-Startup, das das KI-Assistenzsystem Lumi betreibt)
Die Zusammenarbeit zwischen einer kommunalen Verwaltung und einem Softwareentwicklungs-Unternehmen, das sich auf KI spezialisiert hat, ist eher ungewöhnlich. Wie haben Sie zueinander gefunden?
Eckart Würzner: Wir haben uns im Oktober 2021 kennengelernt. Jonas Andrulis hatte zu dem Zeitpunkt gerade ein vielversprechendes KI-Modell in der Planung und sagte mir, dass wir das auch gemeinsam umsetzen könnten. Es war zwar ursprünglich nicht für eine Stadtverwaltung gedacht, aber gerade dieser Aspekt war auch für ihn spannend. Grundsätzlich suche ich immer den Kontakt zu den Unternehmen in der Region. Es ist heutzutage ganz entscheidend, sich regional zusammenzusetzen und eine innovative Struktur aufzubauen. Wir haben rund um Heidelberg eine solche Struktur mit entsprechenden Unternehmen wie SAP, aber auch vielen weiteren innovativen Firmen. Dazu zählt gerade auch Aleph Alpha.
Herr Andrulis, für alle, die Ihr Unternehmen noch nicht kennen: Wofür stehen Aleph Alpha und Sie ganz persönlich?
Jonas Andrulis: Uns treibt die Frage an, wie die moderne KI in einer vertrauenswürdigen, souveränen und sicheren Art und Weise den modernen Wissensarbeiter unterstützen kann. Ich kann von mir selbst berichten, dass auch ich überflutet bin von der Komplexität an Informationen. Hier gilt es: Wie können wir moderne KI so nutzen, dass sie den Menschen unterstützt? Der Mensch soll in eine aktivere Rolle kommen, während die KI langweiligere und zeitraubende Arbeiten übernimmt. Da setzt mein Unternehmen Aleph Alpha an, das 2019 gegründet wurde und derzeit 50 Mitarbeiter hat. Ich habe davor bei Apple im Silicon Valley in der Leitung der KI-Forschung für Special Projects gearbeitet.
Und vier Jahre später kommt bei der Stadt Heidelberg KI von Ihnen zum Einsatz. Wollen Sie eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung einnehmen, Herr Würzner?
Würzner: Die Frage ist doch: Wie sieht das Aufgabenspektrum der Kommunalen Daseinsvorsorge aus? Reduziert sich das nur auf Gas, Strom und Wasser? Nein, das digitale Paket ist ebenso wichtig. Wir als Stadt Heidelberg sind hier sehr aktiv. Wir haben dafür gemeinsam mit unseren Stadtwerken eine Digital-Agentur gegründet und ein Amt für Digitales ins Leben gerufen, das im neuen Heidelberg Innovation Park angesiedelt ist. - Damit die Mitarbeitenden so früh wie möglich Innovationen aufnehmen können. Das war und ist die Basis für die weitere Entwicklung.
Andrulis: Heidelberg ist in einer bemerkenswert guten Position, so dass Prozesse in der IT schon recht weit gediehen sind.
Kommen wir zum Lumi-System, welches seit einigen Monaten auf der Internetseite heidelberg.de im Einsatz ist. Womit genau haben wir es da zu tun?
Andrulis: Lumi ist ein KI-Assistenzsystem. Der Gedanke hinter Lumi ist, den Bürger mit dem Einsatz moderner Technologie besser zu unterstützen. Was Lumi im Vergleich zur Konkurrenz ChatGPT auszeichnet, ist der Gedanke dahinter, mehr Vertrauen zu schaffen. Wir wollen zu allen Aussagen nicht nur die richtige Information, sondern zugleich die Belege und Quellen liefern. Wir wollen zeigen, woher die gegebene Information stammt. Bei Lumi bekommen Sie in einer Unterhaltung nicht nur Informationen, sondern auch die Quelle dazu. Diese Unterhaltung ist robust gegenüber schlechter Sprache, Tippfehler, und kann in verschiedenen Sprachen geführt werden.
Würzner: Wir können dank Lumi pro Tag ungefähr 40 Fragen aus der Bürgerschaft qualifiziert beantworten. Das wird weiter zunehmen. Zunächst einmal muss Lumi noch bekannter werden. Nicht jeder, der bei uns auf die Webseite geht, weiß gleich, dass er mit Lumi eigentlich besser beraten ist, als wenn er beim Bürgerservice anfragt.
Also braucht es den Bürgerservice vor Ort bald gar nicht mehr?
Würzner: Wir werden nicht unsere Bürgerämter schließen. Das ist nicht das Ziel. Im Gegenteil: Wir gewinnen mehr Zeit, um dort qualifiziert auf die Belange der Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Lumi macht die Basisarbeit. Mit diesem System erweitern wir unseren Bürgerservice, ermöglichen allen den Zugang und nehmen vor allem die jüngere Generation mit.
Wird das jetzige System dem Gedanken wirklich gerecht?
Andrulis: Was Zugänglichkeit angeht, haben wir hier ein Level erreicht, was keine Technologie vorher konnte. Einer unserer Dauerbrenner ist die Frage, wann, wo, welcher Müll abgeholt wird. Da kann Lumi auch Rückfragen stellen, zum Beispiel um welche Straße es konkret geht oder welche Müllart gefragt ist. Was unsere KI zudem auszeichnet, ist der Umstand, dass sie auf den eigenen Daten der Stadt Heidelberg sitzt und Antworten bezogen auf die interne Wissensverwaltung geben kann.
Dennoch gab es sicher auch Kritik, die an Sie herangetragen wurde, oder?
Würzner: Die Bevölkerung erwartet heutzutage eine Antwort, die sofort und genau in Bezug auf die Fragestellung ist. Der Erwartungsdruck ist extrem hoch. Dem kann man nicht immer gerecht werden. Wenn die Frage etwas zu allgemein ist und Lumi noch zweimal nachfragen muss, dann entsteht Unruhe. Ich bin aber der Meinung, dass das Modell schon auf einem sehr guten Niveau ist und es sich weiter verbessern wird. Wir hatten kürzlich zwei große Bombenentschärfungen in der Stadt, bei denen Gebäude mit bis zu 6000 Menschen evakuiert wurden. Wir mussten innerhalb von Minuten entscheiden, ob Kinder in die Schule gehen dürfen und ob wir Kitas öffnen. Mit einer KI, auf die Tausende gleichzeitig zugreifen können, haben wir für die Zukunft ein großartiges Modul, um schnell und zuverlässig zu informieren.
Die gegebenen Informationen mögen stimmen. Aber sind sie im Zweifel auch rechtssicher?
Andrulis: Keine KI ist rechtssicher. Die KIs sind unheimlich mächtig, überraschend mächtig zum Teil, aber man darf es nie verwechseln mit der Verantwortung, die ein Mensch übernehmen kann. Unsere KI kann nicht mehr Verantwortung übernehmen als eine Google-Suche. Sie ist mächtiger und kann mehr helfen, aber Verantwortung übernehmen kann sie nicht. Das ist auch gar nicht unser Ziel.
Was passiert mit den Informationen, die Nutzer eingeben? Wo werden diese gespeichert? Auf einem Server in den USA?
Andrulis: Nein. Eine unsere Kernmissionen ist, die Technologiesouveränität und unabhängige KI aus Europa heraus zu generieren. Wir betreiben Europas stärkstes kommerzielles KI-Rechenzentrum. Ich darf betonen, Souveränität unserer Arbeit von Anfang bis Ende ist gewährleistet. Wir verkaufen auch keine Daten, wir verdienen kein Geld mit Werbung. Wir wollen Technologielieferant sein und andere in die Lage versetzen, die Technologie für ihre eigenen Wertschöpfungsprozesse, für ihre eigenen Ziele nutzen zu können. Zu guter Letzt, alle unsere Investoren, mit denen wir es so weit gebracht haben, sind aus Europa.
Würzner: Das war für uns als Stadt ein ganz entscheidender Punkt, der uns zur Zusammenarbeit bewegt hat. Es bestehen keine Abhängigkeiten von großen US-amerikanischen Unternehmen. Das Projekt ist zudem nicht produkt- oder vermarktungsorientiert, sondern dienstleistungsorientiert und verbunden mit einem europäischen Wertekodex. Ebenfalls wichtig für uns: Es wurde uns eine wirklich qualifizierte Dienstleistung in mehreren Sprachen angeboten. Und dies so, dass wir nicht gezwungen waren, unsere Datensätze erst einmal in andere Sprachen zu übersetzen. Wir geben dem Bürger nun direkt die Möglichkeit, auf unsere Open-Data-Plattform zuzugreifen, ohne, dass da noch eine Person zwischengeschaltet ist.
Was müssen Partner mitbringen, um die entwickelte KI von Aleph Alpha nutzen zu können?
Andrulis: Wir brauchen von unseren Projektpartnern Innovationsfreude und ein bisschen Mut. Das Wichtigste ist, Menschen zu finden, die Lust haben, die Digitalisierung der Verwaltung voranzubringen. Da müssen wir Geschwindigkeit aufnehmen. Deutschland ist insgesamt auf einem der letzten Plätze, was die Anwendung von KI angeht. Jetzt haben wir hier die Gelegenheit, aufzuschließen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.
Können Sie abschließend verraten, was auf dem Preisschild für Lumi steht?
Andrulis: Am Geld für uns wird kein Projekt scheitern.
Das Gespräch führte Florian Quanz.
Copyright: Andreas Fischer
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