Entscheider
„Es war längst nicht alles rosig für mich, sonst wäre ich geblieben “
Der politische Aufstieg von Katja Suding war so rasant, wie ihr Ausstieg im vergangenen Jahr überraschend kam – dahinter steckt eine berührende Geschichte.
Wer in diesen Tagen Katja Suding beim Spaziergang im Hamburger Eichenpark antrifft, wird eine entspannte und glückliche Frau sehen. Keine Spur mehr davon, dass vor wenigen Monaten noch enormer Druck auf der früheren FDP-Vizechefin lastete. In ihrem Buch „Reissleine“ gewährt sie einen ungeschönten, faszinierenden und manchmal gar verstörenden Einblick in die Politik.
Der zweite Satz Ihres Buches „Reissleine“ beginnt mit den Worten „Ich bin an einem Tiefpunkt meines Lebens angekommen“. Sie hätten auch einen positiven Beginn wählen können. Warum haben Sie dies nicht getan?
Ich erzähle eine Geschichte des Umbruchs. Dieser beschriebene Umbruch ging mit einer Phase einher, die für mich nicht so gut war. Das Ganze löst sich am Ende des Buches auf und es gibt ein Happy-End. Der Wendepunkt war diese dramatische Situation und vielleicht weckt sie beim Leser die Lust, weiterzulesen.
Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben und dann auch zu veröffentlichen?
Zwei Dinge: Zum einen war es für mich so etwas wie therapeutisches Schreiben. Als ich mich mit dem Ausstieg aus der Politik für einen so großen Umbruch entschieden habe, war es gut, zu reflektieren und mit Abstand auf Dinge zu blicken und sie einzuordnen. Das Schreiben hat mir gutgetan, mit dieser Phase abzuschließen. Es war ein unglaublich schöner Prozess und ich habe festgestellt, dass ich sehr gerne schreibe. Zum anderen hatte ich nach meiner Bekanntgabe, dass ich mich aus der Politik zurückziehe, gespürt, dass ich bei vielen Menschen einen Nerv getroffen habe. Menschen, die sich fragen, ob sie an dem Ort, an dem sie sich gerade befinden, noch richtig sind. Womöglich gibt es andere Bereiche, an denen sie besser und anders wirken können. Das ist etwas, dass sicher durch Corona nochmal befeuert wurde. Auf jeden Fall bin ich mit diesen Gedanken nicht die einzige und auf großes Interesse gestoßen.
Was erhoffen Sie sich dadurch, dass Sie ihre verletzliche Seite, verbunden mit negativen Erfahrungen aus ihrer Politikkarriere nun mit der Öffentlichkeit teilen?
Wenn man Menschen Impulse geben möchte und Erfahrungen teilen will, dann funktioniert das nur, wenn man sich öffnet. Ich glaube, dass ich eine gute Balance gefunden habe zwischen dem Wahren einer Privatheit und dem Öffnen, um zu verstehen, wie mein Prozess verlaufen ist. Das Schöne ist, dass ich dies nun fern der Politik machen kann. Ich muss mich nicht mehr so sehr verstecken, nicht mehr aufpassen, zu viel von mir preiszugeben, um mich zu schützen. Übrigens erzähle ich auch von den schönen Dingen, die ich in der Politik erlebt habe.
Ihre Söhne tauchen namentlich auf. Hatten Sie vorab in Ihrer Familie diese Pläne thematisiert?
Meine Kinder, die inzwischen erwachsen sind, haben das Buch beide gelesen und finden es großartig. Ihre Namen waren allerdings auch vorher nicht geheim. Die Welt erfährt also nicht erst jetzt von der Existenz von Johann und Jacob.
Blicken wir mal auf ein paar Szenen, die sie im Buch beschreiben. Da wäre unter anderem ein Auftritt von Ihnen beim FDP-Dreikönigsball an der Seite von Guido Westerwelle. Wie tief hat es Sie damals getroffen, dass im Anschluss das Kleid, welches Sie getragen hatten, wichtiger war als Inhalte?
Ich habe es damals meist recht entspannt sehen können, wenn es auch mal um Äußerlichkeiten ging. Mir war sehr klar, dass wir in dieser Zeit, die FDP war seit zwei Legislaturperioden nicht mehr in der Hamburgischen Bürgerschaft und in Umfragen bei zwei Prozent, Aufmerksamkeit brauchten. Wir mussten wahrnehmbar sein, und da war es für mich wichtig, dass wir überhaupt stattfinden. Da kam der Dreikönigsball mit Guido Westerwelle natürlich gerade recht. Allerdings habe ich mich auch einige Male gewundert, wie sehr einige Medien manchmal an der Oberfläche bleiben. Dennoch ging dies oft genug auch mit Interesse an meinen politischen Positionen einher. Ohne diesen medialen Fokus hätten wir nicht diesen Erfolg gehabt.
Braucht es solche Momente, um politisch erfolgreich zu sein?
Es braucht mediale Aufmerksamkeit. Das bringt unser politisches System mit sich. Die Wähler müssen erst erfahren, dass es mich überhaupt gibt, was ich vertrete und dann muss ich die Menschen von mir überzeugen. Das funktioniert nicht im Verborgenen. Ganz zu Beginn hat dafür eine gelbe Regenjacke ausgereicht. Später haben zum Glück auch meine politischen Initiativen und Positionen Aufmerksamkeit erzeugt.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es keine Abrechnung mit der Politik und Ihrer Partei sein soll. Aber Wörter wie „Verrat“ oder die Schilderung, dass Sie Pfefferspray auf eine Sitzung des Landesvorstandes ihrer FDP mitgenommen haben, sind nun wahrlich keine gute Werbung.
Das schließt sich natürlich nicht aus. Ich beschreibe die Dinge, die mir passiert sind. Und glaube schon, dass mir dies in einem Ton gelungen ist, der deutlich macht, mit wie viel Herzblut ich Politik gemacht habe, dass ich viele Parteifreundinnen und -freunde sehr schätze, ihnen viel zu verdanken habe und immer noch ein politischer denkender Mensch mit FDP-Parteibuch bin. Aber es war längst nicht alles rosig für mich, sonst wäre ich geblieben. Entweder man liebt, was man tut, ändert es oder man geht. Für mich war es am Ende letzteres.
Gerade weil sie solche Erlebnisse so detailliert beschreiben, lässt es den Leser betroffen und erschrocken zurück.
Diese Szenen gibt es in meinem Buch. das stimmt. Genauso wie ich andere Erlebnisse beschreibe, die genau das Gegenteil vermitteln, nämlich Freude und Glück.
Sie beschreiben in einem anderen Kapitel ein Abendessen mit einem guten Freund in Berlin. Kaum sitzen Sie am Tisch, erhalten Sie eine SMS von jemanden in Hamburg, der weiß, mit wem Sie gerade wo Essen sind. Wie sehr haben Sie unter dieser ständigen Beobachtung gelitten?
Ich hatte mich mit den Jahren zwar daran gewöhnt, aber es nie genossen. Es gibt ja Menschen, die das schön finden. Hier gab es einen permanenten Widerspruch in mir. Für mich als Politikerin ist es Teil des Erfolges, von Menschen öffentlich wahrgenommen zu werden, mit dem, wofür ich stehe. Politisch habe ich da alles richtig gemacht. Aber für mich als Mensch Katja war das nicht gut. Ich wäre lieber im Verborgenen geblieben. Da schlugen zwei Herzen in mir in ganz unterschiedlichem Takt, damit habe ich all die Jahre gerungen.
Was raten Sie mit Ihrer Erfahrung jungen Menschen, die in die Politik einsteigen wollen?
Um überhaupt gute Politik zu machen, war es für mich wichtig, mir die Option offenzuhalten, sie wieder verlassen zu können. Also unabhängig zu bleiben und selbstbestimmt gehen zu können. Ich brauchte dafür die Gewissheit, mein Leben geht auch danach weiter. Es ist deshalb sicherlich in vielen Fällen sinnvoll, nicht schon direkt nach Ausbildung oder Studium in die Politik zu gehen. Denn dann kann der Absprung schwer sein, weil man nicht weiß, wohin man eigentlich soll.
In ihrem Buch geht es selbstverständlich auch um politische Inhalte. Sie thematisieren unter anderem die Corona-Pandemie, die Sie als Mutter von zwei Söhnen erleben. Da sei das Stichwort Aussetzen des Präsenzunterrichtes genannt. Wie groß waren Ihre Bauchschmerzen bei den Corona-Einschränkungen, die beschlossen wurden?
Das war sehr schwer. Natürlich waren harte Maßnahmen zur Eindämmung notwendig, gerade zu Beginn, als man noch wenig über dieses Virus wusste, notwendig. Ich habe aber im Verlaufe der Pandemie erlebt, dass im Prinzip fast alles dem Kampf gegen das Virus untergeordnet und dabei oft vergessen wurde, welche Nebenwirkungen diese Einschränkungen mit sich bringen. Im Bereich Schule und Familie gab es so harte Auswirkungen, dass mir die Abwägung gefehlt hat. Der Kampf gegen die Pandemie rechtfertigt nicht, die Augen davor zu schließen, welche schwerwiegenden und negativen Auswirkungen Maßnahmen in anderen Bereichen haben. Politik hat die Aufgabe, das im Blick zu haben, und hier ist meiner Meinung nach einiges falsch gemacht worden. Darunter habe ich sehr gelitten.
Sie beschreiben auch einen Twitter-Post zu dieser Thematik, der heftige Gegenreaktionen ausgelöst hatte. Wie erschrocken waren sie über die Emotionalität, mit der diese Debatte geführt wurde?
Das erschreckt mich auch heute noch. Da ist ein tiefer Riss, der quer durch die Gesellschaft geht. Das hat vermutlich jeder schon erlebt, wenn dieses Thema im Freundes- oder Bekanntenkreis aufkommt. Es ist so polarisierend, dass eine Verständigung kaum noch möglich ist. Da versteht man einander oft bewusst miss und eine sachliche Debatte ist kaum noch möglich. Diese Entwicklung macht mir Sorgen.
In unserem Gespräch wird deutlich, Sie sind weiterhin ein politisch denkender Mensch und brennen für liberale Positionen. Fehlt Ihnen jetzt abseits der Politik nicht die Möglichkeit, Ihre Gedanken zu teilen?
Ich kann mich ja nach wie vor äußern, wie es jeder Bürger unseres Landes zum Glück tun kann. Davon mache ich auch weiterhin Gebrauch, wenn auch weniger als zu meiner aktiven Zeit. Ich bin ein politischer Mensch und ich bleibe dies auch. Gerade jetzt gibt es so viele wichtige Themen, mit denen ich mich beschäftige.
Gab es keinen Moment, in dem Sie ihren Rückzug bedauert haben? Sie könnten jetzt Bundesministerin im Kabinett von Olaf Scholz sein.
Bedauert habe ich diese Entscheidung nicht. Es gab da einen Moment, den ich im Buch beschreibe. Die Ampel-Regierung hatte soeben den Koalitionsvertrag vorgestellt. Ich war zu dem Zeitpunkt weit weg auf einer Ranch in den USA und hatte das totale Kontrastprogramm zum aufgeregten Berlin. Da wurde mir mit ziemlicher Wucht nochmal klar, welche Tragweite dieser einfache Satz „Ich werde nicht mehr kandidieren“ hatte. Da musste ich erst mal tief durchatmen. Aber mir wurde schnell klar, dass es richtig ist, was ich tue. Mir geht es sehr gut und ich habe viel mehr Kraft für Dinge, die ich eigentlich machen möchte. Für mich war nach elf Jahren klar, dass nicht mehr im Parlament wirken möchte.
Eine endgültige Entscheidung?
Sag niemals nie, aber ich kann mir derzeit gar nicht vorstellen, dahin zurückzukehren.
Wenn Christian Lindner also nach seiner „Eisbrecherin“ ruft, dann vergebens?
Für den Moment auf jeden Fall.
Der letzte Satz Ihres Buches lautet „Die Reise hat gerade erst begonnen.“ Den haben Sie vor einigen Monaten geschrieben. Sie wirken heute locker und ausgeglichen. Stimmt der Eindruck, dass Sie mit dem bisherigen Reisekurs zufrieden sind?
Absolut. Ich bin glücklich. Denn ich habe mein Leben zurück. Natürlich waren die vergangenen elf Jahre spannend und ich möchte davon auch keinen Tag missen. Es waren besondere Zeiten, ich empfand es als Ehre, Abgeordnete zu sein, und hatte großen Respekt vor dieser Tätigkeit. Aber ich bin froh, dass ich nun diesen Weg gehe, die Reise hat gerade erst begonnen. Es entwickeln sich in meinem Leben gerade so viele Dinge. Es ist noch nicht klar, was ich in den nächsten Monaten und Jahren auf mich zukommen wird,ich bin offen für Neues.
Was raten Sie Menschen, denen es gerade ganz anders geht, die sich in einer Sackgasse wähnen?
Genau dort war ich auch. Meine Strategie war zunächst nach links und rechts zu schauen und mich mit anderen zu vergleichen. Wenn der es schafft, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, dann kann ich das doch auch schaffen, habe ich mir gesagt. Die ist so erfolgreich damit, die macht dies so locker und der hat keine Probleme mit öffentlichen Auftritten – warum hast du die denn, habe ich mich gefragt. Aber der Vergleich mit anderen, den viele Menschen anstellen, hilft überhaupt nicht weiter. Man kann die Antwort auf die Frage, wie man aus einer Sackgasse herauskommt, nur bei sich selbst finden. Man muss in sich hineinhören und dazu braucht man Ruhe. Es muss gelingen, die Stimmen, die wir im Kopf haben, wenn wir am Tag von einem Termin zum nächsten hetzen, auszuschalten, damit wir unsere innere Stimme überhaupt hören können. Das braucht Zeit und es erfordert Konzentration. Ich habe das für mich versucht und es war genau der richtige Weg. So habe ich herausgefunden, was ich eigentlich möchte, und fand heraus aus der Sackgasse.
Haben Sie bedenken, dass mit der Buchveröffentlichung wieder mehr Aufmerksamkeit auf Sie zukommt?
Ja, die habe ich. Zwischendurch habe ich sogar überlegt, das ganze Projekt abzusagen. Aber ich möchte meine Geschichte erzählen. Und zum Glück kann ich bei meinem Buchprojekt viel besser als zuvor in der Politik auswählen kann, welche Termine ich wahrnehmen möchte und welche nicht. Es ist eine ganz andere Art, in der Öffentlichkeit zu stehen.
Viel selbstbestimmter?
Ja. Viel selbstbestimmter. Das ist nun eine Zeitlang so und damit kann ich gut leben.
Was bedeutet Ihnen die rotarische Gemeinschaft?
Viel. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und neue Freundschaften geschlossen. Ich finde es großartig, dass da Menschen zusammenkommen, um etwas Gutes zu tun. Ich finde, dies ist eine wunderbare Idee. Ich habe noch keinen Tag bereut, Teil dieser Gemeinschaft zu sein und versuche, auch den ein oder anderen aus dem Freundeskreis dafür zu werben.
Copyright: Andreas Fischer
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