Editorial
Rettung aus dem Labor?
Globales Artensterben
Es ist leise geworden vor unseren Haustüren. In Wäldern, Gärten und auf Wiesen sind immer weniger Singvögel zu hören. Fast drei Viertel der einheimischen Vogelarten stehen auf der Roten Liste. Das globale Artensterben ist längst in Deutschland und Österreich angekommen. Die Zahlen sind alarmierend: Laut des jüngsten Reports des Weltbiodiversitätsrats sind weltweit eine Million Arten vom Aussterben bedroht, drei Viertel der Landfläche seien signifikant verändert, 66 Prozent der Meeresfläche mehrfachen Belastungen ausgesetzt und 85 Prozent der Feuchtgebiete verloren, berichten die Experten.
„Die Defaunation des Anthropozäns – die Entleerung der Tierwelt in der Menschenzeit – ist neben dem Klimawandel die wohl größte Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert“, schreibt der Hamburger Biodiversitätsforscher Matthias Glaubrecht zum Auftakt unserer Titelgeschichte. Er bewertet die Beschlüsse der Weltnaturschutzkonferenz von Montreal und fordert ihre strikte Umsetzung: „Wenn uns dies nicht gelingt, wird das Leben auf der Erde andere Wege einschlagen, doch dann sehr wahrscheinlich bald ohne uns.“
Zu den wichtigsten Ursachen des globalen Artensterbens gehören die Übernutzung der Tier- und Pflanzenarten sowie die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensräume. Da das Wachstum einiger großer Volkswirtschaften auf der Ausbeutung der Natur gründet, wollen sich Wissenschaftler wie Thomas Hildebrandt nicht auf eine Verhaltensänderung der Menschen verlassen, sondern wenden sich seit einigen Jahren verstärkt molekulargenetischen Methoden zu. Die künstliche Befruchtung von Wildtieren, das Erzeugen von Klonen, der Einsatz der Genschere und die Stammzellentechnologie sollen künftig dazu beitragen, den Artenschwund zu bremsen. Darüber hinaus arbeiten Reproduktionsbiologen daran, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und vom Menschen ausgerotteten Spezies wie dem Tasmanischen Tiger oder dem Nördlichen Breitmaulnashorn eine zweite Chance zu geben.
Auch Hermann Ott glaubt nicht recht an eine freiwillige und umfassende Verhaltensänderung der Menschen. Der Chef der Umweltrechtsorganisation Client Earth fordert daher, die Rechte der Natur im Grundgesetz zu verankern. Dann wäre nicht mehr erlaubt, was nicht verboten ist, sondern die Rechte der Natur gälten: „Wer sie einschränken will, muss gute Gründe haben.“ Das hätte auch den Vorteil, so Ott, dass Ökosysteme in ihrer Ganzheit in den Blick genommen würden, nicht nur ihre einzelnen Teile.
Unser Kollege Wen Huang, Chefredakteur des US-Rotary-Magazins, ist zum Jahresende in die Ukraine gereist, um sich ein Bild von den polnischen und ukrainischen Hilfsprojekten anlässlich des Krieges zu machen. Eigentlich war er im Urlaub in Berlin, als er einen Anruf des Lemberger Rotariers Borys Bodnar erhielt, der ihn über Warschau bis nach Lemberg lotste. Huang ließ sich auf das Abenteuer ein, erlebte bedrückende Momente, einen Bombenalarm und trauernde Menschen in der Kirche, aber er traf auch auf hochmotivierte Rotarier, die ihn mit ihrer Zuversicht und Tatkraft beeindruckten. Darüber hinaus ziehen wir ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine Zwischenbilanz: Neun von zehn Rotary und Rotaract Clubs haben sich in der Ukraine-Hilfe engagiert. Das ist das zentrale Ergebnis der Begleitforschung des Deutschen Governorrates (DGR).
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht
Björn Lange
Chefredakteur
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