Peters Lebensart
Das Geschenk der Bienen
Honig ist eine Urspeise der Menschheit (und der Bären). Eine Delikatesse, deren Genuss uns mit der Steinzeit verbindet
Was in Supermärkten laut Etikett als Mischung aus EU-Honigen und Nicht-EU-Honigen angeboten wird, hat allerdings nur noch wenig mit Wildbienenhonig von einst zu tun. Vermutlich ist den Insekten Zuckerwasser zugefüttert und das Produkt durch Wärmehandlung dauerhaft flüssig gemacht aber auch heilender Inhaltsstoffe beraubt worden. Man muß nicht nach Polen, Belarus oder auf die Sundainsel Timor reisen, wo noch klassische Zeidlerei, also Sammeln von wildem Honig in Wäldern betrieben wird. Es gibt genügend hochwertige Spezialitäten vom Imker: silbrigcremiger Rapshonig von der Insel Fehmarn, Alpenblumenhonig aus dem Hochzillertal oder kräftiger Kastanienhonig. Wer raffinierte Gaumenreisen schätzt, kann auf schottischen Highland Honey, ägäischen Inselhonig, der zu hellenischem Schafsjoghurt mundet oder sardischen miele di corbezzolo, der Blütenaromen des wilden Erdbeerbaums einfängt, zurückgreifen – und versuchen, die Landschaft mitzuschmecken. Das sündteure neuseeländische Wunderheilmittel Manuka-Honig habe ich mir noch nicht geleistet, dafür eine sizilianische Rarität. In der Antike galt der vielbesungene Honig der Hybläischen Berge, also der heutigen Provinzen Ragusa und Siracusa, als der allerfeinste. Enthusiasten ist es gelungen, ein Volk der fast ausgestorbenen Schwarzen Biene aufzupäppeln und mit dieser Ape Nera Sicula den süßen Mythos wieder schmeckbar zu machen.
Honig hat Tradition. Unsere altmodischen Imkergläser (pfandfrei, aber bitte zurückgeben!) sind ein Stück heimischer Identität, das Schnupfen-Rezept Heisse Milch mit Honig auch. Er ist in allen Sprachen positiv besetzt. Vom honeymoon und der Allah gefälligen Heilmission der Bienen im Koran bis zu Wundergeschichten. Immen träufelten, ohne zu stechen, Honig in die Münder des griechischen Dichters Pindar und des Kirchenvaters Ambrosius, so dass ihre Poesie oder Predigt süß wie Honig klang. Doctor Mellifluus, honigfließender Theologe, diesen gastrosophischen Ehrentitel trägt Bernard von Clairvaux, Chefideologe der Zisterzienser. Bei soviel emotionalen Assoziationen verbunden mit der Bewunderung für den Bienenstaat, von dem wir alle im Biologieunterricht gehört haben, ist es kein Wunder, dass 2019 das bayerische Volksbegehren „Rettet die Bienen“ hohe Wellen schlug. Schließlich sind sie als Bestäuber lebenswichtig für die Natur – und leiden unter Chemiekeulen der Landwirtschaft.
Zurück zur Praxis: Nicht nur Wikinger tranken aus Ochsenhörnern vergorenen Honig-Met. Wildhonig aus dem Reichswald war Grundzutat für Nürnberger Lebkuchen, ähnlich verhält es sich mit Thorner Kathrinchen. Während die selten gewordenen sprichwörtlichen Honigkuchenpferde heute eher mit Billigzucker gesüsst werden, fordert das Rezept für echte Elisen Honig. Der war auch wichtig zum Einlegen und Konservieren – in der Levante sind Nüsse in Honig eine beliebte Leckerei. Die feine Küche lackiert Enten und Kochschinken damit. Echter griechischer Meeräschenrogen (taramas) wird in Bienenwachs gehüllt und das Steirereck in Wien gart Saibling in heißem goldgelbem Wachs. Gesundheitsbewusste Frühstücksbuffets servieren honiggefüllte Waben, aus denen der Gast mit einem Holzlöffel den Seim herauspressen kann.
Ich freue mich schon auf mein nächstes Honigbrot. Den Aufstrich habe ich gerade erworben. Er stammt aus dem wundervollen botanischen Garten, den Carl von Linné in Uppsala anlegen ließ. En ren naturprodukt steht auf dem Glas: ein reines Naturprodukt.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
pietropietro.deWeitere Artikel des Autors
11/2024
Geheimnisvolle Zitrusfrüchte
10/2024
Abruzzen statt Toskana
9/2024
Der Hype um High Protein
7/2024
To go, to sit oder im Liegen?
6/2024
Die Mischung macht’s …
5/2024
Bis Johanni, nicht vergessen, …
4/2024
Hanseatisches Erbe in der DNA
3/2024
Moderne Tischsitten
3/2024
„Wir sehen Gäste als unsere Arbeitgeber an“
2/2024
Essen auf Rädern – eine Polemik
Mehr zum Autor