TV-Kritik
Vierteiliger Blick in den Abgrund
Lust, einmal in die Abgründe österreichischer Politik zu blicken? Kein Problem. Die neue Mini-Serie „Die Ibiza-Affäre“ vom Pay-TV-Anbieter Sky macht es möglich.
Das verfilmte Drehbuch basiert auf dem Sachbuch „Die Ibiza-Affäre: Innenansichten eines Skandals“, welches die beiden Redakteure der Süddeutschen Zeitung (SZ), Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, 2019 veröffentlichten. Den beiden Investigativjournalisten, die schon zu den Panama Papers recherchiert hatten, wurde einst das Ibiza-Video angeboten.
Die Mini-Serie ist nicht nur etwas für schadenfrohe Leute, die von den aktuellen Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz nicht genug bekommen. Sie ist etwas für alle, die auf eine Mischung aus Thriller und komödiantischer Polit-Farce stehen – und auf gleich mehreren Ebenen bestechend. Da ist zunächst die erstklassige Besetzung: Andreas Lust verkörpert Österreichs Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Nicholas Ofczarek den Privatdetektiv Julian Hessenthaler. Letzterer spielt seine Rolle so dominant, dass die Serie zeitweise wie ein Ein-Mann-Kammerspiel wirkt. Das Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters mit breitem Wiener Akzent, Zigarette und Wohlstandsplautze brilliert wieder einmal als Charakterdarsteller. Vor allem gegen Ende der Serie, wenn er eine ängstliche, gebrochene Person spielt. Ja, auch diese kann Ofczarek spielen, dieser hünenhaft wirkende Schauspieler, der viel größer als seine 1,84 Meter erscheint. Seine Präsenz in der Serie stößt an die Grenze des Ertragbaren. Aber eben nur an die Grenze, das macht Ofczareks Rolle so eindrücklich, die Serie so sehenswert.
Erzählt wird die Geschichte des Wiener Rechtsanwalts Ramin Mirfakhrai, gespielt von David A. Hamade, der mit großer Besorgnis den Aufstieg der FPÖ in Österreich unter Heinz-Christian Strache, kurz HC genannt, beobachtet. Im privaten Umfeld wird gar befürchtet, dass der Familie mit Migrationshintergrund die Abschiebung drohen könnte, sollte die FPÖ die nächsten Nationalratswahlen gewinnen. Mirfakhrai will dies verhindern. Wie gut, dass er belastendes Material gegen HC Strache in der Hand hat. Aber wie nutzen? Da kommt der Privatdetektiv Julian Hessenthaler ins Spiel, der ihm vorschlägt, Strache bei einer illegalen Äußerung vielleicht sogar Handlung zu filmen. Gemeinsam mit dem bereits vorliegenden Material würde er stürzen müssen. Schluss. Aus. Ende mit Politik-Karriere. Die Ibiza-Idee samt russischer Oligarchin wird geboren.
Zack, zack, zack wird ein genau ausgetüftelter Plan umgesetzt, wobei die Serie die Entwicklung nicht linear zeigt, sondern immer wieder zwischen den Jahren hin- und herspringt. Dadurch wird beim Zuschauen das Gehirn mitunter arg angestrengt, aber wer die „Ibiza-Affäre“ schaut, hat auch keinen seichten Trip auf dem Traumschiff gebucht.
Die Serie beginnt mit dem Moment, als die beiden Journalisten der SZ zum ersten Mal das Videomaterial sichten. Also Monate nachdem der Anwalt und der Privatdetektiv zueinander finden. Der Zuschauer weiß eh, wie die Sache ausgeht. Deshalb nutzt Regisseur Christopher Schier gekonnt Rückblenden, verschärft das Erzähltempo mit Zeitsprüngen, um dann wieder abgetaucht in Wiener Gemütlichkeit weiter zu erzählen. Es ist auch der Mix an Darstellungsarten, plötzlich tauchen etwa Kasperle-Theaterpuppen auf und setzen dem ganzen komödiantisch die Krone auf, die die Serie so sehenswert machen.
Anders als bei einem James-Bond-Film, wo man passenderweise beim Zuschauen sich einen Wodka-Martini gönnen würde, müsste hier auf dem Wohnzimmertisch eine Wodkaflasche, Red-Bull-Dosen, eine Champagnerflasche sowie ein guter Kaffee stehen. Ein richtig guter Kaffee. Oder gleich ein Einspänner vom Café Hawelka. Sichtbare Dekadenz, als wäre man in einem der Wiener Nobelhotels, die in der Serie zu sehen sind. Und ein Aschenbecher mit unzähligen Zigarettenstummeln, die Rauch verteilen. Ein bisschen nach verruchtem Hinterzimmer muss es auch aussehen. Schließlich wird einer der bekanntesten österreichischen Politiker reingelegt. All dies zusammen würde das ideale Ambiente beim Schauen der Serie kreieren.
Und im Hintergrund etwas Musik. Auch hier müsste es dann ein Mix sein. Wobei? Dieser Mix wäre dann so verrückt, dass ein Verzicht auf Musik verständlich ist. In der Serie ist nämlich neben Elektro-Musik, dafür ist die Insel Ibiza bekannt, auch typisches aus Österreich zu hören. Wo Nicholas Ofczarek mitspielt, darf Sänger Wolfgang Ambros nicht fehlen. Das war schon in der Serie „Der Pass“ so. Aber spätestens beim Lied „Awarakadawara“ von Ernst Molden ist man so tief in den österreichischen Niederungen von Liedgut eingetaucht, wie man es nie wollte. Das tut der Brillanz der Serie aber keinen Abbruch.
Man braucht nicht zu erwähnen, dass natürlich zu sehen ist, wie Andreas Lust als HC Strache in einer Finca auf Ibiza darüber fabuliert, wie er die Presselandschaft in Österreich zu seinen Gunsten gestalten will und dazu passend öffentliche Aufträge vergeben werden sollen. Viel sehenswerter ist jedoch, wie zunächst auf diesen Abend hingearbeitet wird und nach dem Produzieren des Videos Anwalt und Privatdetektiv sich abmühen, überhaupt Interessenten für dieses heißes Material zu finden. Die Gewissenhaftigkeit der SZ-Journalisten – diese beansprucht viel Zeit – beim Sichten und Recherchieren geben eine interessante Inneneinsicht in den Investigativjournalismus. Diese verärgert wiederum die Video-Anbieter, die viel früher die Bombe zum Explodieren bringen wollten. Letztlich explodiert sie. Ein politisches Erdbeben erfasst Österreich, wie die Serie den Zuschauer packt.
Die Serie „Die Ibiza-Affäre“ ist abrufbar beim Pay-TV-Anbieter Sky und wird zudem auf dem Kanal Sky Atlantic gezeigt.
Copyright: Andreas Fischer
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