Titelthema
von Peter Köpf |
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Posen, posten und pausieren: Warum Millionen Menschen Fitnessclubs aufsuchen und was sie dort treiben.

In meinem Fitnessclub, der – vermutlich versehentlich – nach dem Gründer der Kommunistischen Arbeiterpartei der USA benannt ist, trifft sich tout Berlin: alle Farben, alle Nationen, alle Ages, alle Styles, aufgetakelt mit Implantaten, Paintings und Metallen an allen sichtbaren Stellen des Körpers (und davon gibt es reichlich). Schon morgens um halb zehn ist er Laufsteg des Lifestyles, Jahrmarkt der Eitelkeit mitten in der City, allerdings mit weniger Kostüm als bei Thackeray (weniger ausladend, eher einladend); das Gym ist keine Erziehungsanstalt, sondern ein Ort der Obszönitäten, Spargel und Schlackwurst, auch Krampfadern und demütig der Schwerkraft gehorchende Gesäße, verpackt in anschmiegsamen Hemden und Hosen. Doch niemand erlebt hier ein Waterloo; Bodyshaming ist Jung und Alt jeglicher Gender verboten. Das Gym ist gelebte Body-Positivity. Das begeistert auch die grauen Herren. Alles ist möglich, nichts muss. Bei Bird Dog, French Press, Triceps Dips ist jeder sein eigener Held, und wenn’s andere merken – umso besser. Lauter dufte(nde) Typen. Welch ein Dorado für Forschende mit Gespür für das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit.

Alles rennet, hechelt, schwitzet?
Mitnichten.
Er konzentriert sich, meistens stumm,
er stöhnt und schwitzt,
sie sitzt und schwatzt,
manchmal ist es andersrum.

Knapp zwölf Millionen Mitgliedschaften melden die Fitnessclubs in Deutschland, 1,2 Millionen in Österreich. Nicht allen wird beim Work-out warm, aber beim Walk to Fame sind Anzeichen von Anstrengung ohnehin verpönt. Eine freihändige Erhebung ergab, dass die Anhänger von John Reed (sein Co-Gründer hieß übrigens Wagenknecht) rund 15 Prozent der Zeit an den Geräten verbringen. Durchschnittlich. Ein Siebtel. Knapp zehn Minuten pro Stunde. Der Rest ist posen, posten und pausieren. Freiheit ist die Freiheit des Anderstrainierenden. Soll jedoch die angestrebte Nivellierung des Leistungsniveaus erfolgreich abgeschlossen werden, sind staatliche Vorgaben zu erwägen.

Einmal saß eine junge Frau an einem Gerät, lesend, in einem Buch, nicht am Smartphone. Welcher kultivierte Mensch hätte sie nicht angesprochen?

„Sie sind hier eine echte Attraktion.“
Lächeln. „Ach, ja? Wieso?“
„Ich habe hier in 14 Jahren noch nie jemand mit einem Buch gesehen.“ Sie blickt sich um und nickt. „Ja“, sage ich, „alle schauen aufs Handy.“
Wieder nickt sie: „Ich habe meins auch dabei“, sagt sie. „Ich benutze es als Lesezeichen.“

Sie las ausdauernd und ohne zu schwitzen. Der angestrebten Nivellierung des Leistungsniveaus ist auch das sicher nicht zuträglich.

John Reed ist übrigens kein guter Name für einen Fitnessclub, seine Kraft reichte nur für knapp 33 Jahre. Seit 1920 ruht er sich in einem Ehrengrab an der Kremlmauer von den Anstrengungen des Lebens aus.

Peter Köpf

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