Kolumne Peter
von Peter Peter |
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Deutschland ist Vize-Weltmeister im Zuckerverbrauch – wie kam es bloß dazu?

 

 

 

Die Lebensmittelampel ist in aller Munde. Potenziell schädliche Inhaltsstoffe wie Salz, Fett, Zucker sollen deutlicher sichtbar gemacht werden. Ein Anlass, uns klar zu werden, wie viel Süßes wir eigentlich unbemerkt zu uns nehmen. Unsere Gesellschaft hat ein Zuckerproblem. Der einst begehrte Süßstoff ist für viele zum Risikofaktor geworden, zum weißen Gift. Stattdessen boomt Coke Zero – „free from sugar“. Wie konnte dieser Imagewandel entstehen?

 

 

 

Seit der Steinzeit sehnte sich die Menschheit nach Süßem – schließlich schmeckt schon Muttermilch so. Man war gierig auf Honig: Imkerei scheint eine der frühesten Techniken sesshafter Nahrungsgewinnung zu sein. Man schätzte Trockenfrüchte wie Rosinen, Most aus Trauben oder Johannisbrot, eingekochte Latwerge mit Fructose. Kinder kauten Süßholz oder saugten winzige Honig-Tröpfchen aus Taubnesseln.

 

Dann kam Zucker, ein arabisiertes Sanskrit-Wort. Das „Rohr, das ohne Einsatz von Bienen Süßes gibt“, wanderte von Neuguinea nach Indien, Persien und zum Mittelmeer: Saft aus frischem Zuckerrohr gehört heute noch zu den Genüssen Ägyptens. In Europa wurde es erstmals vor tausend Jahren im muslimischen Sizilien angebaut. Cassata mit kandierten Früchten erinnert an das orientalische Erbe.

 

 

 

 

 

Doch die über Venedig importierten Zuckerhüte waren ein extrem teures Prestige-Produkt. Philippine Welser, Tochter einer Augsburger „Milliardärssippe“, kritzelt in ihr Renaissance-Kochbuch: „vor allen dingen den Zugkher nit sparen und streut ihn reichlich über Fischtorte, Schinken und Hühnermus.“ Caterina de’ Medici, französische Königin, reist zum Hellseher Nostradamus, um sich Rezepte für Konfitüren und Quittengelee geben zu lassen. Dass Hofarzt Jean-Baptiste La Bruyère-Champier warnte: „Zucker lässt das Blut kochen und greift die Zähne an“, schert sie wenig.

 

 

 

 

 

 

 

Als Kolonialmächte in Brasilien und auf den Antillen Plantagen anlegten und Millionen Afrikaner dafür versklavten, wurde Zucker zum verbreiteteren Luxus. Die neuen bitteren Volksgetränke Kakao, Kaffee und Tee, die auch der einfache Mann zu süßen begann, garantierten riesige Gewinnspannen.

 

 

 

Der Siegeszug der Zuckerrübe beginnt als Ersatzstoff während der napoleonischen Kontinentalsperrre. Doch erst als mit der Sklavenemanzipation 1833 der Rohrzuckerpreis stieg, setzte man voll auf Rübe. Zucker wurde erschwinglich, aber nicht billig. Kinder gierten weiter nach Zuckerln und Bonbons, Erwachsene nach süßen Weinen, und dass die böhmische Köchin im Obstknödel ein Zuckerstückchen versteckte, galt als köstlicher Kniff.

 

 

 

Dolce vita? Süß blieb begehrt in den Mangeljahren der Weltkriege und den Vollmilchschoko-Jahren der Nachkriegsschlemmerei. Aber solange wir noch selbst gekocht und Schülern ein Pausenbrot mit Apfel statt eines Riegels mitgegeben haben, hatten wir den Konsum einigermaßen unter Kontrolle. Süß war Schleckerei, nicht Alltag. Heute sind gesüßte Fertiggetränke und, gefährlicher noch, convenience food wie manche Tiefkühlpizza wahre Zuckerfallen, weil er als geheimer Geschmacksverstärker eingesetzt wird. Das hat lange wenige gestört, weil die populäre Diätologie eher auf Fettvermeidung fokussiert war. Erst im neuen Millennium boomt die Zuckerphobie, fürchten wir uns vor Kohlehydratzucker in Pasta, Brötchen und Kartoffeln.

 

 

 

Zucker ist kein Gift. Ein Löffelchen im Espresso bringt uns nicht um, gedankenloser Konsum von zuckerhaltigen Fertigprodukten schon eher. Der Alchemist Paracelsus hat recht. Es kommt auf die Dosierung an. Und daher ist die Zuckerampel keine schlechte Idee.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Peter Peter

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