Entscheider-Interview mit Axel Hellmann
"Die Championsleague-Hymne ist für uns etwas Besonderes"
Der Erfolg von Eintracht Frankfurt ist entscheidend mit Axel Hellmann verbunden. Der Vorstandsprecher steht wie kein zweiter für Seriösität und finanzielle Vernunft.
Axel Hellmann gibt selten Interviews. Er weiß genau, was seine Aufgabe bei Eintracht Frankfurt ist, und der Lautsprecher zu sein, gehört für ihn nicht dazu. Er agiert lieber im Hintergrund – dafür seit Jahren umso erfolgreicher.
Im Herzen von Europa oder die Championsleague-Hymne – Welches Lied hören Sie lieber im Stadion?
Im Herzen von Europa.
Warum?
Diese Hymne passt mit all ihren Aussagen zu uns. Allein das Motto „Im Herzen von Europa“ spiegelt die Lebenseinstellung in dieser Stadt und auch meine persönliche wider. Ich würde mich als weltoffen, International und absolut pro-europäisch bezeichnen. Ich glaube, dass gilt für die Frankfurter im Allgemeinen und für die Eintracht-Fans im Besonderen
Aber steht die Championsleague-Hymne nicht für den derzeitigen Erfolg des Vereins? Einen Erfolg, für den man sich selbstbewusst auf die Schulter klopfen kann?
Die Frage war ja, was ich lieber höre. Natürlich ist die Championsleague-Hymne hier herzlich willkommen. Aber wir sind nicht so vermessen, zu glauben, dass daraus ein Dauerzustand wird und wir die Hymne hier jedes Jahr hören werden. Wir wissen sehr genau, wo wir als Club mit unserer sportlichen, wirtschaftlichen und emotionalen Entwicklung herkommen. Für uns ist die Championsleague-Hymne etwas Besonderes, aber inhaltlich ausdrucksvoller ist natürlich unsere Eintracht-Hymne „Im Herzen von Europa“. So lautet übrigens auch unsere Postadresse. Sie müssen sich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass wir der einzige Club sind, der tatsächlich die erste Zeile seiner Vereinshymne zu einer Postadresse hat machen können. Diese Symbolik könnte größer nicht sein. Bei uns und in der Stadt ist die Postadresse somit Programm.
Nennen Sie mir die drei wichtigsten Faktoren für die jüngsten Erfolge des Vereins.
Aus einer gewissen Flughöhe betrachtet ist personelle Kontinuität, Erfahrung und Ruhe im Management aus meiner Sicht der wichtigste Faktor. Sie sehen die Vereine, in der Leute in Ruhe arbeiten können und schon lange dabei sind. Nehmen Sie Freiburg oder Union Berlin, wo auch die Trainer schon lange auf der Bank sitzen. Das sind Vereine, die trotz begrenzter Mittel übermäßig gut performen, wie man neudeutsch sagen würde. Personelle Stabilität halte ich auf allen Ebenen in einem Fußballclub für entscheidend. Mit unserem Präsidenten Peter Fischer und mir haben auch wir diese Kontinuität. Der zweite Faktor ist, dass man alles der sportlichen Exzellenz unterordnen muss. Wirklich alles. Wenn man links und rechts Nebengeräusche zulässt, kann man am Ende nicht erfolgreich sein. Das Primat des sportlichen Erfolges steht über allem. Deswegen ist es in entscheidenden Phasen wichtig, wenn man zum Beispiel im Europapokal ins Viertel- oder Halbfinale einzieht, dass links und rechts des Weges alle Lampen ausgeschaltet sind. Alles, was notwendig ist, wird für diesen Titel gemacht. Dafür haben wir vergangene Saison auch einen gewissen Preis bezahlt und waren in der Bundesliga nicht ganz so erfolgreich. Der dritte Punkt ist ein vorbildliches und seriöses Agieren. Wenn Sie am Finanzplatz Frankfurt nicht die bestmögliche Glaubwürdigkeit bei finanziellen Themen haben, dann vertrauen Ihnen Sponsoren und Kapitalgeber Ihr Geld nicht an. In diesem Dreieck, personelle Qualität, sportliche Exzellenz und kaufmännische Seriosität, müssen Sie versuchen, das Bestmögliche zu erreichen. Da ist unsere Entwicklung in den vergangenen sechs bis sieben Jahren ein Beispiel.
Gehen wir bei den drei genannten Faktoren doch mal ins Detail. Zuerst nannten Sie personelle Kontinuität. Blicken wir mal gar nicht so weit zurück. Am 14. April 2021 gab Ihr Verein bekannt, dass Sportvorstand Fredi Bobic die Eintracht vorzeitig verlassen wird. Einen Tag zuvor wurde der Wechsel von Trainer Adi Hütter zu Gladbach bekannt. Das ist keine Kontiunität, sondern ein überraschender Umbruch gewesen.
Ja, personelle Wechsel und Fluktuation wird es im Sport immer geben. Aber Sie dürfen bei einem Club nicht die anderen personellen Säulen, also Vorstand, Aufsichtsratsvorsitzender, Präsident oder die zweite Führungsebene, vergessen. Ich glaube, dass es immer Veränderungen auf der Spielerseite, auf der Sportdirektorenseite oder auf der Trainerseite geben wird. Das ist Teil des Systems. Sowohl im Misserfolgs- als auch im Erfolgsfall kann und muss man Dinge immer wieder neu adjustieren. Für uns waren die beiden angesprochenen Abgänge ein kurzfristiger Substanzverlust, aber sie haben uns zugleich die Chance eröffnet, ein paar Dinge so zu verändern, dass neue Impulse in das System kamen. Ich bin überzeugt, dass diese Impulse auch wichtig waren, um den Europapokal-Titel zu holen.
Mit Adi Hütter und Fredi Bobic hätten Sie also den Titel nicht gewonnen?
Das ist Spekulation. Ich verstehe das Gedankenspiel hinter dieser Frage, aber ich kann es Ihnen nicht sagen. Wir waren mit beiden ja auch sehr erfolgreich. Mit Fredi Bobic haben wir den DFB-Pokal geholt, mit beiden sind wir ins Halbfinale des Europapokals eingezogen. Für mich folgt aber etwas anderes daraus: Am Ende kommt es nur im Detail auf Bobic, Hütter oder wahrscheinlich auch Krösche und Glasner an, den Rahmen für den Erfolg setzen alle zusammen in einem Club und da haben wir uns in den letzten zwölf Monaten nochmal weiterentwickelt. Deshalb prognostiziere ich Ihnen, auch wenn im sportlichen Bereich in fünf Jahren andere Leute arbeiten, wird der Verein weiterhin erfolgreich sein.
Der zweite Faktor war die Seriosität, die man ausstrahlen muss. Nun haben wir ein Championsleague-Spiel in Marseille gesehen, bei dem es zu Ausschreitungen kam. Ihr Präsident hat gar das Wort „Bürgerkrieg“ in den Mund genommen. Fürchten Sie, dass daraus ein Imageschaden für den Verein entsteht?
Grundsätzlich ist es bei Eintracht Frankfurt kein neues Phänomen, dass wir in der Bandbreite der vielen Fans auch Menschen anziehen, die ihre gewalttätigen Neigungen ausleben. Wir haben mehr als 115.000 Mitglieder und zwei Millionen Fans und sind ein Club mit einer hohen Emotionalität und Leidenschaft. Wir müssen mit solchen gesellschaftlichen Phänomenen und der Gewalt umgehen, sich ihr entgegenstellen. Kein Club ist erfreut über seine Gewalttäter, die da mitreisen. Aber wir müssen auch erkennen, was eine ganz große Mehrheit von Fans dazu sagt und was der Club versucht, dagegen zu unternehmen. Wer immer nach harten Maßnahmen gegen „die“ Fans ruft, versteht nicht, dass es hier eine Bandbreite von Jugendkultur bis hin zu krimineller Energie gibt, und wir deshalb auch eine Brandbreite von Ansprache bis hin zu Sanktionen brauchen. Das ist eine graue Zone, in der man sich bewegt, aber keine, die zu einem nachhaltigen Imageschaden führt. Ich habe auf der Mitgliederversammlung klar gesagt, wie wir als Verein dazu stehen: wir tolerieren das nicht.
Es gab Zeiten, da hat der Finanzplatz Frankfurt einen großen Bogen um den Verein gemacht. Da wussten Sie bis kurz vor Saisonbeginn nicht, welches Unternehmen Trikotsponsor sein wird. Inzwischen ist die Deutsche Börse starker Partner und das Stadion trägt bereits den zweiten Banknamen. Nun verbindet die Eintracht alle in der Region. Fürchten Sie nicht, dass dieser positive Trend sich wieder umkehren könnte?
Das glaube ich nicht, wenn die Eintracht sich weiter verpflichtet fühlt, im Sinne der Region und Ihrem Lebensgefühl Sport anzubieten. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Eintracht nicht nur ein Profi-Fußballverein ist. Wir haben 52 andere Sportarten, die tief in dieser Stadt verankert sind. Wenn wir uns den Lebensbedürfnissen der Menschen weiter annehmen, dann sind wir in der Stadtgesellschaft und in der Unternehmenslandschaft nicht mehr wegzudenken. Aus meiner Sicht besteht kein Risiko, dass dieser Prozess sich umkehrt.
Aber es war ein harter Weg dorthin zu kommen, oder?
Der Weg hat zwei Herausforderungen. Die eine ist die sportliche Seite. Wenn man über einen langen Zeitraum sportlich erfolgreich ist, dann ist die Akzeptanz größer. Dann hast du es leichter, deine Botschaften zu verbreiten. Aber viel wichtiger ist die wirtschaftliche Glaubwürdigkeit. Die Leute müssen sich sicher sein können, dass in Zeiten knapper Kassen sorgsam mit dem Geld umgegangen wird. Der Begriff der wirtschaftlichen Vernunft ist einer, den ich hier gerne verwende. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass wir uns immer am oberen Limit unserer Möglichkeiten bewegen, aber den Bogen nicht für kurzfristigen sportlichen Erfolg überspannen. Dieses Bewusstsein ist bei uns tief verankert und wir genießen großes Vertrauen bei den Menschen in der Region.
Gab es den ein oder anderen Transfer, den Sie deshalb nicht tätigen konnten?
Ja, ganz sicher. Wir mussten auf der Transferseite Einschränkungen in Kauf nehmen. Wir haben uns hauptsächlich verpflichtet gefühlt, vor allem nach ablösefreien Spielern zu suchen. Das haben wir auch getan. Mit Kolo Muani haben wir aus unserer Sicht ablösefrei eine Perle gefunden. Das gelingt einem nicht immer. Aber wir haben unseren Fokus an die wirtschaftlichen Begebenheiten anpassen müssen.
Trotzdem ist es Ihnen gelungen, wichtige Spieler zu halten, für die es Interessenten gab. Zu nennen sind da Kevin Trapp und Djibril Sow. Was haben Sie bei denen finanziell draufgelegt, dass die bleiben?
Sie werden verstehen, dass ich dazu im Detail nichts sagen kann. Es geht da immer auch um Perspektiven und Optionen, die man den Spielern anbietet. Aber wir können finanziell bei weitem nicht das anbieten, was die Spieler bei einem Wechsel beim anderen Verein hätten verdienen können. Gerade dann, wenn die Spieler in die Premier-League nach England wechseln. Aber es gibt noch etwas anderes, was den Spielern wichtig ist. Neben dem Verdienst geht es Ihnen auch um das Lebensgefühl und die Wertschätzung. Und, was ganz wichtig ist, die optimale Entwicklungsmöglichkeit für ihre sportliche Leistungsfähigkeit. Da haben wir mit dem Proficamp, was wir errichtet haben, richtig aufgeholt. Die Stadt ist international und die Fans sind so leidenschaftlich, wie kaum woanders. Hier hast du Spaß zu arbeiten und fühlst dich wohl. Wir haben ein sehr familiäres Team- und Mannschaftsgefüge. All diese Faktoren sind neben den wirtschaftlichen total entscheidend. Dieses Gesamtpaket lässt Spieler überlegen, gehe ich für mehr Geld irgendwo hin, oder bleibe ich für den Verdienst da und habe sehr viel Freude an meiner Arbeit.
Welche Ziele hat sich die Eintracht für diese Saison gesetzt?
Wir haben immer gesagt, wir sind ein Club, der unter die Top Ten gehört. Wenn man sich unter den ersten Zehn sieht, ist der Weg zu den internationalen Plätzen nicht weit. Unser Anspruch ist es, sich für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren.
Top Ten ist auch etwas niedrig gestapelt.
Das kann man nicht sagen. Vergangene Saison sind wir elfter geworden und ich halte die Bundesliga in dieser Saison für schwerer, weil sie sich nicht nur an den Budgets orientiert, sondern an den gefestigten Teamgefüge, was sie zum Beispiel bei Union Berlin oder dem SC Freiburg haben. Ein Stammgast unter den Top Ten zu sein ist schon sehr solide. Wenn man dann etwas besser ist, dann rückt man auch mal auf die europäischen Plätze. Wir müssen da die Kirche im Dorf lassen. Wir haben bei Weitem nicht das Budget wie etwa Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg oder RB Leipzig.
In den genannten Fällen hat dies aber auch mit den Vereinsstrukturen und Geldgebern im Hintergrund zu tun. Da gehen Sie als Eintracht Frankfurt ja bewusst einen anderen Weg.
So ist es.
Kommen wir mal zu Ihrer Person. Sie sind seit dieser Saison Mitglied im DFL-Präsidium. Als die Nachricht kam, habe ich mich zuerst gefragt: Was für Ressentiments gibt es in Köln und Hoffenheim gegen Ihre Person?
(lacht) Die Hoffenheimer haben es selbst ja erklärt, die haben sich bei der Abstimmung verdrückt. Im Fall des 1. FC Köln müssen Sie die Kölner fragen. Das Verhältnis zu dem 1. FC Köln war immer hervorragend als Alexander Werle noch dort tätig war.
Es gab also nicht mal Streit um eine Ablösesumme oder so?
Nein, da ist nichts vorgefallen.
Was haben Sie sich persönlich vorgenommen, mit dem Gremium zu erreichen?
Es gibt drei Themen, für die ich ja schon länger öffentlich einstehe und zu denen ich mich mich insbesondere im DFL-Präsidium einbringen will. Wir brauchen eine griffige, nachhaltige und vertretbare Lösung zu 50+1. Meine Meinung ist bekannt. Ich bin ein Anhänger von 50+1 und diese Regel muss jetzt mal rechtsfest ausgestaltet sein. Wir müssen das Thema aber auch so einordnen, dass die Clubs, die da jetzt dabei sind, mit bestimmten Anpassungen Bestandsschutz haben. Da geht es um Hoffenheim, Wolfsburg und Leverkusen. Die müssen weiter Teil der Liga sein, das können wir ihnen nicht wegnehmen.
Was wäre Thema Nummer zwei?
Ich glaube, dass wir uns stärker mit einer nachhaltigen Wachstumsperspektive der Liga befassen müssen. Woher kommt in einer volatileren, geopolitisch vulnerablen Welt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga? Ich glaube, nur bei internationaler Wettbewerbsfähigkeit haben wir auch einen spannenden Wettbewerb nach innen. Je weiter die Schere auseinandergeht, also die Binneneinnahmen schwächer werden und die Championsleague-Einnahmen weiterwachsen, desto größer wird auch der Abstand zwischen dem FC Bayern München und dem Rest der Liga. Wir brauchen Erlösmodelle, die da der Liga helfen.
Kommen wir zum dritten Punkt.
Ich komme aus einer sehr fanzentrischen Welt. Mitunter gefallen mir gewisse Behandlungen der Fanszene nicht – nicht in Deutschland und nicht in Europa. Wenn man ins Ausland reist, ist das heute oft mühselig. Wenn man sich anschaut, welche öffentlichen Beschränkungen es in Frankreich oder zuvor in England gegeben hat, dann ist es für den normalen Fan nicht mehr erstrebenswert live dabei zu sein. Da müssen wir uns die Rahmenbedingungen sehr genau ansehen.
Rahmenbedingungen ist ein sehr gutes Stichwort. Die haben Sie selbst geändert. Wer heute als Mitglied der Eintracht zwei Karten für ein Championsleague-Spiel hat, kann nur ein weiteres Mitglied mitnehmen und nicht zum Beispiel den besten Freund, der kein Vereinsmitglied ist. Warum diese Änderung?
Wir haben festgestellt, dass viele Mitglieder das Gefühl haben, bei der Kartenvergabe zu kurz zu kommen. Wir schaffen so die Möglichkeit, dass mehr Mitglieder die Chance haben, bei einem Championsleague-Spiel dabei zu sein. Ein guter Nebeneffekt ist, dass wir so auch neue Mitglieder gewinnen. Aber in erster Linie geht es uns darum, zu zeigen, dass sich eine Mitgliedschaft lohnt.
Treibt Sie also nicht die Angst, Fans könnten sonst ihre Tickets auch an Gästefans weiter reichen, wie es dem FC Barcelona zu Frankfurt Gunsten ergangen ist?
Nein. Da hatten wir in der Vergangenheit keine Probleme. Wir haben vergangene Saison viele Zuschriften erhalten, warum hat jemand ein Nicht-Mitglied mitnehmen können, während ich leer ausgehe. Die Änderung beruht doch auf einer Logik: Wer Mitglied ist, muss ein Vorrecht auf Karten gegenüber Nicht-Mitgliedern haben.
Sie haben die Erlösseite der Bundesliga angesprochen. Da wollen Sie an weiteren Stellschrauben drehen, um international wettbewerbsfähig zu sein. Werden Sie mal konkret. Wie wollen Sie das schaffen?
Diese Debatte muss man sehr vertieft führen. Hier gibt es keine einfachen und schnellen Lösungen. Lassen Sie mich das mal an den internationalen Medienerlösen verdeutlichen. Aktuell haben wir mit etwa 170 Millionen Euro eine schwächere internationale Vermarktung des Produktes Bundesliga. Da sind wir mit Blick auf die Top-Fünf-Ligen am unteren Ende. Die Premier-League ist uns mit dem Faktor Neun enteilt.
Die werden Sie in den nächsten zwei Jahrzehnten auch nicht mehr einholen.
Ja, das ist klar. Aber das ändert nichts daran, dass wir Nachholbedarf haben. Wir müssen überlegen, woher kommt die Erlösschwäche und wie kann man sie überwinden. Da gibt es verschiedene Ansätze. Derzeit ist es unsere Politik, dass wir in Zielmärkte hineingehen und uns einen Medienpartner suchen, der die Rechte erwirbt und verwertet. Der hat dann möglicherweise weniger bezahlt, als wir eigentlich uns erhofft hatten, aber bevor wir gar keinen Euro erlösen, schließen wir den Deal zu einem niedrigen Kurs für einen gewissen Zeitraum ab. Das müssen wir in Zukunft überprüfen. Vielleicht ist es besser, in den betreffenden Ländern mit einem eigenen OTT-Produkt an den Start zu gehen. Ich schaue hier gerne mal auf andere globale Sportligen. Das funktioniert, es dauert nur etwas länger, bis man das aufgebaut hat. Da kommen wir zu entscheidenden Fragen: Können wir das selbst? Haben wir die Luft, das eine Modell schon nach oben zu fahren, während wir das andere schon runterfahren müssen? Wie gestaltet sich die Priorisierung der Zielmärkte? Wer trifft diese kaufmännische Entscheidung? Mitunter ist es besser, man macht nicht all diese Dinge allein, sondern sucht sich einen Partner, mit dem man das zusammen angeht. Da sind wir gerade in der Debatte. Es gibt dazu eine Arbeitsgruppe, in der ich auch Mitglied bin.
In Sachen Vermarktung leidet die Bundesliga auch darunter, dass die vergangenen Jahre immer der FC Bayern Meister wurde.
Das ist nicht zu leugnen. Wenn man in den USA oder Asien unterwegs ist, wird einem das oft entgegengehalten. Da wir ja die Bayern nicht enteignen können, müssen wir überlegen, wie wir den Wettbewerb in der Spitze stärken können. Hier hoffe ich, dass Borussia Dortmund mal aus den Schwächephasen der Bayern Kapital schlagen kann. Die Bayern haben sich diese dominante Position erarbeitet. Es hilft auch nicht, künstliche Instrumente einzuziehen, diesen Club zu begrenzen. Die anderen müssen in ihrer Arbeit wirtschaftlich stärker gemacht werden, um den Abstand sportlich zu verringern.
In absehbarer Zeit wird sich an der wirtschaftlichen Dominanz der Bayern doch gar nichts ändern, oder?
Dass die Bayern auf ganz lange Sicht wirtschaftlich dominant bleiben, ist eine Tatsache, mit der wir leben müssen. Aber, dass sie sportlich mal überrundet werden und es einen anderen Deutschen Meister gibt, daran glaube ich. Mit Blick auf den bisherigen Saisonverlauf ist die Hoffnung wieder ein bisschen größer. Es ändert nichts an der Tatsache, aber ich sehe so etwas sportlich. Wenn ein Goliath da ist, will ich als David natürlich versuchen ihn zu besiegen. Wenn alle mit dieser Einstellung in der Bundesliga rangehen, kann das auch gelingen. Wir haben das 2018 im DFB-Pokalfinale auch geschafft. Das war damals eine Übermannschaft bei den Bayern. Die Einstellung vieler Clubs könnte eine andere sein, wenn man mehr an die eigene Stärke glaubt, wenn der große FC Bayern kommt. Ich halte sie nicht für unverwundbar.
Sie halten somit nichts von der Aussage, dass die Bayern nur mit der Abschaffung der 50+1-Regel einzuholen sind?
Die Abschaffung der 50+1-Regel wird an der Dominanz der Bayern nichts ändern. Im Gegenteil, es würde die Dominanz sogar weiter vertiefen. Ich erläutere das mit meinem Lieblingsbeispiel: Wenn Arminia Bielefeld 10 Prozent seiner Anteile abgibt, dann nehmen sie dafür 10 Millionen Euro ein, wenn sie 100 Millionen Euro insgesamt wert sind. Wir nehmen dafür 50 Millionen Euro ein, wenn wir 500 Millionen Euro wert sind, und der FC Bayern nimmt 300 Millionen Euro ein, weil er drei Milliarden Euro wert ist. Wozu führt das? Es führt zu einer weiteren Zementierung, um es mit den Worten von Heribert Bruchhagen auszudrücken. Der Unternehmenswert, den ich gerade beschrieben habe, orientiert sich an der Erlöskraft eines Unternehmens. Sie können einmal Anteile ausgeben für einen hohen Wert und haben somit einmalig eine Investitionsmöglichkeit. Wenn also nicht dauerhaft höhere Erlöse erwirtschaftet werden, dann verpufft das Geld wie ein Strohfeuer. Nur eine Erlöskraft auf Dauer schafft die Möglichkeit, Spieler auf einem gewissen Gehaltsniveau einzubetten. Also die Vorstellung, dass die Abschaffung von 50+1 die Kräfteverhältnisse im deutschen Fußball verändern wird, ist ein naiver Kinderglaube.
Es ist also ein Irrglaube, wenn man auf einen vermögenden US-Amerikaner oder Scheich aus Katar oder den Vereinigten Emiraten hofft, der sich die Mehrheit an einem Verein sichert, um diesen zur Nummer Eins in Deutschland zu machen?
Ja. Es sei denn, jemand will es mäzenatisch machen und permanent Geld zuschiessen. Dann ist aber die Anteilsverteilung nicht der entscheidende Punkt, sondern die Kapitalzufuhr. Das muss man unterscheiden. Wenn wir uns also darüber unterhalten, ob die Bayern mit einem Club aufgehalten werden können, in den permanent von außen Kapital zugeführt wird, dann ja. Aber hat dies was mit der Anteilsverteilung zu tun? Nur mittelbar, weil die Bereitschaft eines Geldgebers, ständig Kapital bereitzustellen wahrscheinlich nur da ist, wenn ihm auch der Club gehört. Ich kenne aber keinen wirtschaftlich denkenden Menschen, der dauerhaft Geld in ein unternehmerisches Projekt gibt, ohne Aussicht auf Rendite. Den hat man mir noch nicht vorgestellt. Dann reden wir bei diesen Kapitalgebern aber nicht von Unternehmertum, sondern von Mäzenatentum.
Wenn Sie über Kapitalgeber sprechen, müssen wir über einen hochumstrittenen Fall reden – Katar. Uli Hoeneß glaubt daran, dass Reisen von Fußballmannschaften in das Land vor Ort etwas verändern. Glauben Sie auch daran?
Da ist mein Glaube eher begrenzt. Ich gehöre zu denen, die diese Debatte entemotionalisiert zu führen versuchen. Ich orientiere mich gerne an Fakten. Die sind klar. Es gibt keine mit uns vergleichbaren Menschenrechtsstandards in dem Land, gerade in Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften und auch keine Arbeitsschutzstandards, wie bei uns in Deutschland und der Europäischen Union. Ich finde aber auch, dass man fair sein muss, und einem Land seine Entwicklungsmöglichkeiten zugestehen muss. Wir dürfen ein Land nicht nur aus der Gegenwarts-Perspektive mit den Gedanken an unsere Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung bewerten. Wir müssen auch schauen, wohin geht die Reise. Wenn ich das Gefühl hätte, dass Katar überhaupt nicht bereit ist für Veränderungen, würde ich ein sehr hartes Urteil fällen. Dann sage ich, die gehen den falschen Weg und den darf man nicht unterstützen. Sehe ich aber, dass es ein Interesse gibt, das Land Stück für Stück zu entwickeln und sich an unseren Standards zu orientieren, fällt es anders aus. Das sehe ich hier durchaus. Aber sind sie schon so weit wie etwa Abu Dhabi? Wohl kaum. Wir neigen in Deutschland aus meiner Sicht zu einer gewissen Selbstgefälligkeit. Schauen wir doch mal 50 Jahre zurück in Deutschland auf Themen wie Homosexualität oder Arbeitsschutzstandards. Auch wir haben eine Lernkurve durchgemacht, um heute viel weiter zu sein und auch bei uns gibt noch viel zu tun. Um die Frage aber abschließend klar zu beantworten: Ich hätte die Fußball-Weltmeisterschaft in der aktuellen Situation nicht an Katar vergeben. Ich werde auch nicht hinfahren, denn ich bin der Überzeugung, dass eine Weltmeisterschaft von der ganzen Fußballkultur dort nicht hinpasst.
Passt denn Katar als Sponsor zur Eintracht?
Es gibt bei uns derzeit keine Überlegungen, etwas mit Katar zu machen. Ich könnte mir zum jetzigen Zeitpunkt aber auch keine Partnerschaft vorstellen. Da müsste ein größerer Entwicklungssprung folgen
Es wird Zeit, dass wir nun mal über den Frauenfußball sprechen. Eintracht Frankfurt ist ja auch in der Frauen-Bundesliga vertreten. Die Nationalmannschaft hat bei der Europameisterschaft eine ganze Nation begeistert. Wie kann es gelingen, diese Begeisterung nun auf die Bundesliga zu übertragen?
Wir sollten hier die Kirche im Dorf lassen und nicht erwarten, dass eine solche Eventstimmung nun Eins zu Eins auf die Bundesliga übertragen werden kann. Ich glaube aber, dass wir die Begeisterung nutzen werden, um die Qualität des Sports nach vorne zu bringen. Es ist guter attraktiver Sport, mit spannenden Persönlichkeiten und Charakteren. Das ist die richtige Grundlage für eine wachsende Begeisterung. Wenn wir den Frauenfußball dauerhaft zu einem medial-erlebbaren Produkt mit Nachfrage machen möchten, dann müssen wir sehr emotionale Geschichten erzählen.
Bedarf es dazu aber nicht auch professioneller Strukturen, etwa einem Pendant zur Deutschen Fußball Liga, die die Männer vermarktet?
Man kann darüber nachdenken. Aber ich halte das nicht für die entscheidende Frage. Im Moment haben wir teilweise in den Clubs, aber auch bei den Clubs untereinander ein viel zu großes Gefälle an infrastruktureller Diskrepanz und Professionalisierung. Das müssen wir erst einmal angleichen. Die entscheidende Frage ist, wie wir dies angehen. Der erste mögliche Weg wäre, dass es ein stärkeres Engagement der traditionellen Männer-Bundesligisten im Frauenfußball gibt. Das hat den Vorteil, dass dort schon eine gute Infrastruktur und Professionalisierung vorhanden ist. Das birgt aber das Risiko, dass die Frauen-Bundesliga ein Abbild der Männer-Bundesliga wird. Der andere mögliche Weg wäre, wir schützen biotopisch den Frauenfußball, wobei es ein Mindest- aber auch ein Höchstniveau beim Verdienst gibt. So lässt man anderen Clubs, die sich nur dem Frauenfußball verschrieben haben, die Möglichkeit in einem spannenden, ausgeglichenen Wettbewerb durch eigene Leistung auf dieses Niveau zu kommen.
Aber seien wir doch mal ehrlich. Es gibt in der Frauen-Bundesliga Vereine, die nie auf ein Niveau kommen werden, wie es zum Beispiel Wolfsburg, Bayern oder Eintracht Frankfurt im Frauenfußball vorweisen.
Das mag in der aktuellen Situation richtig sein. Aber wenn ich mir das Beispiel Victoria Berlin als Feldversuch mit Investoren anschaue, die jetzt unten anfangen, dann kann ich mir das schon vorstellen. Es gibt auch Vereine mit einer langen Tradition wie etwa Turbine Potsdam, die diesen Weg auch gehen können.
Das trauen Sie Turbine Potsdam wirklich zu?
Es ist eine Frage, wie man seine Strukturen aufbaut. Eins ist doch klar: Die werden nie das Entwicklungstempo haben, wie etwa Wolfsburg oder der FC Bayern München. Da fehlt es an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Deswegen muss man, wenn man sich für den zweiten Weg entscheidet, den ich beschrieben habe, ein eigenes ökonomisches System bauen. Wenn man diesen Weg nicht will, bekommt man zwar schneller professionelle Strukturen, aber auf Kosten der Spannung. Dann werden wir in zehn Jahren dieselbe Debatte führen, wie jetzt in der Männer-Bundesliga, da die Bayern das meiste Geld haben. Die können, wenn sie es wollen, auch den VfL Wolfsburg im Frauenfußball abhängen. Ob das aber einem Produkt guttut, was nicht diese lange Tradition und große Fankultur hat, wage ich zu bezweifeln. Ich habe selber noch keine abschließende Antwort, aber es einfach so weiterlaufen lassen, kann ja nicht der Weg sein.
Sie sind Mitglied bei Rotary. Was bedeutet Ihnen die rotarische Gemeinschaft?
Als ich zu Rotary gekommen bin, habe ich erlebt, dass es tatsächlich eine besondere Wertegemeinschaft ist. Das war mir vorher so nicht bewusst. Mal kein Karrierenetzwerk, kein Netzwerk von Menschen, die utilitaristisch unterwegs sind, sondern eine Gemeinschaft, die Themen, Herzlichkeit und familiäre Werte teilt. Was ich bedauere, dass viele meiner Termine mit rotarischen Zusammenkünften kollidieren, gerade dann, wenn die Eintracht international unter der Woche spielt wie es in den letzten fünf Jahren der Fall war. Der einzige Vorteil an einem Jahr ohne internationale Teilnahme der Eintracht wäre, dass ich mal wieder regelmäßig an den Clubabenden teilnehmen könnte.
Das Gespräch führte Florian Quanz.
Copyright: Andreas Fischer
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