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Interview

"Ich habe schon viele Coins kommen und gehen sehen"

Interview - "Ich habe schon viele Coins kommen und gehen sehen"
Experte für Kryptowährungen: der Österreicher Wolfgang Fallmann. © privat

Der Österreicher Wolfgang Fallmann ist ein Experte für Kryptowährungen. Bei einem Bitcoin-Invest rät er zur Geduld, dem Metaversum steht er skeptisch gegenüber.

Florian Quanz01.03.2022

Sein Geld auf dem Bankkonto zu lassen ist mit Blick auf sich ausbreitende Minuszinsen keine gute Idee. Für wen lohnt sich alternativ ein Invest in Bitcoins?

Für risiko-affine Leute würde ich sagen. Ein Investment in Bitcoins birgt Risiken, das sieht man an den enormen Kursschwankungen. Man muss es schon mal aushalten können, wenn das Portfolio um 50 oder 60 Prozent geschrumpft ist. Umgekehrt ist natürlich die Rendite, die man theoretisch erwirtschaften kann, sehr hoch, viel höher als bei einem Bankkonto.

Aber gerade diese gigantische Renditechance macht ein Investment doch attraktiv, oder?

Ja, die macht es attraktiv. Es gibt im Kryptobereich aber kleinere Coins, die noch höhere Renditechancen bieten. Beim Bitcoin kann man 200 bis 300 Prozent herausholen im Jahr, bei anderen reden wir von tausenden Prozent und mehr. Trotzdem ist Vorsicht geboten, ich habe in den vergangenen Jahren schon viele Coins kommen und gehen sehen. Gerade hohe Renditeaussichten locken meist unerfahrene Anleger an, die sich den Risiken nicht bewusst sind. Die Wahrscheinlichkeit, unter derzeit rund 8000 Coins den richtigen zu finden, mit dem ich tatsächlich eine gute Rendite erwirtschafte, können wir uns alle ausrechnen. Der Bitcoin ist schon etabliert, Firmen und Fonds investieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass er bestehen bleibt, ist sehr hoch.

Ist es vor einem Invest eine gute Hilfe, zu schauen, wer bereits investiert hat?

Wenn schon viele Fonds und größere Institutionen investiert haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kryptowährung fortbesteht, sicherer. Sollte aber der Bitcoin zum Beispiel Währungen angreifen, dann wird der Handel mit dieser Kryptowährung sicherlich eingeschränkt. Regierungen wollen ja nicht, dass der Bitcoin ihre Landeswährung substituiert. Derzeit hat die US-Börsenaufsicht den Bitcoin als Spekulationsobjekt anerkannt und ein Auge auf ihn.

Sollte ein Bitcoin-Investment langfristig gedacht werden oder ist es nach den bisherigen Erfahrungen besser nach einer überschaubaren Zeit bei einem guten Gewinn wieder auszusteigen?

Wenn man ein guter Trader ist, kann man die Volatilität des Bitcoins nutzen. Diese macht den Bitcoin ja so interessant für Spekulanten. Jemandem, der neu in diesen Markt einsteigt, würde ich eine langfristige Investition empfehlen. Und noch ein Tipp: Mehrere Jahre nicht ins Portfolio schauen.

Warum nicht?

Ich weiß, wie schwierig das ist. Aber langfristig zahlt sich das aus, weil man sich nicht nervös machen lässt.

Korrelieren Kryptowährungen miteinander?

Da müssen wir aufpassen. Wenn wir von Korrelation sprechen, dann müssen wir auch einen Zeitraum benennen, in dem wir die unterschiedlichen Kryptowährungen beobachten. Das ist einfach eine mathematische Rechnung, um zwei Werte zu vergleichen. Wenn die sich gleich verhalten, dann sagt man, der Korrelationskoeffizient ist Eins. Wenn der Bitcoin gleichzeitig mit Ethereum steigt, dann korrelieren sie miteinander. Wenn der Bitcoin steigt, aber Ethereum fällt, haben wir auch eine Korrelation. Dann sprechen wir von einer negativen, minus Eins. Schauen wir auf einen Zeitraum von einem Jahr, dann stellen wir fest, dass die Top-10-Kryptowährungen sich gleich verhalten, bei einzelnen Tagesverläufen ist dies aber nicht der Fall. Es zeichnet sich auch eine Korrelation zwischen den Kryptowährungen und dem Aktienindex S&P 500 ab. Korrelation ist aber nicht gleich Kausalität.

Was bedeutet das?

Wenn zwei Kryptowährungen miteinander korrelieren, muss es für deren Kursentwicklung nicht dieselbe Ursache geben. Ein vereinfachtes Beispiel: Im Sommer steigt die Zahl der Menschen, die sich ein Eis kaufen und die Zahl der Menschen, die sich einen Sonnenbrand holen an. Bedeutet: Diese zwei Sachen korrelieren, beide steigen an. Man könnte nun sagen, derjenige, der ein Eis isst, holt sich auch einen Sonnenbrand. Aber das ist eine falsche Kausalität.

Generell suchen wir Menschen immer eine Kausalität, versuchen zum Beispiel eine Kursentwicklung mit etwas in Verbindung zu bringen. Bei Kurseinbrüchen stellt sich die Frage nach dem Schuldigen, aber den herauszufinden ist oft sehr schwer.

Wie funktioniert grundsätzlich Bitcoin-Mining?

Mehrere Computer lösen eine Rechenaufgabe. Derjenige, der diese Rechenaufgabe am schnellsten löst, bekommt einen Blockreward dafür, wird quasi dafür in Bitcoins bezahlt. Es ist in dem Bitcoin-Mining-System somit ein Kampf, wer hat die bessere Hardware, wer hat die schnelleren Computer.

El Salvador hat im vergangenen Jahr den Bitcoin als offizielle Währung anerkannt. Bleibt es dabei oder schließen sich andere Länder an, welchen Einfluss wird das auf die Kursentwicklung haben?

Das ist schwer vorherzusagen. Bei Währungen erhofft man sich ja bestimmte Eigenschaften, so zum Beispiel wenig Wertschwankungen. Beim Bitcoin sind die Schwankungen aber so groß, dass ich für den Betrag X heute ein Auto bekomme und morgen es nur zur Hälfte damit finanzieren kann. Ich kann mir schwer vorstellen, dass El Salvador sein Inflationsproblem mit dem Bitcoin als Währung in den Griff bekommt. Ich bin mir generell nicht sicher, ob sich der Bitcoin als Währung überhaupt eignet. Viele halten den Bitcoin, da sie auf eine gute Kursentwicklung spekulieren, und geben ihn deshalb gar nicht aus. Aktuell ist der Bitcoin ein Spekulationsobjekt und international nur in El Salvador als Währung offiziell klassifiziert.

Das Unternehmen Meta, vormals Facebook, ist gerade dabei das sogenannte Metaversum zu entwickeln. Eine digitale Welt, in der wir uns als Avatare bewegen. Könnte der Bitcoin dort das zentrale Zahlungsmittel sein?

Ich persönlich kann es mir sehr gut vorstellen. Aber wie stark solch ein virtueller Raum genutzt wird, wenn er denn mal zur Verfügung steht, ist eine ganz andere Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich zu Hause mit Maske und Brille sitze und virtuell einkaufen gehe. Zudem bin ich davon überzeugt, dass wir immer den echten Kontakt zu Menschen suchen werden. 

Sie haben vor knapp zwei Jahren das Buch „Krypto Investor Mindset“ herausgebracht. Sie beschreiben darin, psychologische Denkfehler, die Menschen beim Investieren machen. Geben Sie uns ein Beispiel?

Da fallen mir viele schöne psychologische Denkfehler ein. Jeder Mensch hat eine Verlustaversion. Ich erkläre das am besten an einem konkreten Sachverhalt: Stellen Sie sich vor, Sie gewinnen 100 Euro. Das erzeugt bei Ihnen ein Glücksgefühl. Stellen Sie sich jetzt vor, Sie haben 100 Euro verloren. Das erzeugt wiederum ein Frustgefühl. Der emotionale Gewinn und der emotionale Verlust sind ungleich stark, im Durchschnitt Faktor 2,5. Das bedeutet, wir ärgern uns 2,5-mal so viel über den Verlust, als wir uns über den Gewinn freuen. Investoren sollten eine möglichst kleine Verlustaversion haben. Daran kann man arbeiten.

Wie schaffe ich es, meine eigenen Gefühle einzugrenzen?

Ein Patentrezept gibt es nicht. Eine wesentliche Hilfe ist das Führen eines Trading-Tagebuchs. Ich schreibe genau auf, wann steige ich wo ein, warum steige ich ein und welche Emotionen habe ich beim Einstieg. Steige ich aus dieser Investition wieder aus, schreibe ich wieder alles auf. Beides schaue ich mir anschließend genau an und daraus kann ich lernen, wie ich selbst ticke. Es verhindert auch, dass ich den sogenannten Rückschaufehler begehe. Habe ich nicht aufgeschrieben, wie ich in das Investment eingestiegen bin und blicke später zurück, sind die Erinnerungen mitunter falsch. Wer aber aus seinen Fehlern von vorneherein nicht lernen will, der kann sich die Mühe eines Tagebuches auch sparen.   

Was ist bei Ihnen der persönliche Fehler, den sie in Zaum halten müssen?

Da gibt es einige und wer etwas anderes behauptet, belügt sich selbst. Ein klassischer Fehler von Anfängern, den ich selbst auch begangen habe: Verkaufen am Tiefpunkt und beim Höchstpunkt einsteigen.

Psychologisch erklärbar, weil man am Höchstpunkt denkt, der Trend setzt sich fort und ich muss mit davon profitieren.

Ja. Aber den Fehler kann man loswerden. Was mir noch immer schwer fällt, Bargeld zu halten. Ich muss mein Kapital immer investiert haben. Das ist kein guter Schachzug. Wenn mein Geld zu 100 Prozent investiert ist, habe ich kein Geld übrig, wenn sich eine gute Investitionsmöglichkeit auftut. Gerade, wenn der Markt zusammenbricht, wie in der Corona-Pandemie, ergeben sich gute Investments. Diese Chancen sollte man nicht verpassen.

Vor einigen Jahren hatten sie mit dem ersten Bitcoin-Automaten in Österreich Aufsehen erregt, den Sie mit Freunden entwickelt haben. Was war die Idee dahinter?

Das war 2014. Der Bitcoin war schon in den Investment-Kreisen bekannt und wurde verwendet. Die Frage war, wie kann ich den Bitcoin zu Geld machen, ohne eine Börse zu verwenden. Da ist die Idee mit dem Bitcoin-Automaten entstanden. Dort konnte ich mit meinem Handy meine Wallets scannen und Bargeld dafür erhalten. Einen solchen Automaten gab es zuvor in Österreich noch nicht. Ich bin dann aus diesem Geschäft ausgestiegen, der Automat existiert auch nicht mehr.

Zuletzt eine Einschätzung von Ihnen: Kommt der digitale Euro auf Blockchain-Basis?

Als Europäische Zentralbank würde ich den Weg auf jeden Fall gehen. Warum? Jede Transaktion ist verfolgbar. Beim Bitcoin können wir jede einzelne Transaktion bis zum Ursprung zurückführen. Aus Staatssicht bietet das viele Vorteile. Ich schaffe so ein transparentes Geldsystem, kann die Bürger und ihre Finanzgeschäfte besser überwachen. Über smart contracts könnte der Staat die Steuern automatisch einziehen.

Bei smart contracts handelt es sich um eine Art digitalen Vertrag, der auf der Blockchain-Technologie basiert. Die Bedingungen der Vereinbarung zwischen „Käufer“ und „Verkäufer“ werden dabei direkt in Codezeilen geschrieben, richtig?

Genau. So könnte man Steuerbetrug und Schwarzgeld sehr gut entgegentreten. Ich bin sicher, dass Zentralbanken über so etwas nachdenken.


Zur Person:

Wolfgang Fallmann studierte Maschinenbau an der TU-Wien und Technisches Management an der FH Campus Wien. 2014 kam er in Kontakt mit Kryptowährungen und ist inzwischen ein gefragter Experte. 2020 erschien sein Buch „Krypto Investor Mindset“.

Florian Quanz
Florian Quanz arbeitet seit März 2021 als Redakteur beim Rotary Magazin. Zuvor war er Leiter des Manteldesks sowie Politik- und Wirtschaftsredakteur bei der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), einer großen Regionalzeitung mit Sitz in Kassel.
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