„Auf jeden Fall war es eine totale Schinderei“
Cyril Niederquell (RC Korbach-Bad Arolsen) bestieg im Juni 2023 den Montblanc. Claus Peter Müller von der Grün sprach mit ihm über die Herausforderung, bis an die Grenzen zu gehen.
Cyril, lange Zeit, bevor Du den Montblanc mit Ski bestiegen hast, bist Du 2013 im Alter von 30 Jahren bei Rotary eingestiegen. Hält die Aufnahme junger Mitglieder Euren Club lebendig?
Ja auf jeden Fall. Im Rotary Club Korbach-Bad Arolsen war ich damals die erste Neuaufnahme für das sogenannte "Projekt 30+". Dadurch war ich jahrelang das jüngste Mitglied in unserem Club und die Integration neuer junger Mitglieder war viel einfacher möglich. Es gibt bei uns keine Lücke in der Altersstruktur. Mittlerweile haben wir neue Rotarier mit Anfang 30 gewinnen können.
Deine Montblanc-Besteigung führte zu einer Spende. Wie hast Du das Einwerben der Spenden organisiert?
Ich bin im letzten Jahr 40 Jahre geworden und habe die Geld- und Gutscheinspenden aufgerundet auf die symbolische Summe von 4810 Euro. Die Höhe des Mont Blanc beträgt 4810 Meter. Ich bin "Halb-Franzose", und deswegen habe ich die Spendensumme aufgeteilt auf unseren Club und unseren Partnerclub RC Avranches in Frankreich in der Normandie.
Auf welche Spendensumme kommt Euer Club Jahr für Jahr?
Seitdem ich aktives Mitglied und im Vorstand bin, erinnere ich mich an konstant über 100.000 Euro Spendensumme Jahr für Jahr. Seit der Pandemie liegt unser Club sogar über 120- bis 130.000 Euro. Das ist ein Spitzenwert im Distrikt. Das verdeutlicht die "Gemeindienst-Studie" aus unserem Distrikt 1820 von unserem rotarischen Freund Ralf Meyer (RC Frankfurt-Palmengarten).
Welches sind aus Deiner Sicht die interessantesten Förderprojekte?
Wir haben aktuell 36 laufende Projekte in unserem Rotary Club. Unsere Leuchtturmprojekte sind aus aktuellem Anlass die "Ukraine Hilfe" mit ca. 40.000 Euro über unseren befreundeten polnischen Club RC Jaroslaw. Darüberhinaus haben wir seit über 30 Jahren ein Projekt namens "Ostpreußen Hilfe" mit ca. 8.000 Euro im laufenden Jahr, der "Studienkreis" und die lokalen Gymnasien mit ca. 10.000 Euro und die lokalen ambulanten Hospizvereine und das Kinder-Hospiz in Fritzlar mit ca. 7.000 Euro sowie die lokalen Tafeln.
….. und die Besteigung des Montblanc mit Ski. Wann, wie und warum bist Du zum Skibergsteigen gekommen?
In meiner Bundeswehrzeit 2002/2003 habe ich meine ersten Skitouren bei den Gebirgsjägern im Alpenraum erlebt. Seitdem hat es mich immer mehr in den Tiefschnee und in die Täler neben den Skigebieten gezogen. Seit zehn Jahren fahre ich durch einen Studienkollegen und Rotarier vom RC Arnsberg gezielt zum Arlberg, und dort gehe ich in die Skischule. Durch die "Geländegruppe" der Skischule Zürs habe ich Offpiste-Gebiete rund um den Arlberg kennen- und schätzen gelernt. Ein weiterer Studienkollege hat mich vor fünf Jahren zum "Skibergsteigen" zum höchsten Berg Österreichs, dem Groß-Glockner, mitgenommen. Die hochalpine Besteigung von Gipfeln im Winter ist eine neue Leidenschaft geworden. Daraus entwickelte sich mein Traum, mit Ski und Ausrüstung den höchsten Berg der Alpen, den Mont Blanc, zu erklimmen. 2022 war ich in Chamonix im Sommerurlaub zum Klettern und Mountainbiken. Ich habe mich mit einem französischen Bergführer namens Antoine angefreundet und er hat mich konkret auf die Ski-Besteigung vorbereitet.
Was ist das Schöne daran?
Durch die Skitouren lasse ich den ganzen Trouble der Skigebiete hinter mir. Die Ruhe am Berg und das Aufsteigen mit Ski und Steigfellen ist eine angenehme monotone Belastung. Die Belohnung sind traumhafte Bergerfahrungen und unberührte Tiefschneehänge nach dem Aufstieg aus eigener Muskelkraft.
Wie kam es zur Idee, den Montblanc zu besteigen?
Einmal auf dem Dach Europas stehen, auf dem höchsten Berg der Alpen, in Frankreich als Halb-Franzose… und dann oben auf dem vergletscherten Gipfel meine Ski anschnallen und runter fahren – das war mein Traum, der wahr geworden ist. Ich bin überglücklich – und froh, dass ich sicher wieder im Tal angekommen bin.
Wann hast Du den Montblanc bestiegen?
Im Juni 2023. Das gilt noch als "Winter-Besteigung". Natürlich waren auch schon "Sommer-Bergsteiger" ohne Ski unterwegs. Allerdings von anderen Hütten. Unsere Aufstiegsroute und die Hütte "Refuge des Grand Mulets" ist speziell für Ski-Bergsteiger.
Ist der Montblanc ein gefährlicher Berg?
Leider ja. Er gehört zu den fünf tödlichsten Bergen der Welt. Der Mont Blanc wird sehr viel begangen und oft unterschätzt. Es lauern alle alpinen Gefahren wie Gletscherspalten, Lawinen, Seracs und die Höhenkrankheit. Genau wie an den noch höheren Gipfeln auf der Erde.
Wie lang und auf welche Weise hast Du Dich auf den Aufstieg vorbereitet?
Tatsächlich habe ich mich mit zwei speziellen Trainingsplänen fünf Monate lang auf die Expedition vorbereitet. Allgemeine Fitness, Joggen, Mountainbiken, Fitnessstudio mit Personal Trainer, gesunde Ernährung, Nahrungsergänzungsmittel und kein Alkohol von Januar bis Juni. Das erste Bier habe ich erst wieder unten im Tal in Chamonix getrunken.
Bist Du allein aufgestiegen?
Tatsächlich waren wir nur eine Zweier-Seilschaft. Mein französischer Bergführer Antoine und ich. Das war klasse. Er hat sich nur auf mich konzentrieren können und ich konnte mein Tempo gehen.
Wieviel Tage und Etappen nahm der Aufstieg in Anspruch?
Insgesamt waren wir fünf Tage hochalpin. Zwei Tage waren Akklimatisierung und Gewöhnung an die Höhe. Wir haben zwei Nächte in der berühmten Cosmiques-Hütte geschlafen und zwei Tage auf dem Gletscher trainiert: Im steilen Gelände Ski abschnallen, Steigeisen anschnallen, kein Material verlieren, Eisklettern, Knoten und Klettertraining.
Für die Gipfelbesteigung hatte mein Bergführer drei Tage eingeplant. Hüttenzustieg, Gipfeltag, sicherer Abstieg ins Tal.
Wie bist Du die letzte Etappe des Aufstiegs angegangen?
Am Gipfeltag sind wir um 1.45 Uhr aufgestanden. Frühstück in der Hütte war um 2 Uhr. Abmarsch mit Ski und Steigfellen bei minus 8 Grad dann um 3 Uhr. Ich hatte Probleme mit meiner Stirnlampe. Das war ein Risiko. Sonnenaufgang war erst um 6.30 Uhr. Immer wieder wechseln sich Etappen als Skitour und mit Steigeisen an den Skischuhen ab. Gegen 8 Uhr kamen 300 Höhenmeter im Eisklettern über einen steilen Grat. Antoine hatte mich am kurzen Seil. Gegen 9.30 Uhr haben wir auf ca. 4200 Meter die letzte richtige Pause gemacht. Ich hatte gar keinen Hunger und Durst. Aber selbstverständlich musste ich Nahrung und Flüssigkeit zu mir nehmen. Die letzten 600 Höhenmeter habe ich gar kein einziges Foto oder Video gemacht. Sonst habe ich alles dokumentiert. Ich war voll fokussiert und im Flow, und die Ausgesetztheit des Aufstiegs war gefährlich. Volle Konzentration auf jeden einzelnen Schritt.
War es eine Schinderei?
Auf jeden Fall, eine totale Schinderei. Ich bin so froh und glücklich, dass ich den Gipfel im ersten Versuch geschafft habe. Am Ende ist die mentale Stärke ausschlaggebend. Mein Körper wollte ab 4000 Meter wieder runter. Ich hatte Symptome der Höhenkrankheit wie Appetitlosigkeit, starke Kopfschmerzen, verwaschene Sprache und ständige Pausen wegen Luftnot waren notwendig. Wenn Schwindel dazu gekommen wäre und keine Trittsicherheit mehr gegeben gewesen wäre, dann hätte mein Bergführer sofort umgedreht. Antoine hat sich sehr gut um mich gekümmert und ständig auf mich geachtet und mit mir gesprochen.
Hast Du den Ausblick am Gipfel lange genossen, oder raubt einem die Höhenkrankheit die Freude?
Oben angekommen sind wir nach 9,5 Stunden Aufstieg um 12.30 Uhr nach zirka 1800 Höhenmetern. Ich war total platt und glücklich. Etwa 30 Minuten sind wir oben verweilt. Ich habe gegessen und mich geschont für die Tiefschnee-Abfahrt. Wir haben die üblichen Gipfelfotos und -videos gemacht. Ich hatte extra ein Rotary-Halstuch getragen. Mit uns waren etwa zehn weitere Bergsteiger oben am Gipfel. Allerdings waren wir die einzigen mit Ski. An dem Tag sind etwa zwölf Skibergsteiger vom Gipfel abgefahren. Wir waren die letzte Gruppe. Das Panorama ist natürlich gigantisch. Das Matterhorn bei Zermatt ist sehr gut sichtbar. Aber ehrlich gesagt wollte ich einfach nur wieder runter zur sicheren Hütte.
Wie war der Abstieg, und wie weit führte er Euch zunächst?
Wir sind nicht in einem Rutsch runter bis ins Tal abgefahren und abgestiegen. Im Juni liegt ja kein Schnee in unteren Lagen. Mein Bergführer fand es sicherer, nur bis zur Hütte auf ca. 3000 Meter, von der wir aufgestiegen waren, abzufahren. Das war traumhaft und es herrschten beste Schneebedingungen, sogar im Juni! Gegen 14 Uhr waren wir wieder in Sicherheit. Auch die Abfahrt war gefährlich über und um die Gletscherspalten. Da waren sie wieder, die alpinen Gefahren. Lautes Knacken des Gletschers, spontane Lawinenabgänge, überhängende Seracs die jederzeit abbrechen können.
Warum braucht der Abstieg Zeit?
Nach einem so intensiven und anstrengenden Aufstieg reichte die Abfahrt zur Hütte. Laut den Erzählungen meines Bergführers passieren leider viele Unfälle im unteren Teil des Gletschers durch Übermüdung und dem Druck, noch die letzte Gondel ins Tal zu erreichen. Übrigens habe ich am fünften Tag noch gesehen, wie schwierig der Abstieg und das letzte Teilstück noch gewesen wären. Doch so konnten wir auf der Hütte ausschlafen. Apropos Schlaf, das ist eher ein "Ruhen" im Matratzenlager mit Stockbetten. Die hochalpinen Hütten sind nur spartanisch ausgestattet. Es sind keine Alpenvereinshütten mit moderner Ausstattung.
Wem hilft Dein Engagement?
Der befreundete Rotary Club Avranches hat sich noch nicht final geäußert, wofür er das Geld verwenden möchte. Unser Club benötigte kurzfristig noch Geld für unsere Ukraine-Hilfe. Es ging um die Anschaffung des Wasserrucksacks PAUL für unseren Partnerclub RC Jaroslav in Polen.
Wann, wo und wie haben die Freundinnen und Freunde vom RC Avranches von Deiner Spende erfahren?
Das war wirklich ein schöner Zufall. In der Zeit meiner Expedition fand unsere Jahresfahrt nach Bremen statt mit ca. 50 Personen. Gleichzeitig waren auch etwa 20 Rotarier aus Avranches zur Jahresfahrt in Bremen. Ich habe nach sicherer Ankunft im Tal meine Familie angerufen. Mein Vater ist auch Rotarier im gleichen Club und meine Mutter als Französin war ebenfalls als Begleitung mit in Bremen. Der nächste Anruf galt unserem Präsidenten Detlef Lamm, und er konnte die frohe Botschaft über die erfolgreiche Besteigung und die Spendensumme beim Gala-Diner auf der Jahresfahrt sowohl unserem Club als auch unseren rotarischen Freunden aus Avranches persönlich mitteilen. Die Freude war groß.
Was kann Rotary tun, um Frieden und Völkerfreundschaft zu stärken?
Ich bin 1999/2000 in Mexiko als Rotary-Jugendausstauschschüler gewesen. Die rotarischen Austauschprogramme STEP und LTEP sind hervorragend und stärken die Freundschaft zwischen den Völkern. Hoffentlich können mehr Clubs ihr Austauschprogramm nach der Pandemie wieder hochfahren und mehr junge Menschen diese tolle Möglichkeit nutzen.
Claus Peter Müller von der Grün ist Journalist. 1960 in Kassel geboren kehrte er — nach dem Studium in Dortmund und verschiedenen beruflichen Stationen in Dortmund, Düsseldorf und Frankfurt — nach der Wiedervereinigung nach Kassel zurück. Dem RC Kassel-Wilhelmshöhe gehört er seit dem Jahr 2000 an. Im Jahr 2013/14 war er Präsident seines Clubs. Sowohl im Club, als auch auf der Distriktebene war er schon mehrfach in Sachen der Kommunikation aktiv, derzeit ist er Distriktberichterstatter von D1820.
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