https://rotary.de/clubs/distriktberichte/freundschaft-nach-innen-hilfe-nach-aussen-a-19959.html
Rotary für Einfallsreichtum

Freundschaft nach innen, Hilfe nach außen

Rotary für Einfallsreichtum - Freundschaft nach innen, Hilfe nach außen

Klimawandel, Corona, Krieg, Hunger, Massenflucht: Governor elect 2021/22 Armin Staigis (RC Chemnitz-Schlossberg), Psychologe und Extremismus-Experte Ahmad Mansour sowie Migrationsforscher Gerald Knaus diskutierten bei PETS über die Krisen dieser Welt - sie sind verzahnt, wie nie zuvor.

Ulrike Löw19.04.2022

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Die globalisierte Ökonomie brachte Fortschritt und Wohlstand,  doch ließ gleichzeitig tiefe Bruchlinien entstehen. Die Covid—19—Pandemie schlug tiefe Wunden in die Gesellschaft, der Krieg ist auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Was dies heißt, so Armin Staigis, zeige sich bereits an der Tankstelle, an der Heizungsabrechnung und an den Energiekosten, die von Unternehmen weitergegeben werden und sozial Schwächere ungleich härter treffen. Es stehe zu befürchten, dass sich die Ungleichheit und Verunsicherung weiter entwickelt — je länger der Krieg in Europa andauert. Dazu passt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen 56 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die ärmere Hälfte verfügt gerade über 1,3 Prozent der Besitztümer.

Bildung

Der Aufstieg in unserer Gesellschaft erfolgt über Bildung. Nach dem Hochschulreport 2020  erreichen  von 100 Akademiker-Kindern 45 einen Masterabschluss, 10 promovieren. Bei den Nicht-Akademiker-Kindern legen nur acht einen Masterabschluss ab, eine/r promoviert.

Marktwirtschaft und Demokratie

Wird sich der Kapitalismus der Demokratie entledigen? Wir müssen beantworten, wie die Marktwirtschaft mit den dramatischen ökologischen Folgen des Klimawandels in Einklang gebracht werden kann. Das Geschäftsmodell "Alles auf Profit" schafft es nicht, die fortschreitenden wirtschaftlichen Umbrüche in humane Bahnen zu lenken, die Umwelt zu schonen und die Globalisierung menschenwürdig zu gestalten.

Streit  hält die Demokratie lebendig

Ahmad Mansour, Psychologe, Extremismus- und Integrationsexperte aus Berlin, beklagt, dass der politische Diskurs in der Vergangenheit zu wenig gepflegt wurde, in der Öffentlichkeit von einem Diskurs nicht mehr die Rede sein könne. Die Mitte habe geschwiegen, konservative Meinungen seien zurückgedrängt worden, Linksstehende formulierten einen Absolutheitsanspruch auf Moral. All dies lege die Debatte in Fesseln.

In der Diskussion um Migration und Flüchtlinge zeigten sich, zugespitzt formuliert, immer wieder  zwei Lager: diejenigen, die Flüchtlinge vorverurteilen, und jene, die zusammenzucken, wenn man Integrationsprobleme anspricht – und dann warnen, nach dem Motto: "Sagen Sie das doch nicht, das stärkt doch die AfD." So jedenfalls, so Ahmad Mansour,  finden sich  keine Lösungen.

Zuletzt wurde auch mit Blick auf Corona ein Meinungsdiktat deutlich. Nicht jeder, der Maßnahmen in der Pandemie kritisiert habe oder kritisiere, sei gleich ein "Corona-Leugner".  Es sei eine Frage der geistigen Möglichkeiten jedes Einzelnen, ob man vielschichtige Meinungen und Erkenntnisse zulassen könne, oder sich in Schwarz-Weiß-Erzählungen flüchte, wie dies beispielsweise bei Verschwörungstheoretikern in Krisenzeiten zu beobachten sei. In Deutschland müsse man aufhören, Probleme totzuschweigen und anfangen, sachlich und differenziert zu diskutieren – und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Krieg in Europa
 
Wie lässt sich illegale Migration stoppen und gleichzeitig das Menschenrecht auf Asyl wahren? Fragen wie diese treiben Gerald Knaus, Soziologe, Politikberater und Bestsellautor ("Welche Grenzen brauchen wir?") um. Kontrolle und Empathie, so seine Überzeugung, schließen sich nicht aus. 
 
Nach zwei Jahren Pandemie hält er die deutsche Gesellschaft für resilient genug, die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu verkraften, vielleicht sogar zu mildern. Die aktuellen Reaktionen der Zivilgesellschaft zeigten, dass man verstanden habe, dass es sich hier um die größte humanitäre Katastrophe der Nachkriegszeit handle. Im Brechen von EU-Recht führe Russland zwar Europa seine neue Verletzlichkeit vor Augen,  doch mit seiner Annahme, der Westen sei schwach und die Nato werde zerfallen, habe sich Wladimir Putin — zumindest sieht es derzeit so aus — geirrt. In all dem steckt eine Chance: Gelingt es, die Flüchtlinge aufzunehmen, könne Europa der Welt  zeigen, dass es seine Werte nicht aufgibt.
 

Gerald Knaus blickt nach Polen: Das Engagement des Landes für die fliehenden Menschen findet weltweit große Anerkennung. Anderseits gehöre es zur Verantwortung der EU, der polnischen Regierung dies nicht als politisches Kapital gutzuschreiben. Es gehöre weiterhin zur Verantwortung der EU, dort die Wiedererrichtung des Rechtsstaats zu fordern.

Plagiate erwünscht

Armin Staigis ruft zum Ausstausch und zum Sammeln von Ideen auf — gerade mit Blick auf den Bildungsbereich und weit jenseits der Clubgrenzen. Die Covid-Krise habe die Not vieler Menschen verstärkt,  auch müsse man über die Zugänge und Initiativen bei sozial schwachen Gruppen nachdenken. "Auch das ist Imagine Rotary!"

Die Pandemie als digitaler Schub

Wie es im Herbst und Winter 2022 mit Corona weitergehen wird, ist offen — doch in den vergangenen zwei Pandemiejahren sind aus der Not flexible Zusammenkünfte unter Nutzung der digitalen Möglichkeiten entstanden. Gleichzeitig wurden die Kontakte stark eingeschränkt — zu Lasten der Gewinnung neuer Mitglieder,  der Jugendaustausch wurde "auf Null" zurückgefahren. Was also können wir, mit den bereits gewonnenen Erfahrungen, im nächsten Herbst und Winter besser machen?

Mitgliedergewinnung

Das Durchschnittsalter der Rotarier in Deutschland beträgt 65 Jahre. Im Distrikt 1880 ist die  Hälte der Mitglieder älter als 65 Jahre. 81 Prozent sind älter als 60 Jahre. Der Anteil der Frauen liegt bei 13 Prozent. Jennifer Jones fordert für 2022/23 die Steigerung des Frauenanteils auf 30 Prozent. Für den Distrikt 1880 hieße dies eine Verdoppelung — derzeit listet die Statistik 482 Frauen auf, rechnerisch werden 1079 weibliche Mitglieder verlangt.

Und wie könnte die zweite Forderung von International Präsidentin Jennifer Jones — die Gründung von zwei Clubs je Distrikt, zu erfüllen sein? Armin Staigis fragt: Haben wir Zugänge zu Migranten, die bei uns längst etabliert sind? Wo sind eigentlich die erfolgreichen Mittelständler aus Handwerksbetrieben? Wo sind die Pflegedienstleiterinnen aus Krankenhäusern und Seniorenheimen? Dringen wir in jüngere gesellschaftliche Gruppen vor?

Wer mag, kann all dies nachhören - der Vortrag von Armin Staigis:

https://bit.ly/3uX9jXo

Der Vortrag von  Ahmad Mansur:
https://bit.ly/3KXGC21

Der Vortrag von Gerald Knaus:
https://bit.ly/3OkSrRP

 

Ulrike Löw

Ulrike Löw (RC Nürnberg-Reichswald) ist seit 20 Jahren als Journalistin tätig. Ihr Schwerpunkt liegt bei rechtlichen Themen: Aktuelle Rechtsnews interessieren sie ebenso wie juristische Hintergründe, regelmäßig sitzt sie in Gerichtssälen und berichtet über Strafprozesse. Ab August 2021 ist sie Berichterstatterin des Distrikts 1880.