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Arbeitsauftrag: Völkerverständigung

Rotary Aktuell - Arbeitsauftrag: Völkerverständigung
Anke Schewe, RC Essen-Gruga, beim Besuch eines Ausbildungszentrums in Pakistan, das vom RC Islamabad-Cosmopolitan und deutschen Rotary Clubs unterstützt wird © Klaus Klennert

In der Arbeit der Länderausschüsse bündeln sich Potenz und Kompetenz des Internationalen Dienstes bei Rotary: Mit Hilfe von Kontaktclubs entstehen humanitäre Projekte für Not- und Krisengebiete in aller Welt.

Matthias Schütt01.07.2020

Siebzig Jahre Länderausschüsse bei Rotary International – die offizielle Feier zum Jubiläum fand, wie derzeit nicht anders möglich, im Internet statt. Ende Mai schalteten sich 168 Teilnehmer aus 50 Ländern ein, darunter der neue Präsident RI Holger Knaack. Sein Grußwort enthielt die Mahnung, den Internationalen Dienst und als ein zentrales Werkzeug, die Länderausschüsse – offiziell: Inter-Country Committees ICC – noch stärker für friedensstiftende Projekte und Völkerverständigung zu nutzen. Damit ist der Tenor vorgegeben, der sein Amtsjahr mitprägen wird. Die Länderausschüsse will Knaack im kommenden Sommer mit einer großen „Pre-Convention“ in Taipeh feiern.

Für einen Deutschen an der Spitze von RI ist dieser Schwerpunkt kein Zufall. Knaack schreibt damit eine „deutsche“ Tradition fort, die von Anfang an auf rotarische Zusammenarbeit über Grenzen hinweg gesetzt hatte. Schon 1930 nutzten Vertreter der ersten Clubs eine Konferenz in Den Haag, um mit französischen Rotariern ins Gespräch zu kommen. Ein „Petit Comité“ wurde gegründet, an das nach dem Krieg und rotarische Wiedergründung angeknüpft werden konnte. Heute sind deutsche Rotarier in 36 Länderausschüssen aktiv und die Gründung des ersten – 1950 mit Frankreich – gilt nicht zufällig auch als Geburtsstunde der ICC überhaupt.

1266 Clubpartnerschaften

Länderausschüsse und in ihrem Gefolge Clubpartnerschaften haben sich über die Jahre mit den Rotary-typischen Schwankungen entwickelt. Erfolge in der Kontaktpflege zu Clubs im Ausland hängen zumeist am Engagement einzelner Persönlichkeiten, das von den Nachfolgern nicht unbedingt in gleicher Intensität fortgeführt wird. Dennoch steht der Internationale Dienst in Deutschland nach wie vor hoch im Kurs: 2019 zählte die Statistik bei 1091 Clubs genau 1266 Kontaktverhältnisse in 48 Ländern, womit rein rechnerisch jeder Club an die internationale Gemeinschaft angeschlossen ist.

Die Anforderungen, sich nicht nur im eigenen Umfeld, sondern auch international einzubringen, steigen, was weniger mit dem Serviceclub selbst als mit bedrohlichen geopolitischen Entwicklungen zu tun hat. Noch vor wenigen Jahren ruhte die westliche Welt in dem festen Glauben an eine sichere und friedliche Zukunft ohne Grenzen. Spätestens der Brexit hat zu einer allgemeinen Ernüchterung geführt, wurde geradezu zum Symbol von Abschottung und Protektionismus, das sich in ähnlicher Gestalt auch in anderen Teilen der Welt verbreitet. Und dann brechen in der Corona-Krise urplötzlich mit Grenzschließungen und fremdenfeindlichen Verdächtigungen alte Ressentiments wieder auf, die nicht nur Wolfgang Boeckh, den Vorsitzenden des Länderausschusses Frankreich, geradezu fassungslos machen. 319 Kontaktverhältnisse zwischen deutschen und französischen Rotary Clubs werden immer wieder als stolze Errungenschaft gefeiert. Doch was sind die wert, wenn jenseits unserer Clubs der Firnis des guten Willens so dünn ist, dass er sich schon bei ersten Krisensymptomen auflöst?

Schwere Zeiten also für die internationale Zusammenarbeit? Wenn man sich bei den Aktiven umhört, angefangen bei Udo Noack (RC Hildesheim-Rosenstock), dem Beauftragen des Deutschen Governorrates (DGR), bis zu den Vorständen der Länderausschüsse, stößt man auf punktuelle Empörung, nicht aber auf Resignation, sondern auf Aufbruchsstimmung. Es gelte, den alten wie den neuen Nationalisten Toleranz entgegenzuhalten und die Überzeugung, dass das Überleben der Menschheit nicht im Gegeneinander zu erreichen ist.

Für Rotarier geht es in dieser Auseinandersetzung um zentrale Werte, etwa die konsequente Hinwendung zu denjenigen, die unter Armut, Hunger und Krankheiten leiden. Länderausschüsse und Kontaktclubs sind unsere Antwort auf eine Welt im Ungleichgewicht. Für Noack gibt es keinen Zweifel an dieser Ausrichtung: „Rotary muss sich gesellschaftspolitisch stärker engagieren.“ Dazu seien 330 ICC weltweit jedoch noch viel zu wenig, zumal außerhalb Europas die Idee in vielen Ländern keine Rolle spielt.

Serviceclub mit humanitärem Anspruch

„In einer Zeit, in der sich Staaten auf ihre Grenzen zurückziehen, bleibt Rotary grenzenlos“, betont Holger Knaack. „Unsere Grundwerte bilden die Basis für unsere Wertegemeinschaft, daraus erwächst auch eine besondere Verantwortung für Toleranz, Solidarität und Unterstützung. Rotarische Länderausschüsse eröffnen Möglichkeiten zu konkreter Friedensarbeit durch Begegnungen und gemeinsame Programme und Gemeindienstprojekte.“

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Nach einer Radtour durch Jerusalem waren deutsche und israelische Rotarier in bester Stimmung für den rotarischen Austausch © Soenius

Dieses Leitbild, für das schon Paul Harris die Rolle des Rotariers als „Botschafters des Guten Willens“ entwarf, stand nicht immer so im Fokus wie in jüngster Zeit. In ruhigen Jahren legte der Internationale Dienst in vielen Kontaktclubs sein Hauptgewicht darauf, fröhliche Treffen, mal hier, mal dort zu organisieren. Pflege der Freundschaft natürlich, als Selbstzweck aber dann doch etwas dürftig und gern auch mal als „wining and dining“ verspottet. Trotzdem ist dagegen nichts zu sagen, vor allem nicht, wenn es dem Zusammenfinden in buchstäblich schwierigem Gelände dient, wie etwa die Radtouren von Israelis und Deutschen. Im Normalfall müssen allerdings andere Elemente dazukommen. Für die Vorsitzende des Länderausschusses Deutschland – Österreich – Rumänien, Marianne Lehmann (RC Rothenburg ob der Tauber) steht die Arbeit auf drei Säulen: „Projekte, Clubpartnerschaft und kulturelle Bildungsarbeit, gerade auch durch Jugendaustausch. Nur so schaffen wir über den Tag hinaus Verständnis füreinander.“

Beispielhaft sind Initiativen, die die Anrainer-Staaten der Ostsee zusammenbringen wollen, unter Federführung des Distrikts 1940, ähnliches ist auch für die Mittelmeer-Länder geplant. Oder die „European Studies“, ein vom ehemaligen israelischen Botschafter Avi Primor ins Leben gerufener Master-Studiengang, der junge Jordanier, Palästinenser und Israelis zusammenbringt und den Rotary mit einem Multi-Distrikt-Grant unterstützen will. Oder auch RYLA-Seminare mit internationaler Besetzung und einem Brainstrorming zur Lösung globaler Herausforderungen, etwa Bekämpfung der Malaria (2019 in Pristina, Länderausschuss Deutschland – Türkei).

Frauenprojekt in Pakistan

Außerhalb von Europa gibt es bemerkenswerte Initiativen deutscher Rotarier etwa in Pakistan, einem Land, dessen geopolitische Struktur in Evanston besondere Aufmerksamkeit genießt, entscheidet sich hier doch der Erfolg der Polio-Kampagne. In der Provinz Khyber Paktunkhwa plant auf Initiative des zuständigen Länderausschusses der RC Essen-Gruga mit dem RC Abbottabad Valley ein Global Grant zur Ausbildung von Frauen für die Mediation von Streitfällen, die vor sogenannten Dispute Resolution Councils verhandelt werden. Diese Einrichtungen sind Schlichtungsstellen, die seit 2014 zur Entlastung der normalen Gerichte eingeführt wurden und eine Vielzahl von Rechtsfällen verhandeln. Frauen allerdings sind bisher weitergehend ausgeschlossen.

Ein anderes Projekt zielt auf den Dauerkonflikt zwischen Pakistan und Indien. Von der gemeinnützigen Organisation „Kick for Toleranz“ wurde mit Hilfe einschlägiger NGO sowie der Bundesregierung ein Projekt angeschoben, das Jugendliche beider Länder über Fußballspiele zusammenbringen will. Nachdem die Anschubfinanzierung durch die Bundesregierung ausgelaufen ist, wirbt der Länderausschuss für die Weiterführung durch Rotarier der drei Länder. Die Idee ist, an einem der gefährlichsten Brandherde der Welt über gemeinsamen Sport die Vorurteile aufzubrechen, die einem echten Frieden in der Region entgegenstehen.

Auf einer Ausschussreise nach Pakistan im März warb der Vorsitzende Klaus Klennert (RC Weilheim/Obb.) bei den Gastgebern um Mitwirkung und skizzierte die Möglichkeit eines „Auswärtsspiels“ der jungen Kicker in Nepal. Rotarier sind klassische Eisbrecher, ohne wirtschaftliche und politische Interessen, also glaubwürdige Vermittler, wenn Parteien in festgefahrenen Lagen nicht vorankommen. So war auch die Convention in Hamburg der richtige Ort, an dem Teilnehmer aus Indien und Pakistan die Zusammenarbeit in einem neuen Länderausschuss besiegelten.

ICC als Servicestelle

Global Grants mit Projektmitteln von 30.000 und mehr Dollar sind heute der bevorzugte Hebel, um nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen in Armuts- und Krisengebieten zu erzielen. Aus Sicht der Rotary Foundation, die die Finanzmittel der projektführenden Clubs verdoppelt, liegt die Betonung auf „nachhaltig“. Dazu gehört eine professionelle Planung, die genaue Kenntnisse der Verhältnisse am Projektort voraussetzt und gewährleistet, dass die geplanten Maßnahmen auch tatsächlich den Bedürfnissen der Menschen entsprechen.

Hier ist den Länderausschüssen eine zentrale Beraterfunktion zugewachsen, wie Past-Gov. Bernhard Maisch (RC Marburg) vom Länderausschuss Südliches Afrika in seinem Vortrag auf der Rotary Convention in Hamburg vor 350 Zuhörern ausführte: „Die dort aktiven Freundinnen und Freunde können Kontakte zu Clubs im Projektland vermitteln, die Beurteilung von Konzepten vornehmen und auch Hilfestellung bei der Durchführung der Projekte leisten bzw. vermitteln. Mit ihrem Überblick sind die Länderausschüsse ideale Marktplätze für den Ideenaustausch.“

Als Vorreiter auf diesem Weg haben sich die deutsch-österreichischen ICC, die – siehe oben bei Rumänien – ihre Schlagkraft in mehreren gemeinsamen Ausschüssen bündeln, dabei in eine Schlüsselrolle gebracht. Wie Noack berichtet, will die Rotary Foundation die humanitäre Arbeit in Regionen ausweiten, wo bislang noch weiße Flecken die Projektlandkarte bestimmen. Konkret: Es soll mehr Global Grant-Projekte im Bereich Osteuropa/Vorderasien geben, die von Deutschland aus begleitet werden. „Wir werden als Brückenkopf gesehen“, erläutert der DGR-Beauftragte, „um auch finanzstarke US-Clubs einzubeziehen.“ Ein erster Schritt in diese Richtung ist mit der Gründung des Länderausschusses Armenien erfolgt. Weitere sollen folgen, darunter Bulgarien und der Kosovo. 

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.