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Botschaften und Bilanzen
Die letzten Worte berühmter Menschen übermitteln zentrale Botschaften, dienen der Erbauung und sind manchmal auch nur banal.
Wie Todesanzeigen und Nachrufe bilden letzte Worte eine eigene Kategorie innerhalb der Erinnerungskultur. In Wikipedia findet sich folgende Definition: „Unter den letzten Worten versteht man das, was ein Mensch im Angesicht seines Todes der Nachwelt hinterlässt. Sie werden seit Jahrtausenden von verschiedenen Völkern der Erde für bewahrenswert erachtet. Obwohl sie nicht immer zweifelsfrei verbürgt sind, haben doch einige ihren Weg in den Sprichwortschatz und das Gedächtnis der Welt gefunden. Auch in der bildenden und darstellenden Kunst sowie in Literatur und Musik spielen sie eine große, mitunter tragende Rolle.“
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Tauchten solche letzten Worte früher nur sporadisch in Zitatenlexika auf, so sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten gleich mehrere Anthologien zum Thema erschienen. Auch Ernst Jünger, in dessen Werk Sterben und Tod eine zentrale Rolle spielen, hat über eine lange Zeit letzte Worte auf Karteikarten notiert – eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Tode sind sie gesammelt in Buchform herausgekommen.
„Diese letzten Worte als Sammlung gleichen einer Sammlung von Irrtümern und ungenauer Überlieferung“, hat Ernst Jünger auf eine seiner Karteikarten geschrieben. In der Tat: Die Philologie der letzten Worte bewegt sich auf schwankendem Grund. Neben verbürgten Aussagen sind Legenden und Anekdoten ihre Quellen. Man kann feststellen: Die Überlieferung ist umso unsicherer, je weiter der Tod zurückliegt.
Cornelius Hartz hat in seiner Anthologie 55 beste letzte Worte nach gründlichen Quellenstudien den Wahrheitsgehalt in Prozent angegeben. Galileo Galilei („Und sie bewegt sich doch!“) kommt auf null Prozent, ebenso wie Heinrich Heine („Gott wird mir verzeihen, das ist sein Beruf“) und Dylan Thomas („Ich hatte gerade 18 Whiskey ohne Eis; ich denke mal, das ist der Rekord“). Dabei ist zumindest der Ausspruch von Dylan Thomas durchaus plausibel. Er starb nach einem Alkoholexzess auf einer Vortragsreise in New York. Statt Blumen bringen die Verehrer noch heute Whiskey mit zum Grab im Waliser Küstenort Langharne. An seiner Seite ist seine Frau Caitlin beerdigt, die ihren Mann um 40 Jahre überlebt hat. Ihre posthum erschienene Autobiografie trägt den Titel My Life with Dylan Thomas: Double Drink Story. So kann auch ein umstrittenes Zitat auf eine tiefere Wahrheit verweisen.
Letzte Worte: 100 Prozent Wahrheitsgehalt attestiert Hartz unter anderem folgenden Sentenzen:
• „Zeige meinen Kopf dem Volk, er ist es wert“ – so Georges Danton vor der Hinrichtung mit der Guillotine am 5. April 1794 in Paris.
• „Aber was ist denn mit mir geschehen?“ – so die österreichische Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi, nachdem ihr der italienische Anarchist Lucheni am 10. September 1898 in Genf mit einer Feile einen Stich ins Herz versetzt hatte.
• „Der Typ muss anhalten. Er wird uns schon sehen“ – so James Dean, kurz bevor er am 30. September 1955, erst 24 Jahre alt, bei einem Autounfall auf der Route 466 nördlich von Los Angeles ums Leben kam.
Es ist sicher sinnvoll, die überlieferten Sätze quellenkritisch zu überprüfen, aber die Schätzung des „Wahrheitsgehalts“ in Prozentzahlen suggeriert nur eine Pseudopräzision. Die Rezeptionsgeschichte solcher Aussagen hat außerdem längst eine eigene Wirkung entfaltet. Man kann die Textsorte, um die es hier geht, nach unterschiedlichen Kriterien einzuordnen versuchen. Mir scheint eine inhaltliche Einteilung sinnvoll, für die ich im Folgenden jeweils einige ausgewählte Beispiele nenne.
Erfüllung und Erbauung
Da sind zunächst jene Aussagen, die von Erfüllung künden und der Erbauung dienen können. So hat Jesus von Nazareth, gestorben im Jahr 33 unserer Zeitrechnung, vor seinem Tod am Kreuz zuletzt den viel zitierten und in der Karfreitagsliturgie immer wieder aktualisierten Satz gesprochen: „Es ist vollbracht!“ Überliefert ist dies im Evangelium des Johannes, das freilich erst einige Jahrzehnte nach Jesu Tod entstanden ist.
Weitere Beispiele für religiös geprägte Aussprüche am Lebensende:
• Franziskus von Assisi betete vor seinem Tod 1226 den 141. Psalm: „Führe meine Seele aus dem Kerker, damit ich Deinen Namen preise.“
• Von Martin Luther, der 1546 an Herzschwäche starb, ist als Letztes ein Gebet überliefert: „In deine Hände empfehle ich meinen Geist.“
• Mutter Teresa, gestorben 1997, flüsterte vor ihrem letzten Atemzug: „Jesus, ich liebe Dich.“
• Karol Wojtyla, als Johannes Paul II. 26 Jahre lang Papst in Rom, starb nach langer Krankheit 2005 unter weltweiter Medienbegleitung mit den Worten: „Lasst mich ins Haus des Vaters gehen.“
Ganz anders die letzten Worte, die von Agnostikern, Atheisten und Zweiflern überliefert sind. Sie sind nicht selten von Ironie und Sarkasmus geprägt. Richard Löwenherz, Herrscher über England und Frankreich, wurde 1199 bei der Belagerung der Burg Chalus-Chabrol, erst 41 Jahre alt, von einem feindlichen Armbrustschützen getroffen. Hans Halter berichtet über seine letzten Stunden: „Die Wunde wurde brandig, Richard Löwenherz fieberte, ein Priester gab dem Herrscher über das größte Reich des Mittelalters eine Woche später die Letzte Ölung – nicht ohne dem sterbenden Feldherrn noch mal energisch ins Gewissen zu reden. Richard solle den ‚drei schlechten Mädchen, die er aushalte‘, abschwören – dem Ehrgeiz, dem Geiz und der bösen Wollust. Damit war der legendäre Herrscher einverstanden: ‚Ich hinterlasse meinen Ehrgeiz den Templern, meinen Geiz den Mönchen, meine Wollust den Prälaten.‘“
Niccolò Machiavelli, Diplomat, Historiker und bedeutender Schriftsteller, hatte sich vor seinem Tod im Jahre 1527 auf sein Gut in der Nähe von Florenz zurückgezogen. Sein letzter Wunsch unterstreicht laut Werner Fuld „die Modernität seines Intellekts“: „Ich will in die Hölle und nicht in den Himmel, da treffe ich nur Bettler, Mönche und Apostel. In der Hölle habe ich die Gesellschaft von Päpsten, Prinzen und Königen.“
Schließlich Brendan Behan, irischer Dramatiker, Rebell und notorischer Säufer: Vor seinem frühen Tod im Jahre 1964 wurde er im Hospital hingebungsvoll von einer katholischen Ordensschwester gepflegt. Sein letzter Wunsch galt dieser Frau: „Mögen alle deine Söhne Bischöfe werden.“
Rückblicke und Bilanzen
Und dann sind da die Rückblicke und Bilanzen am Ende des Lebens. Wolfgang Amadeus Mozart hatte schon als Fünfjähriger zu komponieren begonnen, und dies blieb sein Metier und seine Leidenschaft bis zum frühen Tod 1791. Über die Todesursache gibt es viele Spekulationen: Vom Mordvorwurf – vergiftet mit Quecksilber – bis zu diversen Erkrankungen und ärztlicher Fehlbehandlung reicht das Spektrum. Seine letzte Komposition war das Auftragswerk eines Unbekannten: das „Requiem“. Mozart konnte es nicht mehr vollenden. Kurz vor seinem Tode soll er zu seiner Frau gesagt haben: „Ich schreibe es auch für mich selbst.“
Das Werk des Philosophen Arthur Schopenhauer war geprägt von einer pessimistischen Grundhaltung. In seinem kämpferischen Leben musste er viele Enttäuschungen verkraften: Sein Opus magnum Die Welt als Wille und Vorstellung lag wie Blei in den Regalen, seine Vorlesungen mussten häufig ausfallen, weil die Hörer wegblieben. Bei seinem Tod im Jahr 1860 zog er dann doch noch ein positives Resümee: „Es gehe, wie es wolle, ich habe wenigstens ein reines intellektuelles Gewissen.“
Käthe Kollwitz, die Bildhauerin und Grafikerin, hat in ihrem Leben viele Höhen und Tiefen erfahren. Beruflich sehr erfolgreich – als erste Frau wurde sie in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen –, musste sie privat viele Schicksalsschläge verkraften: Ihr Sohn fiel im Ersten Weltkrieg in Flandern, ihr Enkel im Zweiten Weltkrieg in Russland. Ihre letzten Worte vor dem Tod im April 1945: „Lasst mich fortgehen, meine Zeit ist um.“
Zehn Jahre später soll auch Albert Einstein nach seinem kreativen und turbulenten Leben eine positive Bilanz gezogen haben: „Ich habe meine Sache hier getan.“
Programmatische Botschaften
Programmatische Botschaften erwartet man vor allem von solchen Protagonisten, die ein kämpferisches Leben geführt haben, die für oder gegen politische Ideen, Regime und Machtstrukturen gestritten haben. Wenn ihr Kampf – zumindest vorläufig – gescheitert war, mussten Rebellen und Revolutionäre nicht selten mit dem Tod durch die Guillotine, den Galgen oder durch Erschießungskommandos rechnen. Manche von ihnen haben die öffentliche Aufmerksamkeit vor der Hinrichtung für wegweisende Aussagen genutzt. Auch deshalb sind so viele Abschiedssätze von Hingerichteten überliefert.
Da sind zunächst jene Männer und Frauen, die sich offen gegen die herrschenden Machteliten des sogenannten Dritten Reiches gestellt haben. Zum Symbol des Widerstands gegen die Nazi-Diktatur wurde die studentische Gruppe der Weißen Rose, die sich in mehreren in München verbreiteten Flugblättern gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wandte und zur Beendigung des Krieges sowie zur moralischen Erneuerung aufrief. Nach der Aufdeckung im Februar 1943 wurden die Mitglieder vom Volksgerichtshof in zwei Prozessen zum Tode verurteilt und kurz darauf hingerichtet. Gut dokumentiert sind die letzten Worte von Hans Scholl, bevor er am 22. Februar 1943 durch das Fallbeil starb: „Es lebe die Freiheit!“
Im Jahr darauf dann das Attentat auf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Anschlag am 20. Juli 1944 misslang, der lange vorbereitete Staatsstreich scheiterte. Unmittelbar darauf wurden der Attentäter und drei weitere Offiziere durch ein Standgericht der Wehrmacht zum Tode verurteilt und im Hof des Berliner Bendlerblocks erschossen. Die Abschiedsworte Stauffenbergs sind in mehreren Versionen überliefert: „Heiliges Deutschland!“ oder „Es lebe Deutschland!“ oder „Es lebe unser heimliches Deutschland!“ oder „Es lebe unser geheiligtes Deutschland!“ oder „Es lebe Deutschland ohne den Führer!“.
Und dann sind noch ganz einfache und gerade deshalb berührende letzte Worte überliefert:
• Konrad Adenauer, gestorben 1967 im Alter von 91 Jahren, verabschiedete sich von seiner Familie mit dem Satz: „Do jitt et nix zo kriesche“ – die kölnische Version von „Kein Grund zum Weinen“.
• Frank Sinatra antwortete 1998 nach seinem zweiten Herzinfarkt auf die Aufforderung seiner Frau Barbara, er müsse kämpfen: „Ich verliere.“
• Mit einem schlichtem „Danke“ verabschiedeten sich der Komponist Johannes Brahms († 1897), der Politiker Otto von Bismarck († 1898) und der Dichter Gottfried Benn († 1956): Brahms von seinem Arzt, Bismarck von seiner Tochter, Benn von seiner Frau.
Besonders eindrucksvoll die letzten Worte von Egon Friedell, dem österreichischen Publizisten, Kulturhistoriker und Schauspieler. An seinem Wohnhaus in der Gentzgasse 7 im Wiener Stadtteil Währing erinnert eine Gedenktafel an ihn. Als jüdischer Intellektueller und kritischer Kopf war er nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gefährdet. Drei Tage nach dem „Anschluss“ sah er SS-Leute ins Haus kommen und sprang voller Panik aus dem Fenster. Dabei rief er den Passanten rücksichtsvoll zu: „Vorsicht, bitte!“ Oder in der Wiener Version: „Bitt’ schön, geh’n S’ zur Seite!“
Letzte Worte werden gern symbolisch überhöht als Botschaften an die Nachwelt gedeutet. Dabei sind viele der überlieferten Sentenzen schlicht der jeweils aktuellen Sterbesituation geschuldet und können nicht als Quintessenz eines Lebens gedeutet werden. Die Quellenangabe ist oft dürftig, manche der einschlägigen Anthologien verzichten ganz auf entsprechende Nachweise. Hans Halter dankt am Ende seiner lesenswerten Sammlung diversen Personen für ihre Hinweise. Seine Aufzählung schließt mit dem Satz: „Ich danke auch meiner Frau Regina, die fast immer das letzte Wort hat.“
Die letzten Worte erinnern uns daran, dass das menschliche Leben begrenzt ist. In manchen Abschiedssätzen wird der Tod als finaler Abschluss, in anderen als Übergang in eine neue Existenzform gesehen. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod – für manche bedeutet dies Gewissheit, für andere Hoffnung, nicht selten mit Zweifeln gemischt.
Letzte Worte regen dazu an, sich mit der Frage nach der Vergänglichkeit, nach Zeit und Ewigkeit zu befassen. Das letzte Wort dieses Beitrags soll ein deutsches Sprichwort haben: „Arm oder reich, der Tod macht alles gleich.“
Die ungekürzte Version des Artikels lesen Sie unter rotary.de/a18926
Einen Artikel zur gegenwärtigen Ausstellung „Suizid – Let’s talk about it“ im Museum für Sepulkralkultur in Kassel lesen Sie unter rotary.de/a18929
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