Peters Lebensart
Die kulinarische Sendung Luthers
In unserer medienfixierten Wahrnehmungswelt werden nachdenkliche Stimmen protestantischer Theologen laut, die sich um die mangelnde sinnliche Verführungskraft ihrer Religion sorgen. Kein telegener Heiliger Vater, nüchterne Kirchen ohne Barockprunk und dazu der Ruf, gastronomische Vergnügungen abzulehnen. Für Wolfram Siebeck, den jüngst verstorbenen Papst der deutschen Restaurantkritik, gipfelte dieses Vorurteil in dem Vorwurf, Luther und der 30-jährige Krieg seien letztlich am kulinarischen Zivilsationsrückstand Deutschlands schuld.
Kann man sich das so einfach machen?
Fest steht: Der Augustinermönch lehnte sich gegen eine Kirche auf, die ein kompliziertes System von Fastentagen und verbotenen Speisen etabliert hatte. Der Bibelübersetzer fand dafür keine Anhaltspunkte in der Heiligen Schrift und plädierte nach einem Jahrtausend christlicher Askese-Predigten für die Freigabe von leiblichen Genüssen: „Darf unser Herrgott gute, große Hechte, auch guten Rheinwein schaffen, so darf ich wohl auch essen und trinken.“
karger speisezettel im Pfarrhaus
Zugegeben, es gibt strukturelle Parameter, die, ohne dass dies von Luther intendiert war, teilweise dazu führen, dass evangelische Küche ins Freudlose abgleitet. Der karge Speisezettel kinderreicher Pfarrhaushalte konnte nicht mit der Gourmet-Kompetenz katholischer Prälaten wetteifern. „Röste Brot und schütte Wasser dran“ – solche Rezepte dürften nur schwäbische Pfarrersgattinnen aufgeschrieben haben.
Luthers Lehre hat das Tor zur Eigenverantwortung weit aufgestossen. Da die Beichte entfällt, muss sich der Idealgläubige eigentlich jeden Tag kasteien – das katholische Wechselspiel von Schlemmen und Fasten ist aufgehoben, stattdessen regiert kulinarische Moral. Folgenreich dürfte Luthers frühnationale Ablehnung von Delikatessen sein. „Ich lobe mir eine reine gemeyne Hausspeis“. Das haben einige offenbar in die falsche Kehle bekommen und vor allem das Wort reine vergessen. Eine der Kernaussagen protestantischer Lieder, dass alle Speise von Gott komme, fördert bis heute Tendenzen zu kritiklosem Konsum von Produkten der Lebensmittelindustrie: Die „gemeyne Hausspeis“ ist aktuell oft billige Tiefkühlpizza oder Dosenravioli.
Eine volle Breitseite fährt der italienische Professor Massimo Salani auf: Fastfood sei egoistisch-protestantisch, während katholische Mittelmeervölker gemeinsames Tafeln bevorzugten. Gegenargument: Die familiärste aller deutschen Mahlzeiten, das üppige Sonntagsfrühstück, atmet eindeutig protestantischen Geist – fromme Katholiken sollten sich vor dem sonntäglichen Kirchgang nüchtern halten!
Luther, den Karikaturen zeigen, wie er sein „angemästetes Ränzlein“ auf einer Schubkarre vor sich herschiebt, hat die deutsche Küche nicht auf dem Gewissen. Er gerierte sich als bodenständiger Gourmet, der gern bei Tischgesprächen das hausgebraute Bier seiner Gattin trank.
Fazit: Luther eignet sich nicht als Kronzeuge für sauertöpfischen Verzicht, eher als Botschafter einer lebensfrohen Speisementalität. Der Reformator pochte auf die Freiheit eines essenden Christen und sah sich dabei stets in Gottes Hand: „Ich ess, was ich mag. Ich sterb, wann Gott will.“
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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