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Rotary-Magazin Oktober 2020

Die SED und der verschwundene Milliarden-Schatz

Rotary-Magazin Oktober 2020  - Die SED und der verschwundene Milliarden-Schatz
Die ehemalige Gesellschafterin der Ost-Berliner Firma Novum, Rudolfine Steindling, sitzt am 8.4.2003 als Zeugin vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin. © Andreas Altwein / picture-alliance / dpa

Ende 1989 war die SED-Nachfolgepartei eine der reichsten Parteien Europas. Auf abenteuerliche Weise versuchte die Partei, Vermögen zu verstecken – und in Teilen ist ihr das sogar gelungen.

Kai-Axel Aanderud03.10.2020

Während sich Millionen DDR-Bewohner freuen, die SED-Diktatur besiegt zu haben, hadern die alten Eliten mit ihrem Machtverlust. Deprimiert kommen am 8./9. Dezember 1989 rund 2100 SED-Delegierte in der Ost-Berliner Dynamo-Sporthalle zum Sonderparteitag zusammen und wählen den 41-jährigen Gregor Gysi mit 95,3 Prozent zum neuen Vorsitzenden. Der Rechtsanwalt ist zwar seit 1967 SED-Mitglied, doch gilt er als ausreichend unbelastet für einen Neuanfang. „Es geht nicht um neue Tapeten, wir wollen eine neue Partei“, gibt Gysi in einer mitreißenden Rede die Richtung vor. Er ist es, der den Vorschlag zur Umbenennung in SED-PDS macht und für deren Fortbestand wirbt: „Die Auflösung der Partei und ihre Neugründung wäre meines Erachtens eine Katastrophe für die Partei.“ Die Begründung des Juristen Gysi erschließt sich den Delegierten auf Anhieb.

Mit einem Parteivermögen von 6,13 Milliarden Mark, 1700 Immobilien und Hunderten von Unternehmen ist die PDS Ende 1989 eine der reichsten Parteien Europas. „Eine Vereinigung beider deutscher Staaten, das wäre die von keinem Politiker zu verantwortende Entscheidung, die DDR in ein unterentwickeltes Bundesland mit ungewisser sozialer Zukunft für seine Bürger zu verwandeln, das heißt sie zum Armenhaus der BRD zu machen“, warnt Gysi. „Es wollen sehr viele Kräfte an das Eigentum der Partei heran. Genossen, ich sage das so deutlich, wir haben nichts zu verschenken (Beifall). Ich scheue jedes Risiko, das uns im Bestand gefährdet.“ Mitte Dezember 1989 erstellt die Notarin Sabine Herrmann eine interne Übersicht über die PDS-Unternehmen und vermerkt darunter: „Insgesamt erscheint mir das ‚Verstecken des Parteivermögens‘ in vorstehende Betriebe legal.“

Nach 16-jähriger Tätigkeit legt die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (UKPV) im Juli 2006 ihren Abschlussbericht vor. Im Juni 1990 auf der Grundlage eines DDR-Volkskammergesetzes eingesetzt, führen die 85 UKPV-Mitarbeiter ihre Tätigkeit auf Basis des Einigungsvertrags im wiedervereinigten Deutschland fort. Vermögenswerte von 1,6 Milliarden Euro kann die UKPV ermitteln, davon 1,2 Milliarden Euro von der PDS. Anders als in den Fernsehtalkshows sind deren Repräsentanten der UKPV gegenüber ziemlich wortkarg: „Es bleibt festzuhalten, dass die PDS sich nur wenig kooperativ gezeigt hat“, heißt es im UKPV-Abschlussbericht. „Die Partei musste regelmäßig eher gezwungen werden, als dass sie den gesetzlichen Verpflichtungen von sich aus nachgekommen wäre.“

Zum Stichtag 31. Dezember 1989 verfügt die PDS nach eigenen Angaben über ein Guthaben von 6,13 Milliarden Mark. Vor allem deren Transaktionen an die Moskauer Firma Putnik interessieren die Ermittler. Diese mithilfe der KPdSU gegründete Scheinfirma stellt fingierte Rechnungen über „Altforderungen“ aus, 70 Millionen DM für die Ausbildung von 350 afrikanischen Studenten etwa. Die Altforderungen sind erfunden, die Mahnungen dagegen echt. Im Rahmen der „Putnik-Transaktion“ versucht die PDS im Herbst 1990, 107 Millionen DM von ihren Konten abzuziehen, um sie in Form schwarzer Kassen neu anzulegen. Doch die Banken werden misstrauisch und schalten die Staatsanwaltschaft ein. Hundert Polizisten durchsuchen daraufhin die PDS-Parteizentrale im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Tags darauf fliegt Parteichef Gysi zum Vize-Generalsekretär der KPdSU Wolodymyr Iwaschko und dem Chef der ZK-Abteilung Internationales Walentin Falin nach Moskau, um sie „zur Aufrechterhaltung der Legende hinsichtlich bestehender Altforderungen zu bewegen“, wie es im Kommissionsbericht des Bundestages heißt. Doch die Russen lehnen ab. „Als PDS-Chef Gregor Gysi nach Hause flog, wusste er bereits, dass seine sozialistische Partei binnen weniger Stunden als kapitalistischer Devisenschieber übler Sorte am Pranger stehen würde“, schreibt der „Spiegel“. „Blass und kleinlaut musste Gysi nach mehrstündigen Gesprächen in Moskau eingestehen, dass es eine ‚unrechtmäßige finanzielle Transaktion von 107 Millionen Mark‘ gegeben hat. Die Fahnder reagierten, beispiellos in der deutschen Parteiengeschichte, mit einer erneuten Durchsuchung der PDS-Zentrale.“

Besonderes Interesse ruft bei den Ermittlern auch die in der illegalen Devisenbeschaffung der DDR tätige Novum Handelsgesellschaft mbH der geheimen „Kommerziellen Koordinierung“ hervor. Zwischen 1989 und 1992 nimmt die geschäftsführende Wiener Novum-Gesellschafterin Rudolfine Steindling („Rote Fini“) umfangreiche Geldverschiebungen vor und lässt einen großen Teil des Novum-Vermögens verschwinden. „Dies war und ist Gegenstand langjähriger Gerichtsverfahren, die bisher nur in Deutschland abgeschlossen sind“, heißt es im UKPV-Abschlussbericht. Die Frage, ob Novum eine Firma der SED oder – wie Steindling behauptet – der österreichischen Kommunistischen Partei war, klärt nach langem Prozess das Berliner Oberverwaltungsgericht: Im Oktober 2004 steht die SED als Gesellschafterin rechtskräftig fest – „auf dieser Grundlage werden in Zürich in erster Instanz Schadensersatzprozesse gegen Frau Steindling und die AKB-Privatbank Zürich (zuvor Bank Austria Schweiz), die bis zur endgültigen deutschen Entscheidung ausgesetzt waren, fortgeführt. Die addierte Klagesumme beläuft sich auf ca. 237 Millionen Euro zuzüglich Zinsen.“

Doch Steindling hat ihre Konten bei den Schweizer Geldhäusern Bank Cantrade AG und Coutts & Co AG bereits geleert und 109 Millionen Euro an 60 verschiedene Banken überwiesen. Bei der Zürcher BFZ-Bank hebt sie in 62 Tranchen 128 Millionen Euro ab und legt sie bei der Österreichischen Länderbank (Bank Austria Wien) in anonymen Wertpapieren an. „Von den Gesamtguthaben konnten Mitte 1992 noch ca. 20 Millionen Euro gesichert werden“, hält die UKPV fest. „Hinzu kamen im Rahmen der Liquidation der CW-Bank in Wien noch etwa 7,3 Millionen Euro aus der Auflösung der Novum-Konten und ca. 4,3 Millionen Euro aus der Verwertung nicht einbringlicher Kreditforderungen gegenüber Nord-Korea.“

Da Steindling stets behauptet, sie sei mittellos, ändert die UKPV schließlich ihre Strategie und verklagt die Banken auf Komplizenschaft mit der „Roten Fini“ – Ende 2020 soll der letzte Rechtsstreit mit der Privatbank Julius Bär als Rechtsnachfolgerin der Bank Cantrade AG abgeschlossen und der vom Schweizer Bundesgericht in Lausanne festgesetzte Betrag von 88 Millionen Euro zuzüglich Zinsen auf dem UKPV-Konto eingegangen sein. Steindling verstirbt im Oktober 2012 in Tel Aviv, über den Verbleib der übrigen Millionen kann nun nur das Karl-Liebknecht-Haus Auskunft geben.


Zusatzinfo:
Viermal ändert die einstige Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) nach der Maueröffnung ihren Namen, im Dezember 1989 in „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – Partei des Demokratischen Sozialismus“ (SED-PDS), im Februar 1990 in „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), im Juli 2005 in „Die Linkspartei. PDS“ (Die Linke.PDS) und im Juni 2007 nach ihrer Fusion mit der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG) schließlich in „Die Linke“.


Buchtipp:

 

Kai-Axel Aanderud

30 Jahre Deutsche Einheit: Eine Bilanz 

Mittler im Maximilian Verlag (2020),

272 Seiten, 24,95 Euro