Rotary Entscheider
» Heute herrscht hier harter Wettbewerb «
Im Gespräch mit Rainer Esser, dem Geschäftsführer des Zeit-Verlags, über die Perspektiven der Zeitungen und neue Konkurrenz
Seit 16 Jahren ist Rainer Esser Geschäftsführer des Zeit-Verlags. Das Hamburger Unternehmen, das die Wochenzeitung Die Zeit herausgibt, hat er zu einer Mediengruppe entwickelt, die neben Print- und Online-Journalismus auch Reisen und Konferenzen anbietet, eine Online-Akademie sowie Rotweine und Armbanduhren. An den Wänden seines Büros hängen dicht nebeneinander die Titelbilder der letzten 100 Ausgaben der gedruckten Zeit. Die Konkurrenz im Internet hat das Geschäft nicht leichter gemacht. Kein Wunder, dass Esser 70 Stunden pro Woche arbeitet, um das Medienunternehmen zusammen mit Chefredakteur Giovanni di Lorenzo auf Kurs zu halten. Esser trägt keine Krawatte und setzt sich entspannt an den Konferenztisch.
Rotary Magazin: Herr Esser, es gibt in Hamburg den alten Spruch: Der Mann vom Spiegel trägt Schlips, der Herr von der Zeit Krawatte. Gilt das nicht mehr?
Esser: Bei der Zeit geht es heute sehr informell zu. Hier sind alle locker
angezogen, fast alle duzen sich im Haus. Es gibt ständig Feste auf den einzelnen Etagen. Das Weihnachtsfest geht bis sechs Uhr in der Früh, nicht weil die Leute müde sind, sondern weil die Disco dann vorbei ist. Es trägt im ganzen Haus keiner eine Krawatte, wenn nicht gerade ein offizieller Event ansteht. Wenn ich
zu Rotary gehe, vergesse ich gelegentlich die Krawatte und werde dann von den Freunden scherzhaft darauf hingewiesen.
Wie sieht der typische Zeit-Leser aus?
Ein Charakteristikum ist das große Interesse an allem, was in der Welt passiert, an Geschichte, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Wir haben viele Leser, die engagiert sind und in der Gesellschaft etwas bewegen wollen. Das sind Leute, die im Beruf und zu Hause als Multiplikatoren auftreten, weil sie sagen: Mein Rat ist wichtig. Es sind Menschen, die sich mehr interessieren als Leser von anderen Zeitschriften und Zeitungen. Der durchschnittliche „Zeit“-Leser ist 50 Jahre alt, hat einen akademischen Abschluss, trinkt Rotwein und reist sehr gerne.
Solvent muss er auch sein. Sie bieten im Zeit-Shop eine Uhr für 11.800 Euro an.
Das ist ein ganz besonderes Angebot und richtet sich natürlich nur an sehr wenige, die mechanische Uhren aus einer Manufaktur besonders schätzen. Es gibt von dieser Uhr nur sieben Exemplare.
Früher waren Zeitungen eine Lizenz zum Gelddrucken. Lohnt die Investition noch?
Selbstverständlich. Früher hatten Printmedien eine Monopolstellung für Kommunikation und Werbung, das hat sie sehr faul gemacht. Heute herrscht hier harter Wettbewerb wie überall in der Wirtschaft. Ob etwas eine gute Investition ist, hängt also davon ab, wie sich die einzelne Zeitung im Wettbewerb behauptet.
Als Geschäftsführer der Zeit haben Sie eine Kooperation mit Google begonnen. Haben Sie keine Angst, dass der Online-Gigant Sie in die Ecke drängt?
Überhaupt nicht, wir geben Google ja nichts. Wir würden denen nicht den Quellcode unserer Zeitung verraten, wenn es den gäbe. Wir verschenken auch keine Inhalte. Das ist eine Kooperation, bei der wir uns austauschen. Google sagt uns, was sie demnächst alles machen werden, und wir halten die Fahne des Qualitätsjournalismus hoch.
Wer bestimmt bei einer Zeitung: der Geschäftsführer oder der Chefredakteur?
Das Sagen hat der Verleger. In unserem Fall die Familie von Holtzbrinck.
Ist Dieter von Holtzbrinck ein Verlagsromantiker, wie oft behauptet wird?
Er ist der klassische Verleger, der an gute Zeitungen und Zeitschriften glaubt, die von guten, kenntnisreichen Leuten vorangebracht werden. Er ist sicherlich mehr an Inhalten und Menschen interessiert als am schnöden Mammon.
Wie ist es, mit Helmut Schmidt zusammenzuarbeiten?
Helmut Schmidt wird im Haus sehr verehrt, er ist bis vor Kurzem auch jede Woche ein, zwei Tage in seinem Büro hier gewesen. Bei der politischen Konferenz ist er ein sehr wichtiger Ratgeber, auch bei Zeit-Konferenzen haben wir ihn eingesetzt. Zuletzt war er dieses Jahr bei unserer langen Nacht der Zeit im Thalia Theater.
Wie schafft er das mit seinen 96 Jahren?
Sein Alter hat nichts an seiner Neugier und an seinem Interesse an der Welt verändert.
Sind Sie ein Workaholic?
Der Job hier macht mir sehr viel Spaß, ich habe gute Kollegen und ein sehr schönes Produkt. Da verschwimmt die Work-Life-Balance weitgehend. Ich arbeite tatsächlich sehr, sehr viel, empfinde das aber nicht als übermäßige Belastung.
Wie halten Sie sich fit?
Morgens laufe ich eine halbe Stunde vor dem Frühstück. Außerdem spiele ich Tennis und gehe in die Muckibude, um Hanteln zu stemmen.
Bleibt da noch Zeit zum Schlafen?
Also ich brauche sieben Stunden. Rüdiger Grube, der Chef der Deutschen Bahn, hat mir mal gesagt, dass er mit nur vier oder fünf Stunden auskommt. Seine Mitarbeiter sagen, dass sie bis in die Nacht hinein Nachrichten von ihm bekommen und am frühen Morgen auch schon wieder.
Halten Sie Ihre Mitarbeiter so auf Trab?
Ich selbst kommuniziere sehr gerne am Abend oder am Wochenende, denn da habe ich Zeit, die Dinge zu lesen. Tagsüber kann ich nicht lesen, weil ich immer in Terminen bin. Ich schreibe dann auch Mails, aber ich erwarte von meinen Mitarbeitern nicht, dass die mir am Abend oder am Wochenende antworten.
Wie treffen Sie Entscheidungen?
Ich vertraue sehr meinen Kollegen, ihr Votum ist für mich sehr wichtig. Ich treffe nie alleine eine Entscheidung, sondern schaue mir erst die Fakten an und diskutiere das dann mit meinen Kollegen.
Und wenn sich Pro und Contra dann die Waage halten?
Die meisten Manager sagen, dass sie nach den Fakten entscheiden. In Wahrheit entscheiden aber fast alle nach den Fakten, wie sie sich die zurechtgelegt haben. Darüber gibt es zahlreiche Untersuchungen. Die meisten entscheiden nach Zuneigung und Abneigung, und ich bin sicherlich keine Ausnahme. In der Regel entscheide ich mich sehr schnell.
Gibt es Grundsätze, denen Sie stets treu geblieben sind?
Selbstverständlich. Glaubwürdigkeit, Authentizität und voller Einsatz gehören zu den wichtigsten.
Warum sind Sie Rotarier geworden?
Weil ich gerne jede zweite Woche mit einer Reihe von klugen und freundlichen Menschen zusammenkomme, um über ganz andere Themen zu sprechen. Rotary ist auch ein Netzwerk, wo man sich gegenseitig und auch anderen hilft. In Hamburg unterstützen wir eine Reihe von Projekten, zum Beispiel ein Kulturprojekt in Altona – und natürlich den weltweiten Kampf von Rotary gegen Polio.
Apropos Freundschaft, sind Sie auf Facebook aktiv?
Ja, denn ich habe im Laufe der Jahre sehr viele Menschen kennengelernt und kann mit denen nicht ständig telefonieren oder Briefe austauschen. Facebook ist eine Plattform, auf der ich mit ein paar Hundert Leuten kommuniziere, ab und zu Urlaubsbilder poste oder ein paar Weisheiten, die mir gerade einfallen. Ich bin aber kein „heavy user“.
Haben Sie eine heimliche Schwäche?
Sie sehen die Schale mit Äpfeln, Mandarinen und Granatäpfeln vor uns auf dem Tisch. Aber im Schrank um die Ecke ist Nougatschokolade, und die esse ich deutlich lieber. Deshalb haben meine Mitarbeiter den Auftrag, die Schokolade vor mir zu verstecken.
Haben Sie ein Vorbild?
Ich habe die ersten sechs Jahre bei meiner Großmutter gelebt. Von der habe ich die Devise: „Geht nicht gibt’s nicht”, und eine gewisse Gutmütigkeit. Meine Oma ist Jahrgang 1893 und musste zweimal in ihrem Leben auf der Flucht alles hinter sich lassen. 1918 von Kattowitz nach Platz in Niederschlesien und dann 1947 nach Wolfenbüttel. Wenn Sie zweimal im Leben alles zurücklassen müssen, dann werden Sie sehr pragmatisch und ergebnisorientiert. Da macht man keinen großen Bohei, sondern kümmert sich darum, dass alle einen Platz zum Schlafen, ausreichend Decken und Essen haben. Das hat mich geprägt, der Pragmatismus.
Ihr Vater war Versicherungsangestellter, Ihre Mutter Apothekerin. Nach wem kommen Sie eher?
Ich habe die Gewissenhaftigkeit meiner Mutter geerbt und den manchmal albernen Humor meines Vaters. Ich erzähle sehr gerne Witze.
Bitte sehr.
Ein katholischer Priester, ein Evangelist und ein Rabbiner treffen sich in Kanada und streiten über Religion. Sie vereinbaren einen Wettstreit, wer es als Erster schafft, einen Bären von seinem Glauben zu überzeugen. Nach einer Woche treffen sie sich wieder. Der Priester hat schwere Schürfwunden im Gesicht und erzählt: Der Bär kam auf mich zu, als ich ihm aus dem Katechismus vorgelesen habe. Dann hat er mich angegriffen, wir sind einen Berg runtergerollt in einen See, und da habe ich ihn getauft. Der Evangelist berichtet: Ich habe mich auf den Berg gestellt und vor dem Bär gepredigt, bis er einschlief. Dann habe ich mit ihm verabredet, dass der Bischof nächste Woche kommt und ihn taufen wird. Der Rabbiner ist am ganzen Körper bandagiert und fürchterlich zugerichtet. Neugierig fragen die anderen, was passiert ist. Er antwortet: Ich glaube, es war eine ziemlich schlechte Idee, gleich mit der Beschneidung zu beginnen.
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