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» Ich bin kein guter Entscheider «

Im Gespräch mit dem Unternehmensberater Roland Berger, der als 20jähriger Student einen Waschsalon gründete und später mit seinem ersten Beratungskunden einen Aperitif auf den Markt brachte

Malte Herwig01.08.2015

Am Englischen Garten ist München am schönsten, erst recht im Sommer. Seit die Firma Roland Berger Strategy Consultants im Frühjahr an den Nordzipfel des Parks gezogen ist, können die Mitarbeiter in der Mittagspause zum Chinesischen Turm schlendern oder die Füße im Oberst­jägermeisterbach kühlen, um auf neue Ideen zu kommen. Es ist ja ein böses Vorurteil, dass Unternehmensberater einfach nur gut bezahlte Burn-out-Kandidaten seien.

Der Job ist vielmehr eine intellektuelle Rundum-Herausforderung, für die man Menschenkenntnis, Sprachfertigkeit und einen breiten Bildungshorizont braucht. Der Chef macht es vor: Er lernte Latein in der Schule, Italienisch im Urlaub, und die Menschen lernt er kennen, indem er auf sie zugeht. Roland Berger empfängt in einem dezent eingerichteten, hellen Büro im obersten Stock. Er sammelt Kunst, aber er drängt sie dem Besucher nicht auf. Kein Angeber-Warhol hängt über dem Schreibtisch. Bescheidenheit ist seine Zier.

Rotary Magazin: Herr Berger, als Sie in den fünfziger Jahren studierten, ließen die meisten ihrer Kommilitonen die Wäsche noch von Muttern waschen. Sie aber gründeten bereits als 20jähriger Student einen Waschsalon. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Berger: Das hatte nichts mit meiner Vorliebe fürs Waschen zu tun. Ich wollte einfach in der Praxis ausprobieren, was ich an der Universität über Betriebswirtschaft lernte: wie man eine Firma gründet, wie man sie führt und managt, vom Einkauf bis zum Verkauf, von der Logistik, dem Waschprozess, über die Buchhaltung bis zur Personalführung. 1958 hatten die Deutschen gerade genug Geld, um ihre schmutzige Wäsche gelegentlich außer Haus zu geben. Sie hatten aber noch nicht genügend Geld, um sich eine Waschmaschine zu kaufen. Für kurze Zeit gab es ein „window of opportunity”, und das habe ich genutzt.

Sie waren damals nicht einmal volljährig. Wie haben Sie die Gründung finanziert?
Ich habe meine Mutter überredet, mir für 35.000 DM Wechsel zu unterschreiben. Da ich noch unter 21 war, haftete sie für mich. Dieses Vertrauen habe ich ihr nie vergessen, es hat mein ganzes Leben geprägt.
Wenn Sie heute die Wahl hätten, würden Sie lieber Geld von Ihrer Mutter oder von einer Bank leihen?
In einer solchen Situation immer von meiner Mutter! Sie hätte mich ja nie hängen lassen. Natürlich ist der moralische Druck so noch höher. Das war eine Handschlagverpflichtung, und ich stand damit persönlich in ihrer Schuld.

Wie haben Sie als Kind Ihr Taschengeld gemanagt?
Ich hatte nie richtig viel Taschengeld. Als ich mit elf Jahren aufs Gymnasium kam, waren es 50 Pfennig, wovon ich mir mal ein Magazin oder ein Eis gekauft habe - obwohl mein Vater dagegen war.

Ihr Vater war gegen Eis?
Er war gegen jede Art von Verschwendung! Ein klassischer fränkischer Protestant.

Sie haben Ihren Vater öfter als Vorbild bezeichnet – wegen seiner fränkischen Prinzipienfestigkeit?
Er war ein moralisches Vorbild, stand als Mensch für seine Überzeugungen. Er hat vieles durchgezogen, das meine Mutter oder ich, jedenfalls in der damaligen Lage, schon aus purem Überlebensopportunismus anders gehandhabt hätten. Wenn er etwas tat, war er davon auch überzeugt. Er war ein ernsthafter Überzeugungstäter.

Ihr Vater war Generaldirektor eines Nahrungsmittelkonzerns und trat 1933 wie viele andere Deutsche in die NSDAP ein. Anders als die meisten trat er 1938 aber wieder aus. Warum?
Er ist 1933 relativ schnell eingetreten, weil er mit dem damaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht befreundet war und weil man ihm einen Posten als Beamter und Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium anbot. Und er glaubte wohl auch, dass die Partei etwas Positives bewirken könnte. Aber mein Vater war auch überzeugter Christ. Nach der Reichskristallnacht 1938 wurde ihm klar, wohin das ganze führen würde, nämlich in den Holocaust. Konsequent, wie er war, ist er deshalb schnell aus Hitlers Partei ausgetreten.

Wurde er dafür drangsaliert?  
Er bekam Arbeitsverbot und durfte in seiner Firma nicht mehr tätig sein. 1944 verhaftete ihn die Gestapo in München. Ich erinnere mich noch genau, wie ich ihn als Kind im Gestapo-Hauptquartier am Wittelsbacher Platz mit meiner Mutter und meiner Schwester besuchte. Es war der 12. September, sein Geburtstag, und wir haben ihm gratuliert. Es war eine sehr makabre Szene, die ich nie vergessen werde: Da stand ein stolzer, grad aufgerichteter Mann vor uns, umgeben von lauter Menschen in Uniform, die ihm Böses wollten.

Gibt es Grundsätze, denen Sie in den letzten 50 Jahren treu geblieben sind?
Das ist ja selbst schon ein wichtiger Grundsatz: sich selbst treu zu bleiben. Dazu muss man aber erst einmal wissen, wer man ist und wer man sein will. Man muss wissen, was man kann und was nicht. Man muss seine eigenen Schwächen und Stärken, Vorlieben und Abneigungen kennen.

Wann haben Sie herausgefunden, wer dieser Roland Berger ist?
Auch wenn ich nie auslerne, habe ich doch relativ früh herausgefunden, wer ich bin. Mit Ende zwanzig wusste ich, dass ich ein maßlos neugieriger Mensch bin, der an vielen verschiedenartigen Dingen interessiert ist und sich nie langweilen möchte. Ich bin ein Mensch, der Menschen mag und gerne mit ihnen lebt.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Auftrag als Unternehmensberater?
Natürlich: Mit meinem Kunden habe ich damals ein Getränk erfunden, einen Aperitif auf Alkoholbasis, den wir „Rosso Antico” nannten. Die Grundlage war ein Wermut, den der Klient veräußern wollte. Das war insofern ein Problem, als seine Unternehmensphilosophie auf teure Markenartikel ausgerichtet war und es bereits zwei Wermuts gab: Cinzano und Martini. Plötzlich hatte ich eine Idee: Campari war rot, warum nicht den Wein rot färben, um ihn als Aperitif verkaufen zu können. Erste Frage: Kann man Wein rot färben? Ja, das geht mit bestimmten Kräutern. Nächste Frage: Warum soll ich überhaupt einen Aperitif auf Weinbasis anbieten? Antwort: Wenn ich den Wermut als Aperitif verkaufen kann, zahle ich keine Alkoholsteuer, da Wein nicht unter die Alkoholsteuer fällt. Wir haben damals 35 Millionen Flaschen verkauft mit einer Marge von 450 Lire pro Flasche.

Hand aufs Herz: Hat ihr steueroptimierter Aperitif auch geschmeckt, oder war das eher eine Kopfgeburt?
Der hat sehr gut geschmeckt. Durch das rote Kraut bekam er eine leicht bittere Note im Vergleich zu normalem Wermut, war aber „süffiger“ als Campari, vor allem Frauen und junge Leute mochten ihn.

Was bedeutet für Sie Karriere?
Die Möglichkeit, mehr machen zu können als andere Leute. Karriere verleiht eine gewisse Gestaltungsmacht. Zum Nobelpreisträger fehlt mir die Begabung, aber das würde mich auch nicht so interessieren. Ich bin kein Forschertyp, ich bin ein Machertyp. Deswegen heißt für mich Karriere, etwas Sinnvolles zu tun. Aber Sinn hat es nur, wenn es für Menschen ist. Karriere hat mehr mit Geben zu tun als mit Nehmen.

Warum Sind Sie Rotarier geworden?
Mir gefiel das rotarische Anliegen, sich für andere einzusetzen. In Amerika gibt es den schönen Spruch: „You learn, you earn, and you return.“ Dies hat mich auch zur Gründung meiner eigenen Stiftung bewogen, die einen Preis für Menschenwürde vergibt und Kinder aus bildungsschwachen Haushalten fördert, von der Grundschule bis zum Abitur. Mittlerweile unterstützen wir auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit Bildung bis zum Abitur oder Beruf.

Ihre wichtigste Tugend?
Bescheidenheit. Die eigenen Möglichkeiten sind oft begrenzter, als man denkt. Deshalb tut man gut daran, bescheiden zu sein. Ich bin kein guter Entscheider, weil ich weiß, dass die Realität viel komplizierter ist als jedes Modell. Und entscheiden bedeutet ja, eine Freiheit aufzugeben - die Freiheit, anders zu handeln. Da ich aber nun mal ein Mensch bin, der Freiheit über alles liebt, ist mir das rasche Entscheiden schon deshalb eher fremd. Das sorgt durchaus schon mal für Ungeduld bei Menschen, die mir nahe stehen.

Gibt es eine wichtige Entscheidung in Ihrem Leben, die Sie aus dem Bauch getroffen haben?
Natürlich, zum Beispiel habe ich zweimal geheiratet. Zum Glück gibt es Entscheidungen, die man nicht auf rein rationaler Basis trifft. Diese Freiheit muss man sich bewahren. Schließlich ist die Welt nicht rational, und die Menschen sind es auch nicht. Der Versuch, alles auf die Ratio zu reduzieren, würde unser Leben doch sehr viel ärmer machen.

Was für eine Art Chef sind Sie?
Wahrscheinlich ein relativ spontaner, vielleicht auch unberechenbarer. Aber ich glaube, die Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung können es doch relativ gut mit mir aushalten. Ich habe in 50 Jahren nur drei Sekretärinnen gehabt und 25 Jahre lang denselben Fahrer. Daraus schließe ich, dass ich ein halbwegs umgänglicher Chef bin, der zumindest versucht, auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen.

Früher galten Unternehmensberatungen als Topadresse für Studienabgänger. Heute konkurrieren Sie mit Internet-Startups und Technologiekonzernen um die klügsten Köpfe.
Für mich ist das aber auch nichts Neues. Denken Sie an die Internet-Blase um das Jahr 2000 herum. Damals bekam jeder unserer Berater, der einen ordentlichen Businessplan vorweisen konnte, von Risikokapitalgebern zehn Millionen in die Hand gedrückt. Nicht alle sind etwas geworden, ein paar aber schon, und deren Erfolge soll man auch nicht klein reden. So ist das Leben.

Technologieriesen wie Google und Facebook machen Ihnen heute mit Big Data Konkurrenz.
Ohne Konkurrenz wäre ich längst eingeschlafen!

Warum sollte man heutzutage noch Unternehmensberater werden?
Es gibt nichts Spannenderes, als Probleme für andere Menschen zu lösen mit dem Ziel, die Welt ein klein bisschen besser zu machen. Als Unternehmensberater können Sie etwas bewirken. Denken Sie an die erfolgreiche Restrukturierung und Privatisierung der Lufthansa durch Roland Berger in den 1990er Jahren oder, simpler, an den italienischen Aperitif, den ich damals mit meinem Kunden kreiert habe. Der wird heute noch angeboten! In der Internet-Community spielt Geld eine wichtige Rolle. Ein Unternehmensberater aber sollte tunlichst eins nicht sein: geldgierig. Als Unternehmensberater müssen Sie vielmehr den Willen und das Zutrauen haben, etwas zur Gestaltung unserer Welt beitragen zu wollen. Sonst macht man besser einen Bogen um diesen Beruf. 


Weitere Info: www.rolandberger.de

Malte Herwig
Dr. Malte Herwig ist Reporter und Autor. Zuletzt erschien „Die Frau, die Nein sagt. Rebellin, Muse, Malerin - Françoise Gilot über ihr Leben mit und ohne Picasso “ (Ankerherz Verlag 2015). Für das Rotary Magazin befragt er regelmäßig Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft.  malteherwig.com