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Porträt

„Ich bin jemand, der sich gern große Ziele setzt – und sie erkämpft“

Porträt - „Ich bin jemand, der sich gern große Ziele setzt – und sie erkämpft“
© privat (drei Fotos)

Im Businessanzug oder im Radlertrikot: Der Südtiroler Kurt Matzler lehrt Strategien und wirbt mit seinem Team sportlich Spenden ein – beides mit enormem Erfolg

Sabine Meinert01.10.2022

Was haben Innovation, Leadership, Strategie und Radfahren miteinander zu tun? – Kurt Matzler fällt da eine ganze Menge ein: Erst im Sommer ist er rotarischer Rad-Weltmeister der über 45-Jährigen geworden - nur eine Radlänge hinter dem Sieger aller Klassen. Zuvor war er zum wiederholten Male das härteste Radrennen der Welt, das Race Across America, gefahren – mit riesigem Erfolg: Mehr als 1,2 Millionen Dollar Spenden für den Kampf gegen Polio wurden allein 2022 generiert. Wie man das plant, welche Trainingsmethoden helfen, wie er durchhält auf der fast 5000 km langen Strecke von der Ost- an die Westküste der USA – seine Race-Erfahrungen packt der 53-jährige Managementprofessor inzwischen in Vorträge. "Es ist wie im Wirtschaftsleben: Ziel visualisieren, Training, Teilziele stecken, Motivation, Disziplin."


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Dass das funktioniert, dafür ist er das beste Beispiel: Nach Stationen in Klagenfurt, Linz und Bozen sowie Forschungsaufenthalten in den USA und Italien ist er seit 2019 Professor an der Innsbrucker Universität. Der Lehrstuhl für strategisches Management fordert: Matzler lehrt, forscht, schreibt wissenschaftliche Arbeiten und Bücher (inzwischen über 20), hält Vorträge. Zum Ausgleich fährt er Rad, kurbelt Kilometer durch die Berge. Und die Methoden seiner empirischen Arbeit, mit denen er Erfolgsstrategien und -faktoren für Unternehmen identifiziert, nutzt er zur Vorbereitung seiner Radrennen und anderer Vorhaben. "Es beginnt damit zu wissen, warum man etwas will, den ‚purpose‘ zu kennen. Entscheidend ist die Frage: Warum mache ich das? Dann kann ich auch schwere Trainingsetappen oder harte Renntage durchhalten."

Kurt Matzler steigt schon seit 25 Jahren regelmäßig in den Sattel, seit 15 Jahren betreibt er es intensiver, fährt Rennen durch Italien und rund um Österreich. Als ihn 2016 die Anfrage erreicht, das rotarische Team beim Race Across America zu verstärken, sagt er zu. "Ich bin jemand, der sich gern große Ziele stellt und dann fokussiert daran arbeitet. Und beim Race konnte ich Spaß mit etwas Nützlichem verbinden, denn es geht in diesem Team um Polio-Spenden. Motto: We ride so that others can walk."

Das große, mehrtägige Rennen im Viererteam brachte einige neue Erfahrungen mit sich: neben steilen Anstiegen oder engen Kehren wie in den Alpen vor allem höllisch heiße Asphaltkilometer in Arizona, eisige Temperaturen in den Rocky Mountains, Tornados und kräftezehrende Seitenwinde oder riesige Roadtrucks, deren mächtiger Sog einen einzelnen Radfahrer ganz schnell von der Straße reißen kann. Nicht zu reden von Krämpfen, aufgescheuerten, wunden Körperstellen bis hin zu leichten Halluzinationen, wenn sich der Schlafmangel bei dem Mehrtagesrennen bemerkbar macht.

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Das Race Across America führt quer durch die USA, lange heiße Wüstenstrecken inklusive.

Zur Person

Kurt Matzler (RC Innsbruck-Goldenes Dachl) ist Professor für Strategisches Management und wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms am Management Center Innsbruck. Er gilt als einer der 20 Top-Strategieexperten in Europa. Zuletzt erschien von ihm "Open Strategy" (in 7 Sprachen). Es beschäftigt sich mit der Frage, wie Mitarbeiter und Externe stärker in die Unternehmensführung eingebunden und kollektives Wissen genutzt werden können. Er sitzt gern auf dem Rad und fährt Ski und war 2021/22 Präsident seines Clubs.


Kurt Matzler hat das nun schon fünfmal hinter sich, er lacht und verrät sein Erfolgsrezept: "Man muss das Ziel immer vor Augen haben. Man darf nicht denken ‚Wie weit ist es noch?‘, sondern muss sich kleine, leicht erreichbare Meilensteine setzen - und diese wirklich anvisieren und erkämpfen. Das fängt beim Training an. Auch fürs Training gilt: Wenn das Tagesziel eine Tour von 200 km ist, dann fahre ich die noch fehlenden 3,2 km notfalls vor der Haustür zu Ende – einfach die Straße hoch und runter." Denn es ist leichter, einen Grundsatz hunderprozentig durchzuhalten, als zu 98 Prozent. Seine Erfahrung: Die erste Ausnahme ist nicht so schlimm, aber beim nächsten und übernächsten Mal wird es immer schwieriger, die Zielmarke wieder zu erreichen. "Die Moral verfällt zu Beginn ganz langsam, dann aber plötzlich sehr schnell."

Beim RAAM ist die Stimmung jedes Jahr großartig, die Moral deshalb stabil. Ein Team aus medizinisch, physiotherapeutisch, organisatorisch und medial befähigten Begleitern schafft das Umfeld, in dem die Radfahrer bis zu 20 Stunden am Tag in die Pedale treten: Unterkünfte klarmachen, Reparaturen organisieren, Blessuren behandeln, motivieren und das Begleitfahrzeug lenken. Der Teamgeist beflügelt, erfuhr Kurt Matzler immer wieder und versprach beim Race 2019: "Wenn wir eine Spenden-Million für Polio einfahren können, bin ich beim nächsten Mal als Einzelfahrer dabei." Im Ziel war klar: Im nächsten Rennen ist er Solo-Racer.

Coronabedingt hatte er drei Jahre Zeit, sich vorzubereiten. Kurt Matzler schraubte das Trainingspensum von 15.000 km auf 25.000 km im Jahr hoch, kurbelte täglich seine Strecken rund um Innsbruck ab. "Naja, im Frühjahr und Herbst fahre ich lieber in Südtirol, da ist es wärmer", muss er zugeben.

Immer dabei ist seine Frau Ruth Brandstätter, die eine genauso versierte Radfahrerin ist. Vor drei Jahren sprang sie kurz vor dem Start im Viererteam der rotarischen Across-America-Racer ein, weil ein Fahrer ausgefallen war. Die nötigen Trainingskilometer hatte sie als stetige Begleiterin ihres Mannes bereits in den Beinen.

In diesem Jahr war ihr Talent als Organisatorin und Betreuerin gefragt: So mussten wegen eines Waldbrandes auf der Strecke neue Quartiere besorgt, Reparaturen für drei der Rennräder organisiert oder Motivationsaktionen – leckere Laugenwürfel-Snacks oder als Krankenschwestern verkleidete Teammitglieder - an der Strecke initiiert werden. Denn klar ist: Nach drei bis vier Tagen im härtesten Rennen der Welt will auch so ein durchtrainierter Körper wie der von Kurt Matzler nicht mehr. "Dann entscheidet der Kopf – und das Team. Ohne die Begleiter schafft man es nicht." Kurt Matzler weiß, wovon er spricht. Nach den Tagesetappen hatte er Mühe, in den Schlaf zu kommen, die Muskeln mussten ständig gelockert werden, extreme Nacken- und Knieprobleme kamen dazu. Und zwei-drei Stunden Schlaf sind irgendwann auch zu wenig, gibt er zu. Hörspiele und Kabarett-Aufzeichnungen per Kopfhörer oder Musik aus den Lautsprechern des Begleitautos halfen ihm, wach zu bleiben. "Tagsüber konnte man die Landschaft betrachten – oder musste sich vor den Trucks in Sicherheit bringen, denn das Rennen findet auf ganz normalen Straßen statt. Ab und an winkten auch Rotarier vom Straßenrand, dann habe ich natürlich einen kurzen Foto-Stopp eingelegt."

Im Vorfeld des Rennens ist neben der Planung vor allem Spendenwerbung nötig. Dafür versandte Kurt Matzler jede Woche stundenlang Informationen, bot Vorträge an, spendete sein Honorar. Viele Clubs aus den USA, Österreich und Deutschland unterstützten 2022 das Polio-Team, dazu kamen Mittel aus dem Distrikt, von Sponsoren und Privatspenden. Zusammen mit dem Geld aus der Bill and Melinda Gates Stiftung wurde erneut eine Millionensumme "erradelt". "Dabei war es dieses Jahr besonders schwierig. Viele Clubs konzentrierten sich eher auf Ukraine-Hilfe." Doch das konnte die Motivation nicht beeinträchtigen.

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Die Rennen schenken tolle Einblicke und Momente, kosten aber auch viel Kraft und Stehvermögen.

Genauso wenig wie im Rennen. Die letzten 200-300 km sind immer die schwersten, wusste Kurt Matzler aus Erfahrung. "Man hat das Gefühl, man ist irgendwie schon da. Aber die letzten Kilometer ziehen sich – fast länger als die ganze Strecke davor… Dann muss man eins werden mit dem Rad und noch einen Riesenkampf auf den Highways bestehen." Die Frage, warum er sich das eigentlich antue, kommt auf jeder Tour, weiß er. "Aber Kinder mit Polio, die können das alles nicht. Sie machen viel mehr durch", sagt Matzler.

Das Ziel des Race Across America 2022 erreichte er letztlich gegen 23 Uhr. Der Empfang bis auf den Jubel des Teams: eher unspektakulär. Als er nach wenigen Tagen wieder über den Innsbrucker Campus lief, gab es dagegen spontan Applaus. "Das war erhebend. Es zeigte, dass nicht unbeobachtet bleibt, was wir tun in Sachen End Polio Now. Das spornt an." Ob er im nächsten Jahr wieder dabei ist? Wer weiß? "Vielleicht, wenn ein Sponsor 50.000 Euro für Polio in den Ring wirft, damit letztlich wieder eine Million zusammenkommt…"