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Rotary Aktuell

Rotary macht sich ehrlich

Rotary Aktuell - Rotary macht sich ehrlich
© Wallstein Verlag

Unter hohem persönlichen Einsatz hat Hermann Schäfer Rotarys Geschichte im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Eine Würdigung

Sven Felix Kellerhoff01.11.2024

Die Demütigung verheilte nie mehr. Bis zum seinem Tode trug Heinrich Grünfeld das Einschreiben bei sich, das ihm sein rotarischer Freund Conrad Matschoss am 15. Juni 1936 geschrieben hatte. Denn in dem Achtzeiler hieß es, der Vorstand habe sich „nach langen, wiederholten Beratungen entschließen müssen“, die Mitgliedschaft „in Einklang mit den Nürnberger Bestimmungen zu bringen“. Daher sei es nicht möglich, die früher ausgesprochene „Beurlaubung“ jüdischer Mitglieder „noch weiter fortzuführen“. In seiner Funktion als Präsident des Rotary-Klubs Berlin (wie man damals schrieb) teilte Matschoss mit: „Ich bitte daher davon Kenntnis zu nehmen, dass wir zu unserem Bedauern vom 1. Juli des Jahres an Sie in der Mitgliederliste des Berliner Rotary-Klubs nicht mehr werden führen können.“ Statt mit „rotarischen Grüßen“ zeichnete er „In vorzüglicher Hochachtung“.

Auf der falschen Seite

Heinrich Grünfeld, 1929 Gründungsmitglied des ersten Berliner Clubs und erfolgreicher Textilunternehmer mit Geschäften in der Reichshauptstadt und Köln, hatte sich rotarisch stark engagiert, war Vorstandsmitglied und Vizepräsident gewesen, sollte Präsident werden. Doch dann übernahmen 1933 die Nationalsozialisten die Macht und sein Club „beurlaubte“ ihn. War das ein Versuch, den Freund vor der nun offiziell antisemitischen Politik zu schützen – in der Hoffnung, dass „bessere Zeiten“ kommen würden? Oder ein „charakterloses Zurückweichen“, wie es Heinrich Grünfelds Sohn Fritz sah? Jedenfalls litt der Vater seiner Erinnerung nach an der „feigen, niedrigen Gesinnung“ seines Clubs, „mit der sich alles dem neuen Ungeist beugte“. Nur fünf Wochen nach seinem Ausschluss aus dem RC Berlin starb Heinrich Grünfeld am 25. Juli 1936 an den Folgen einer Operation.

Es sind Fälle wie dieser, die das Gedenkbuch von Hermann Schäfer (RC Bonn Süd-Bad Godesberg) über die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder deutscher Rotary Clubs im Nationalsozialismus zur herausfordernden Lektüre machen. Lange hatte sich Rotary gesonnt in der Gewissheit, als vom NS-Regime 1937 zur Selbstauflösung gedrängte Organisation „auf der richtigen Seite“ gestanden zu haben. Das ist nach der Lektüre der mehr als 300 Biografien und der eindrucksvollen Analyse des langjährigen Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn nicht mehr haltbar.

Auch Österreich ist Thema

Der Band ist das Ergebnis von Forschungen, die seit 2015 kontinuierlich laufen und viele, mal kleinere und mal größere offene Fragen klären oder Falschdarstellungen zurechtrücken. Hermann Schäfer gewährleistet mit seiner umfassenden Erfahrung als Public Historian die Verlässlichkeit. Neben traurigen, ja hässlichen Beispielen für das Versagen deutscher Rotary Clubs enthält der Band auch einige – leider zu wenige – Fälle, die Handlungsspielräume illustrieren. Mit dem Gedenkbuch, vom renommierten Wallstein Verlag wertig hergestellt, macht sich Rotary Deutschland ehrlich, in einem Anhang übrigens auch Rotary Österreich. Mehr kann zeithistorische Aufarbeitung nicht leisten.

Hermann Schäfer:
Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch.
Wallstein Verlag, Göttingen 2024,
892 Seiten, 38 Euro

Sven Felix Kellerhoff
Sven Felix Kellerhoff (RC Berlin-Süd) ist leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der „Welt“. Er ist Autor zahlreicher historischer Sachbücher.

© „Welt“, Axel Springer SE welt.de

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