Peters Lebensart
Schauplatz gesitteter Gastlichkeit – 250 Jahre Restaurant
Kann eine unverzichtbare Institution unserer freien Welt, das Restaurant, 2017 ihren 250. Geburtstag feiern? Das älteste hieb- und stichfeste Dokument datiert von 1767. Damals berichtet die Pariser Zeitung L’avantcoureur von einem Restaurant namens Minet in der Nähe des Louvre.
Der spätere Welterfolg war diesen Établissements nicht an der Wiege gesungen. Die ersten Restaurants zielten auf ein winziges gehobenes Segment der französischen Gesellschaft: den empfindsamen Esser, die empfindsame Esserin. Geboren wurde die Idee aus dem medizinischen Zeitgeist, der befürchtete, zu materieschwere Nahrung belaste die Verdauung modischer Schöngeister, zarte Seelen bedürften einer eher spirituellen ätherischen Kost. Da bot sich le restaurant an: Die Kräfte „restaurierende“ Fleischbrühe wurde Kränkelnden (oder angegriffenen Liebhabern) verschrieben. Jetzt konnte man sie aus Porzellantassen mit Goldrand nippen. Alternativen waren bretonischer Haferbrei, Orangenblütenreiscreme oder Frischkäse.
Die Restaurateure boten eine damals völlig neue Konzeption des Speisens. Auf einmal konnte man in gepflegtem Ambiente außer Haus essen, ohne sich der rüden Vertrauensseligkeit gemeinsamer Mittagstische in einer Taverne aussetzen zu müssen. Für manche war dieser neue Individualismus schockierend: „Doch meine Überraschung erreichte einen Höhepunkt, als ich Leute hereinkommen sah, die, ohne sich zu grüßen oder anscheinlich ohne sich zu kennen, sich hinsetzten, ohne einander anzusehen, getrennt aßen, ohne miteinander zu sprechen oder gar anzubieten, ihr Mahl zu teilen“, notiert 1801 ein Peruaner in Paris.
Mit der Revolution schlug die große Stunde der Restaurants, deren Zahl sprunghaft anstieg. Nun konnte das aufstrebende Bürgertum bei einstigen Adelsköchen sämtliche Raffinessen aristokratischer Küche durchprobieren. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit, die soziale Mobilität fand ihr Pendant in kulinarischer Mobilität, deren perfektes Symbol die Erfindung der Speisekarte war. Oft von Künstlern illustriert, verführte und disziplinierte sie zugleich: Die Nennung der Preise zwang zur Kalkulation oder bot Gelegenheit zu distinktivem Luxus, zu Champagner und Trüffel-Poularden. Auf jeden Fall konstituierte sie den Gast als Konsumenten, aber auch als ein in eine Gemeinschaft eingebundenes Individuum mit Wahlfreiheit, und verwirklichte damit Ideale einer republikanisch-demokratischen Gesellschaft.
Frankreichs Autoritäten förderten bis heute das Restaurant. War es doch kein Ort heftiger politischer Diskussionen und Zusammenrottungen wie das Kaffeehaus, sondern ein Schauplatz gesitteter Gastlichkeit.
Noch etwas faszinierte. Die öffentliche Präsenz von Frauen. Der Formalismus des Service durch korrekt gekleidete Ober, die plumpe Anmache ausschließende Sitzordnung an Einzeltischen erleichterte Damen den Besuch. Zugleich war es attraktiv, einander unauffällig zu betrachten und große Toilette auszuführen, wie die üppige Verspiegelung historischer Restaurants beweist. Die Separée-Szenen Maupassants, Balzacs, Zolas schildern, wie die jahrtausendealte Verknüpfung von Erotik und öffentlichem Speisen elegant mitschwingt.
Auch heute kann ein Restaurantbesuch in festliche Laune versetzen. Die weltweite Erfolgsformel Restaurant bleibt ein sozialer Indikator, der in der Interaktion von geschultem Servicepersonal und Gästen ein sich stetig wandelndes soziales Schauspiel aufführt.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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