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Unbeugsam dem Gipfel entgegen
Vor 70 Jahren bezwingt Hermann Buhl den Nanga Parbat im Alleingang und wird zum Helden. Es ist die absolute Krönung des „Bergsteigerjahres“ 1953.
Unheimlicher Durst u. Hunger, nur Dörrobst und das geht nicht hinunter. Vorgipfel nordseitig umgangen. 50m unter Vorgipfel. Steiler Abstieg z. Bazhinscharte, 14h dort. 2 Tabletten Pervitin. Enorme Wächte, ganz hart, dann steiler Felsgrat.“ Das sind die letzten Tagebuchaufzeichnungen von Hermann Buhl auf seiner Nanga-ParbatExpedition. Unter größter Anstrengung kritzelt er sie in sein Büchlein. Er ist ganz allein. Nur Hermann Buhl und der noch nie zuvor bestiegene Gipfel des Nanga Parbat. Am Abend dieses 3. Juli wird der Tiroler auf dem Gipfel des Berges stehen und Bergsteiger-Geschichte schreiben. Vor genau 70 Jahren.
Zwischen Leben und Tod
Der nackte Überlebenskampf, den Bergsteiger dick eingepackt auf Tausenden Metern Höhe führen, das ist der Kern solcher Expeditionsgeschichten. Hermann Buhl hat sich diesem Kampf 1953 am Nanga Parbat gestellt, Edmund Hillary am Mount Everest. Es sind zwei Heldengeschichten, die das Jahr 1953 zu dem Bergsteigerjahr schlechthin machen.
„Wer Angst hat vor dem Tod, hat Angst vor dem Leben“, hat es David Lama, Alpinist und Ausnahmetalent, mit Blick auf diesen Extremsport auf den Punkt gebracht. Bergsteiger verschieben mit dem Bewusstsein, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod ist, Grenzen. David Lama fand 2019 bei einem Lawinenabgang an der Ostwand des Howse Peak im Banff-Nationalpark in Kanada gemeinsam mit Hansjörg Auer und Jess Roskelley bei einem Lawinenabgang den Tod. Er wurde nur 28 Jahre alt. Hermann Buhl stürzte beim Besteigungsversuch der Chogolisa 1957 in Pakistan ab und gilt seitdem als verschollen. Edmund Hillary überlebte seine zahlreichen Abenteuer.
Hier eine Nachzeichnung der Erstbesteigung des Nanga Parbat anhand der persönlichen Aufzeichnungen Hermann Buhls sowie Parallelen und Gegensätze zur Mount-Everest-Expedition von Edmund Hillary:
6. Mai 1953
„Und dann stand er vor uns. Der Anblick war überwältigend. Für Minuten sagte keiner ein Wort.“ So beschreibt Hermann Buhl in seinem Buch Achttausend drüber und drunter ein Jahr nach der erfolgreichen Erstbesteigung des Nanga Parbat den Moment, als er und seine Expeditionskollegen zum ersten Mal den Gipfel des Berges aus einer zweimotorigen Dakotamaschine erblicken. Jener Nanga Parbat, der aufgrund vieler deutscher Bergsteiger, die dort den Tod fanden, den Beinamen „Schicksalsberg der Deutschen“ trägt. Jener Gigant, der nur Opfer nimmt, aber nichts dafür gibt, wie es unter Bergsteigern heißt. Jener Gipfel, der 1953 das Ziel der Willy-Merkl-Gedächtnis-Expedition ist. Diese hat der Münchner Arzt Karl Herrligkoffer organisiert, Halbbruder von Merkl. Geführt wird sie von Peter Aschenbrenner als bergsteigerischem Leiter. Aschenbrenner, Spitzname Himalaya- Peter, hatte bereits zweimal zuvor versucht, den Nanga Parbat zu bezwingen und war gescheitert. Vor allem die zweite Expedition 1934 forderte zahlreiche Menschenleben. Was der Nanga Parbat zu dieser Zeit für deutsche Bergsteiger ist, ist der Mount Everest für die Briten: ein Sehnsuchtsziel, verbunden mit viel Prestige. Das Bergsteigerteam für den neuen Versuch, den Nanga Parbat zu besteigen, besteht aus insgesamt zehn Männern, die britische Mount- Eve rest- Ex pe di tion gar aus 15 Mann, Lastenträger jeweils nicht mitgerechnet. Während die Briten auf ein ausgeklügeltes Sauerstoffsystem setzten, spielte dies bei der deutschen Expedition keine Rolle.
28. Mai bis 10. Juni 1953
Hermann Buhl und seine Mitstreiter brauchen viele Tage für die Errichtung des Lagers II. „Der Berg wehrte sich mit allen Mitteln gegen uns Eindringlinge. Er sandte Schnee, Sturm. Dann glühende Hitze,die mit erbarmungsloser Kälte abwechselte“, beschreibt Buhl die Situation. „Alle Erlebnisse der Vergangenheit waren bedeutungslos gegen die Lawinen, die wir in den Flanken des Nanga Parbat kennenlernten.“ Zudem kommt es auch zu Streitigkeiten und fatalen Fehlern. Die bestellten Sherpas, ein Himalaya-Volk und exzellente Bergsteiger sowie Lastenträger, werden am vereinbarten Ort nicht abgeholt. Lediglich 15 Hunzas, Angehörige eines Bergvolkes aus Pakistan, stehen zur Verfügung. Um deren Moral ist es nicht gut bestellt. Buhl stört sich zudem daran, dass der hauptverantwortliche Bergsteiger Peter Aschenbrenner trotz inzwischen beständig gewordenen Wetters die Ruhe selbst ist. Das Verhältnis der beiden kühlt immer mehr ab. Hermann Buhl möchte endlich weiter. Ungeduld kommt in ihm auf. So ist es wenig verwunderlich, dass er und Walter Frauenberger sich allein ohne Lastenträger weiter den Gipfel emporkämpfen, während die anderen noch in Lager II bleiben.
16. bis 17. Juni 1953
Der Morgen des 16. Juni bringt gleich zwei Überraschungen mit sich. Noch erstaunter als über die Ankunft ihrer Bergsteigerkollegen Hans Ertl, Kuno Rainer, Otto Kempter, Hermann Köllensperger und Peter Aschenbrenner sind Buhl und Frauenberger über die Nachricht, dass der Mount Everest bezwungen wurde. Sie erreicht die Bergsteiger ganze 19 Tage nach der gelungenen Erstbesteigung durch den Neuseeländer Edmund Hillary und den Sherpa Tenzing Norgay. Für die Gruppe ist dies nun der Ansporn, es der britischen Expedition gleichzutun und ebenfalls erfolgreich zu sein.
22. bis 23. Juni 1953
Von der Euphorie, dass der Mount Everest bezwungen wurde, bleibt bei Hermann Buhl und seinen Mitstreitern schnell nicht mehr viel übrig. Die Lastenträger melden sich allesamt krank und Buhls Vorschlag, ohne sie zum Mohrenkopf anzusteigen, wird nur müde belächelt, wie er in seinem Buch schreibt. Buhl schnappt sich einen Sack Konserven sowie eine Gummimatratze und steigt allein die Rakhiotflanke an. Es wird nicht der letzte einsame Aufstieg sein, doch das weiß Buhl zu dem Zeitpunkt noch nicht. Es gelingt ihm, den nächsten Abschnitt für einen Aufstieg der Gruppe vorzubereiten.
27. bis 29. Juni 1953
Lager IV muss nach starkem Schneefall und Monsun versetzt werden. Doch Hermann Buhl lässt sich davon nicht entmutigen. Am 28. Juni beschließen Buhl, Kempter, Köllensperger und Frauenberger, weiter hinaufzusteigen. „Ich gehe voraus, bin in sehr guter Verfassung, die 3, der reinste Leichenzug, sind schon sehr abgekämpft“, schreibt Hermann Buhl am Abend in sein Tagebuch. Dabei befindet er sich nicht näher am Gipfel, sondern ist zurück in Lager IV. Doch damit nicht genug. Der unbarmherzige Nanga Parbat zwingt sie sogar zurück in Lager III auf 6150 Meter.
30. Juni bis 2. Juli 1953
Jetzt oder nie, denkt sich Hermann Buhl, der bei bestem Wetter in Richtung Gipfel blickt. Da erreicht sie die Nachricht aus dem Hauptlager, dass sie alle absteigen sollen. Es kommt zum Disput. Hermann Buhl bleibt stur, zumal er Expeditionsleiter Karl Herrligkoffer jegliche Bergsteiger-Expertise abspricht. Am Ende des Gespräches lenkt Herrligkoffer ein, die fünf Verbliebenen dürfen den Aufstieg wagen. Lediglich Hermann Köllensperger steigt ab, da er sich nicht wohlfühlt. Otto Kempter, Walter Frauenberger und Hans Ertl wollen gemeinsam mit Hermann Buhl auf den Gipfel. Es gelingt ihnen, wieder zu Lager IV aufzusteigen. Am 2. Juli ist es dann so weit: Angriff auf den Gipfel. Hermann Buhl geht voraus, spurt den weiteren Weg und schlägt eine neue Stufenleiter durch die Rakhiotflanke. Es folgen Ertl mit der Filmapparatur, Frauenberger mit den Trägern am Seil und Kempter am Ende. Jeder Meter kostet Kraft, knietief müssen sie durch den Schnee stapfen. Nun geht es hinüber zum Mohrenkopf. Doch dann: Die Träger wollen nicht weiter. Nichts ist zu machen. Die vier Bergsteiger stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Wer begleitet die Träger zurück ins Lager IV und wer steigt zum Gipfel auf? Ertl verzichtet zugunsten von Kempter, wenngleich er sich sehr gut fühlt. Frauenberger schließt sich ihm an, da er eh bereits die Träger am Seil mitführt. Nun ist es also an Kempter und Buhl, den Nanga Parbat zu erklimmen. Auf über 6900 Meter schlagen Buhl und Kempter wenige Stunden später ihr Zelt auf. „Wunderbarer Sonnenuntergang“, notiert Buhl in sein Tagebuch, dann legt er sich gegen 20 Uhr schlafen.
3. Juli 1953
Fünf Stunden später ist Buhl bereits wieder auf den Beinen. Er will zum Gipfel aufbrechen und weiß, dass er spätestens in einer Stunde losmuss, wenn es an diesem Tag gelingen soll. Doch Kempter rührt sich nicht. Buhl will ihn bei der Ehre packen und fragt, ob er „denn noch keinen Auftrieb“ habe. Kempter verneint. Als Buhl seinen Rucksack für den Gipfelanstieg packt, rührt sich doch etwas. Kempter steht auf und verspricht, in einer halben Stunde zu folgen.
Ein scharfer Wind bläst Hermann Buhl von Süden entgegen. Für die Querung zum Silbersattel braucht er viele Stunden, und doch fühlt er sich topfit. Um sieben Uhr morgens steht er auf dem Silbersattel und genießt einen herrlichen Blick auf das Gipfelplateau. Mit jedem Meter wächst in ihm die Gewissheit: Er wird den Nanga Parbat bezwingen. Bei 7500 Meter fühlt sich Buhl plötzlich schlapp, der Sauerstoffmangel setzt ihm zu. Für einen Schritt benötigt er nun fünf Atemzüge. Auf 7700 Meter lässt er den Rucksack zurück. Er ist ihm nun zu schwer. Als kleiner Punkt taucht Otto Kempter am Silbersattel auf. Die aufkommende Hoffnung, bald mit ihm zusammen auf dem Gipfel zu stehen, wird mit einem Schlag zunichte gemacht. Kempter erleidet einen Schwächeanfall. Buhl sieht, wie er stehen bleibt, aufgibt und umdreht.
Nun heißt es: Hermann Buhl gegen Nanga Parbat. Ohne Sauerstoffflasche. Ohne Verpflegung. Buhl blickt nun zur Bazhinscharte. Doch zwischen ihr und ihm liegt die von senkrechten Felsen durchsetzte Südwand. Er kämpft sich weiter. Immer wieder bleibt er vor Erschöpfung liegen, jedes erneute Aufstehen fällt ihm schwerer. Um zwei Uhr mittags steht er zwischen Vor- und Hauptgipfel. „Hunger nagt, Durst quält“, wie Buhl in seinem Buch Achttausend drüber und drunter später schreiben wird. Er nimmt zwei Tabletten Pervitin, dessen Inhaltsstoff Methamphetamin die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit steigert. Buhl quert eine brüchige Felsrinne und steht gegen sechs Uhr abends auf über 8000 Metern unterhalb des Gipfels. Er nimmt einen letzten Schluck aus der Feldflasche. Diese lässt er nun auch zurück. Nur den Eispickel, die Gipfelfahne und den Fotoapparat hat er noch bei sich. Doch es nützt nichts. Buhl ist mit seinen Kräften fast am Ende. Er kriecht nun eine Stunde lang auf allen Vieren dem Gipfel entgegen.
Kein erhabenes Gefühl
Und dann? „Hier stehe ich nun, seit Erdenbestehen der erste Mensch auf diesem Fleck, am Ziel meiner Wünsche! Doch nichts von berauschendem Glück, nichts von jauchzender Freude, nicht das erhebende Gefühl des Siegers verspüre ich in mir.“ So beschreibt Buhl im Nachhinein den Gipfelmoment. „Völlig fertig“ sei er gewesen. Und doch denkt er daran, diesen Moment festzuhalten. Er holt einen Tiroler Wimpel hervor, bindet ihn an den Pickelstiel und macht davon Fotos mit der mitgeführten Karat-36-Kamera. Dann steckt er den Wimpel wieder ein, wechselt den Film und befestigt wie zuvor verabredet die pakistanische Flagge an dem Pickel. Wieder macht er Fotos. Nur sich selbst im Moment des größten Triumphes kann er nicht fotografieren. Ein Schicksal, welches er mit Edmund Hillary teilt. Dieser fotografierte am 29. Mai 1953 auf dem Gipfel des Mount Everest den Sherpa Tenzing Norgay. Da dieser aber nicht wusste, wie die Fotokamera bedient wird, konnte er Hillary nicht ablichten. Ein Gipfelfoto für die Ewigkeit – es bleibt Edmund Hillary und Hermann Buhl verwehrt.
Buchtipp
Hermann Buhl
Achttausend drüber und drunter
Mit den Tagebüchern von Nanga Parbat, Broad Peak und Chogolisa
Piper Verlag,
368 Seiten, 14 Euro
Copyright: Andreas Fischer
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