Die Manager aus der 68er Generation im Ruhestand
Vorreiter der Zweiten Karriere
Der Mainzer Rundfunkjournalist und Buchautor Martin Rupps hat seine Erwartungen an die jetzt aus dem Berufsleben vollständig oder schrittweise ausscheidende Generation auf den Punkt gebracht: „Die Achtundsechziger gehen vor uns in Rente und werden uns auch bei diesem Thema die Leitgeneration werden. Dass die Achtundsechziger so altern wie unsere Väter und Mütter, ist nicht zu erwarten“.
Die 68er-Generation – gemeint sind hier nicht die Revoluzzer, sondern die ökonomischen Leistungsträger jener Zeit – hat ihren beruflichen Aufstieg in mehrfacher Privilegierung genommen: gegenüber der Generation ihrer Väter und Mütter in der „Gnade der späten Geburt“ und beflügelt vom allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung und im Unterschied zur nachfolgenden Generation weitgehend frei von Karriere-Ängsten und -brüchen und materiell überdurchschnittlich abgesichert.
Die Kehrseite der Privilegierung ist oft die Unsicherheit über den eigenen beruflichen Wert außerhalb des bisherigen Unternehmens. Die Manager fühlen sich außerhalb ihrer bisherigen berufsbezogenen Machtposition nicht praxissicher. Sie kennen ihren Marktwert nicht. Sie haben keinen aktualisierten Lebenslauf. Sie sind in der Selbstvermarktung und im Anbieten einer freien projektweisen Tätigkeit unerfahren.
Wie überholt ist ihre Erfahrung? Was ist diese außerhalb des bisherigen Arbeitgebers wirklich wert? Das Thema stellt sich insbesondere für Manager von Großunternehmen, die sich nun als Hilfe für Mittelständler anbieten wollen – oder auch bereit wären, sich ehrenamtlich zu engagieren. Da gelten nämlich die gleichen Bedingungen: Der Markt ist intransparent und niemand scheint zu warten.
Es gilt aber auch das Denken: „Meine Generation setzt sich im Ruhestand nicht zur Ruhe, jedenfalls nicht sofort und nicht vollständig“. Es ist ein Teilruhestand, der, positiv betrachtet, Freiheit und Gelassenheit sichert. Er hat nichts zu tun mit Schläfrigkeit, Trandösigkeit und Ausstieg aus dem prallen Leben. Im Gegenteil: Wer seinen Teilruhestand, Weiterbildung eingeschlossen, richtig lebt, sichert sich damit seine Stärke für die anderen Lebensteile, nämlich nach Form und Ausmaß veränderte Erwerbsarbeit und intensivierte Engagement-Arbeit. Die jetzige Generation unterscheidet sich hierin nach eigener Einschätzung von vorherigen Generationen.
Silver Patchwork-Life
Bei den Arbeitsformen fällt zweierlei auf. Erstens wird die angestellte Tätigkeit zur Ausnahme und die freie Tätigkeit für verschiedene Auftraggeber zur häufigsten Form. Und zweitens sind die unbezahlte Arbeit und die bezahlte Arbeit etwa gleich häufig vertreten. Ich möchte für beide Phänomene den Begriff „Silver Patchwork-Life“ vorschlagen. „Patchwork“ nennt man Erwerbsarbeit aus verschiedenen Bestandteilen, zum Beispiel Teilzeitarbeit plus Selbständigkeit plus Engagement-Arbeit. Ein „Patchwork-Life“ ist ein Leben rund um verschiedene Bestandteile von Arbeit und Leben, die zu einem individuell passenden Ganzen zusammengesetzt werden. Das „Silver Patchwork-Life“ ist eine Form davon, die nach der letzten Festanstellung beginnt. Patchwork-Life steht für eine bewusst herbeigeführte Balance zwischen Arbeit und allen anderen Lebensbestandteilen.
Realität, insbesondere kollektive, verändert sich nicht in harten Schnitten, sondern langsam. Neue Realität formt schrittweise ihr Profil. Silver Patchwork-Life wäre als Lebensabschnittskonzept schon viel deutlicher hervorgetreten, gäbe es nicht gruppen- und generationsspezifische Merkmale, die sowohl der Profilierung in der Bezahlarbeit (zumeist als Selbständiger) als auch in der Engagement-Arbeit entgegenstehen. Die Generation hätte gern mehr Optionen für bezahlte und unbezahlte Arbeit, fühlt sich aber nicht stark und informiert genug, um sich diese zu besorgen. Freilich: Objektiv sind die Märkte von Bezahl- und Freiwilligenarbeit im Netz für den Einzelnen erschließbar. Das Umlernen vom Entscheider zum Berater kann als reizvolle Herausforderung begriffen werden. Es geht im Kern um die Überwindung subjektiver Hemmnisse. Die Bereitschaft, auch unter dem Risiko, weitere Verluste an Status bei Misserfolg hinzunehmen, wird wachsen, wenn es im eigenen Umfeld mehr Beispiele vielfältig erfüllten Lebens gibt und der vollständige Rückzug auf Golf, Reisen und Familie somit noch mehr ins Fragwürdige gerät.
Der Blick auf die 68er Generation liefert also durchaus widersprüchliche Befunde. Das Selbstbewusstsein der Generation ist durch Politisierung und Individualisierung ausgeprägt. Gleichzeitig kommen viele aus dieser Generation mit ihrem Ausscheiden aus der gewohnten beruflichen Erfolgshöhe nicht selten erstmals in ihrem Leben in eine Selbstverständniskrise. Hier treten – Stichwort „Status“ – spezifische Gruppenmerkmale hervor, besonders deutlich bei männlichen Führungsmanagern. Wer zu oft Position und Person im Berufsleben verwechselt hat – und wer ist davor gefeit? –, tut sich beim Übergang besonders schwer. Er möchte ankommen, weiß aber nicht, wo und wie. Der Weg zurück in die alte Herrlichkeit ist verstellt.
„Silberjahre“
Silver Patchwork-Life, das sind – weniger spezifisch ausgedrückt – „Silberjahre“, ein Lebensabschnitt, der, richtig angefasst, ein Gewinn sein kann. Dieser Abschnitt ist historisch neu und der längeren Lebenserwartung geschuldet. Die Aufgabe ist, daraus gewonnene Jahre zu machen. Dies gelingt im engen egoistischen Lebenskonzept nicht. Der Mensch ist „helfensbedürftig“, so der wegweisende Buchtitel des neuen Buches des Therapeuten und Publizisten Klaus Dörner.
Silberjahre und Silver Patchwork-Life sind keine geschlossenen Konzepte. Sie bilden das Dach für viele verschiedene Lebensentwürfe. Am Dachfirst steht als gemeinsames Credo: „Arbeit, bezahlt und unbezahlt, bleibt ein Teil meines Lebens. Mein Ruhestand kommt später. Ich kann noch etwas bewirken.“
Die Generation der 68er hat mit ihrem prononcierten Wunsch nach dieser Lebensform und durch die immer größere Zahl von Realisierungsbeispielen in großer thematischer Bandbreite eine wichtige Vorreiterrolle. Wir sind – weitgehend unbemerkt – mittendrin in der Transformation von der (Vor)Ruhestands- zur Silver-Patchwork-Life-Gesellschaft. Das Potential ist da, die Bereitschaft auch, nicht bei jedem, aber, so möchte ich vermuten und behaupten, bei mindestens zwei Dritteln der altgedienten Manager. Die Anteile unbezahlter Arbeit könnten also verdoppelt werden. Die materielle Absicherung erleichtert die Transformation der Lebens- und Arbeitsausrichtung auf ein Mehr an Sinn.
Potential abrufen heißt nicht nur, die Zeitangebote zu nutzen, sondern vor allem, die intellektuellen Kapazitäten in richtiger Weise zum Einsatz zu bringen. Wer Zeit seines Berufslebens in größeren Zusammenhängen dachte und agierte, würde gern weiter herausgefordert werden. Aber die Umsetzung, sich wirklich einbringen zu können, ist nicht ganz einfach und erfordert auch von den Managern, die sich dafür einsetzen, Avantgarde-Zähigkeit.
Die Nachfrage nach Engagement wächst, auch wenn noch längst nicht alle Einsatzmöglichkeiten erschlossen sind. In allen drei Arenen, der staatlichen, wirtschaften und der zivilgesellschaftlichen, stecken noch riesige Wachstumspotentiale. Aber noch gilt, was der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter, für Teile der aktuellen Managergeneration feststellt: „Es gibt nach meiner Einschätzung bei denen, die mit 62 ausscheiden, immer noch eine falsche Vorstellung von der Länge dessen, was danach kommt. Und dass die dann nach drei Jahren sagen: ,Mist! Das hätte ich mir nicht so gedacht’.“
Halten wir fest: Silver Patchwork-Life eröffnet zwei Karrierewege, die sich bestens ergänzen. Alte und neue Aufgaben im Arbeitsmarkt sichern finanzielle Unabhängigkeit, sozialen Status und Eigenwertschätzung und öffnen den Raum für aktive Mitwirkung am Ausbau der Zivilgesellschaft. Hier kann sich der Manager als Macher mit Marktverstand einbringen und dafür sorgen, die Welt ein bisschen besser zu machen – und seine Alterszeit sinnerfüllter.
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