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Porträt

„Wir sehen Gäste als unsere Arbeitgeber an“

Porträt - „Wir sehen Gäste als unsere Arbeitgeber an“
Steht einem generationenübergreifenden Familienverbund mit gastronomischer Tradition vor: Heiner Finkbeiner © Annette Cardinale

Eleganz-Instanz: Er könnte sein Geld als Model für feinsten Herrenzwirn verdienen. Das Schicksal hat es anders gemeint mit dem Grandseigneur mit Bodenhaftung. Unter seiner Ägide setzt das Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn internationale Maßstäbe der Gastlichkeit – Heiner Finkbeiner, Gastronom und Hotelier.

Peter Peter01.03.2024

Vielleicht wäre er ja lieber Tennisprofi oder – ganz schwarzwälderisch – Skispringer geworden. Die ersten Jugendtitel hatte Heiner Finkbeiner schon eingeheimst. Aber dann war die Familie stärker. Nicht irgendeine Familie, sondern ein generationenübergreifender Verbund mit gastronomischer Tradition. Im Revolutionsjahr 1789 hatte ein Vorfahre die Traube Tonbach eröffnet – eine getäfelte Gaststube, in der Holzfäller sich an volkstümlichen Vespern wie Kutteln oder sauren Nieren stärken konnten. Dazu kamen Bäckerei, Landwirtschaft und irgendwann die ersten schlichten Fremdenzimmer.


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Weltbestes Restaurant

Heiner Finkbeiner, heute Patron über 320 Angestellte, ein Fünf-Sterne-Hotel und mit der Schwarzwaldstube dem aktuell weltbesten (!) Restaurant, hat als Bub die Zeiten noch erlebt, als hinter dem Haus Kühe und Schweine gehalten wurden. Er hat beim Kohleschippen und Heumachen geholfen. Er hat gestaunt, wie an Wochenenden bis zu 200 hungrige Gäste in Tonbach einfielen, um sich an der guten Hausmacherkost zu stärken, sodass irgendwann die Kartoffeln vom familieneigenen Acker nicht mehr genügten.

Als ihn dann Onkel Willi zum Nachfolger bestimmte, fällte Heiner Finkbeiner eine folgenreiche Entscheidung. Er absolvierte eine harte Kochlehre. Aber er wollte erst einmal hinaus aus der schwäbischen Provinz, bewusst in den besten Häusern und bei den innovativsten Köchen lernen. So knüpfte er lebenslange Kontakte zu den Protagonisten, die die Prinzipien der Nouvelle Cuisine auch in deutschen Landen umsetzten. Er erlebte das deutsche Kochwunder der 1970er hautnah mit.

Heiner Finkbeiner brachte es zum Chef de Partie beim Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann, sprang für Hans-Peter Wodarz erfolgreich ein, schloss Freundschaften mit dem Vitalkoch Heinz Winkler und dem Sternesammler Dieter Müller. Zugleich lernte er durch Positionen in Brenners Parkhotel oder dem Hilton das Hotelfach von der Pike.

Frischer Wind

Mit seiner Übernahme wehte kulinarisch ein frischer Wind durch die wuchtige Schwarzwaldstube, deren altertümelndes Interieur noch von Onkel Willi stammte. Jetzt wurde leicht mit marktfrischen französischen Produkten gekocht, die Heiner Finkbeiner teilweise persönlich in Straßburg auswählte. Die Gäste, die bald auch aus der Schweiz und Frankreich selbst anreisten, wurden mit Steinbutt, Milchlamm und selbst gebackenem Brot verwöhnt.

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Heiner Finkbeiner in seinem neu errichteten Restaurant Schwarzwaldstube © Annette Cardinale

Das Restaurant im abgelegenen Talgrund oberhalb von Baiersbronn wurde zur Talenteschmiede. Harald Wohlfahrt, jahrzehntelang höchstdekorierter Koch Deutschlands, startete als Commis in der Traube Tonbach und arbeitete als 19-jähriger Eleve zunächst für einen Kochkünstler, den Finkbeiner aus dem Münchner Gourmettempel Tantris mitgebracht hatte. Sein Nachfolger Torsten Michel, der die drei Michelin-Sterne erfolgreich verteidigt, wurde seit 2004 von Wohlfahrt aufgebaut. Longue durée und Loyalität scheint ein Prinzip der Finkbeinerschen Unternehmensphilosophie zu sein. Das reicht vom Pagen, der stolz versichert, seit über 20 Jahren im Haus zu sein, bis zum Sommelier Stéphane Gass, dessen exzellente Weinauswahl als beste Europas ausgezeichnet wurde. Seit 1990 hält der Franzose der Traube Tonbach die Treue.

Schwarzwaldstube in Flammen

Stammgäste aus nah und fern, Prominenz aus Sport und Politik, überschwängliche Kritiken und Support von Koryphäen wie Paul Bocuse – es schien, als habe Heiner Finkbeiner beruflich alles erreicht. Dann kam die Katastrophe. Die schwierige Stabüber ga be von Harald Wohlfahrt zu Torsten Michel war kaum durchgestanden, da stand die Schwarzwaldstube und damit das Geburtshaus von Heiner Finkbeiner in der Nacht auf den 5. Januar 2020 lichterloh in Flammen. „Verbrannte Sterne“ titelte der SWR seine fünfteilige Saga, die den Schock eines ganzen Dorfes einfing und zeigte, wie sehr es sich mit seiner „Traube“ identifizierte. Doch das eigentliche Thema der Doku war der Wille der Familie zum Wiederaufbau. Unterstützt von Ehefrau Renate und seinen Kindern, nunmehr der achten Generation, zögerte Heiner Finkbeiner keinen Augenblick. Man glaubt dem Patriarchen, wenn er erzählt, dass der erste Gedanke seinen Mitarbeitern galt, deren berufliche Existenz plötzlich auf dem Spiel stand. Dass es weitergehen muss, stand außer Frage, auch wenn die Michelin-Wertung erst einmal ausgesetzt wurde.

Neues Stammhaus

Nicht nur die Foodie-Szene hat gespannt verfolgt, wie ein Containerprovisorium die altdeutsche Stube ersetzte. Pop-up statt Behäbigkeit, bis ein neues Stammhaus entstand wie Phönix aus der Asche. „Meinem Vater, der als Architekt Bauhaus-Idealen verpflichtet war, hätte es sicher gefallen.“ Große Glasfenster, japanisch angehauchter Minimalismus, raffinierte Lichtregie, gedämpfte Farben und als Schwarzwaldzitat 40.000 graue Schindeln, so sieht der neue Gastrobereich aus, der mit dem Drittrestaurant Schatzhauser auch die Liebhaber bodenständiger Genüsse anspricht.

Herr Finkbeiner, was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Weltläufigkeit gepaart mit schwäbischem Understatement? In der Traube ist aufdringlicher Promi-Starkult tabu, hier hat jeder Gast das angenehme Gefühl, gleich behandelt zu werden. Es ist die Kunst des stilvollen Delegierens, die Heiner Finkbeiner auszeichnet, die souveräne neidlose Anerkennung fremder Leistung. Dieser humanen Unternehmensphilosophie, die sich in sorgfältiger Förderung der teilweise aus Asien und dem Maghreb stammenden Servicekräfte widerspiegelt, verdankt die Traube Tonbach weit mehr als den üblicherweise viel beschworenen Teamgeist. Das Haus hat nicht nur eine neobarocke Kapelle, sondern auch eine Seele – facettenreich spürbar am Engagement der Mitarbeiter. Nicht nur aus der Dankbarkeit resultiert, dass Familie Finkbeiner die Coronapandemie ohne Entlassungen durchhielt. Im Schwarzwald ticken die Uhren doch ein bisschen anders. Man kennt die neuesten Trends, aber man interpretiert sie individuell. An der Rezeption zeigt eine Reihe schwarzer Kuckucksuhren die Weltzeiten von Los Angeles bis Tokio und Sydney. Auf Augenhöhe die Tonbach-Uhr, aber als einzige rot wie ein Bollenhut. Schwarzwald reloaded!


Zur Person

Heiner Finkbeiner (RC Freudenstadt), Jahrgang 1949, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und Chevalier der Ehrenlegion. Seit 1977 leitet er die Schwarzwaldstube, seit 1993 als Besitzer des Hotels Traube in Tonbach. 2024 platzierte das internationale Ranking La Liste seine Gourmet-Institution zusammen mit sechs weiteren Restaurants auf Platz eins. Heiner Finkbeiner sitzt im Vorstand der Grandes Tables du Monde, einer Assoziation der weltbesten Restaurants. Seit 1985 ist der gebürtige Baiersbronner Rotarier.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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