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Interview

„Polio ist eine reale Gefahr“

Sabine Weiss (Kreis Wesel) ist seit 2009 Mitglied des Bundestages und stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion für Arbeit und Soziales, Arbeitnehmer sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Als Mitglied des RC Walsum/Niederrhein übernahm sie kürzlich die Schirmherrschaft über den ersten Parlamentarischen Abend zum Thema „Polio“.

Matthias Schütt03.12.2014

Freundin Weiss, wie präsent ist das Thema Kinderlähmung bei Ihnen und Ihren Parlamentskollegen?

Weiss: Polio ist in Zusammenhang mit den aktuellen Flüchtlingsströmen und der Zuwanderung nach Deutschland ein durchaus brisantes Thema. Die Gefahr der Wiedereinschleppung dieser Krankheit nach Deutschland ist relativ groß. Wir sehen ja gerade bei Ebola, wie schnell aus einem regionalen Gefahrenherd eine globale Bedrohung werden kann.

Die Hauptlehre aus der Polio-Kampagne ist, dass es keine Sicherheit geben kann – nirgendwo –, solange nicht alle Kinder in allen Ländern gegen Kinderlähmung geimpft sind.

Weiss: Das haben uns die Vorträge auf dem Parlamentarischen Abend sehr deutlich vor Augen geführt. Zum einen die wirklich beeindruckende Entwicklung der Kampagne bis hinunter auf nur noch drei Polio-endemische Staaten, zum anderen die immer wieder auftretenden Polio-Ausbrüche in Ländern, die eigentlich schon als Polio-frei gelten bzw. in denen regelmäßige Impfaktionen stattfinden.

Was bedeutet diese Erkenntnis für Ihre Arbeit?

Weiss: Wir haben an diesem Abend vor allem einen sehr differenzierten Begriff von „Ausrottung“ gewonnen. Anders als viele denken, ist das Ziel der Kampagne nicht, die Polioviren auszurotten, was vermutlich gar nicht möglich ist, sondern die Weltbevölkerung flächendeckend zu impfen, sodass die Ausbreitung gestoppt wird. Es bleibt also eine Herausforderung, auch künftig alle Neugeborenen gegen Polio zu impfen. Und deshalb ist es wichtig, die Gesundheitssysteme der Länder so aufzubauen, dass dies dort in Eigenregie erfolgen kann bzw. mit Unterstützung zum Beispiel der Impfallianz GAVI.

Bei der Bekämpfung der Kinderlähmung arbeitet die Global Polio Eradication Initiative (GPEI) erfolgreich als Public-Private-Partnership (PPP) zusammen: WHO, UNICEF mit Privatpersonen wie Bill Gates sowie mit Nichtregierungsorganisationen wie Rotary. Ein Erfolgsmodell auch für andere Aufgaben im Gesundheitsbereich?

Weiss: Gerade in diesem Bereich haben sich PPPs als hilfreich erwiesen, weil in idealer Weise die private Hilfs- und Spendenbereitschaft vieler einzelner gebündelt wird mit der Fachexpertise einschlägiger staatlicher und internationaler Institutionen. Das gilt beim Global Fund gegen HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria ebenso wie bei der Polio-Bekämpfung. Hier kommt Rotary das Verdienst zu, über Jahrzehnte immer wieder an das Ziel einer Polio-freien Welt erinnert zu haben, auch als wir keine unmittelbare Bedrohungssituation hatten. Es macht mich stolz zu sehen, wie sich unsere rotarischen Freunde dafür immer wieder in die Pflicht nehmen lassen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit Jahren einer der Hauptförderer der Polio-Kampagne mit regelmäßigen beträchtlichen Zuwendungen. Wird die Bundesregierung bei der Stange bleiben, auch wenn sich der Zieltermin 2018 vielleicht nicht halten lässt?

Weiss: Da kann ich Sie beruhigen. Die Bundesregierung steht zu ihrer globalen Verantwortung. Bundeskanzlerin Merkel hat die Gesundheit in Entwicklungsländern zum Thema des G7-Gipfels in Deutschland 2015 gemacht. Das BMZ fährt jetzt die Mittel sowohl für Impfungen als auch für die Gesundheitssystementwicklung hoch. Denn auch das verdanken wir der Polio-Kampagne: Sie hat in Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen eine Infrastruktur geschaffen, etwa vorher nie gekannte Laborkapazitäten, die sich jetzt auch für andere Krankheiten nutzen lässt. Ebola ist da nur das ganz aktuelle Beispiel.

 

Die Fragen stellte Matthias Schütt

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.