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Fokus November

Schlaganfall: Hilfe für die Zeit danach

Fokus November - Schlaganfall: Hilfe für die Zeit danach
Um aktuell informiert zu bleiben, treffen sich die Kursteilnehmer auch in der Folge regelmäßig und diskutieren mit Experten. Ganz rechts Seminarleiter Udo Feldheim. © RC Ansbach

Für alltägliche Hilfe und kleine Auszeiten sorgen: Der RC Ansbach organisiert seit Jahren die Ausbildung von Schlaganfallhelfern und ­exportiert die Idee erfolgreich in andere Regionen.

Sabine Meinert01.11.2019

Samstag, 9.30 Uhr, Ansbach: "Er kann wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommen – von jetzt auf gleich ist alles vorbei. Ein Schlaganfall wirft so ziemlich alles aus der Bahn." Dr. Udo Feldheim, Neurologe, steht in einem Schulungsraum beim Bayerischen Roten Kreuz und berichtet, wie schwer Patienten nach einem Schlaganfall beeinträchtigt sind. Und weil es allein in Ansbach und Umgebung jedes Jahr rund 800 neue Fälle gibt, geht der dortige Rotary Club das Problem offensiv an: mit der Ausbildung ehrenamtlicher Schlaganfall-Helfer (als Pilot-Projekt für das Land Bayern).

Emotionale Hilfe
Feldheim ist einer der Treiber hinter dem Projekt. Seit er als Präsident des Clubs 2016/17 das Thema auf die Tagesordnung hob, wirbt der Club um Mitstreiter, Unterstützer, Dozenten – und vor allem um Menschen, die sich ausbilden lassen. 15 Interessenten haben sich an diesem Morgen in dem hellen Seminarraum zusammengefunden. Fast jeder Zweite hat bereits einen Schlaganfallbetroffenen im Freundes- oder Familienkreis.
Mit gewinnendem Lächeln und großem Enthusiasmus führt Udo Feldheim die Interessenten in ihre neue Aufgabe ein. Als Schlaganfallhelfer sollen sie Patienten im Alltag unterstützen. "Es geht nicht darum, den Arzt oder Therapeuten zu ersetzen. Viel wichtiger ist, dass Sie helfen, Struktur in das Chaos zu bringen, und auch die emotionale Seite abdecken."
Was er den angehenden Helfern vermitteln will, ist: Manchmal hilft ein Gespräch, ein Spaziergang oder ein Nachmittag beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielen dem Patienten mehr als ein neues Medikament. Denn viele Patienten sind mit dem Schlaganfall – mit einem Schlag – aus ihrem gewohnten Leben raus: Job, Freundeskreis, Sportverein. Häufig gibt es körperliche und geistige Einschränkungen, der Bewegungsradius reduziert sich massiv, Familienstrukturen und Selbstständigkeit gehen oft verloren.
Die Seminarteilnehmer lassen die Stifte über das Papier flitzen. Begriffe wie Interventionsabteilung, ischämische Infarkte, Vergütungssystem und Stroke Unit fallen. Während im Seminarraum die Bedeutungen erklärt werden, schaut der Kardiologe Karl Sturm durch die Tür. Er war von Beginn an involviert – als Gemeindienstbeauftragter des Rotary Clubs und als medizinischer Fachmann. "Doch zunächst stand die Frage: Wie gewinnen wir Leute für ein Projekt, das Zeit und Engagement kostet, aber keine monetäre Vergütung bringt?", berichtet er. Inzwischen weiß er: "Wer sich schon mal bei einem Schlaganfallpatienten hilflos fühlte, holt sich hier das Wissen, was er beim nächsten Mal tun kann. Und wer sieht, was diese Krankheit anrichtet, will helfen."
Was es noch bringt? Dr. Karl Sturm lächelt: "Zu erfahren, was den Schlaganfall auslösen und wie man agieren kann, gibt den Teilnehmern unglaubliche Sicherheit. Sie bringen viel Empathie mit – und sind froh, tätig helfen zu können." Zudem beobachtet er oft eine Persönlichkeitsentwicklung. "Sinnfindung ist für viele auch ein Antrieb."
Im Seminarraum ist der Unterricht weitergegangen. "Das Gehirn trägt Schäden davon, wenn Teile nicht adäquat mit Blut versorgt werden können", erklärt Udo Feldheim und zeigt auf eine Grafik. "Doch die einzelnen Gehirnteile können sich anpassen, quasi Wege um das geschädigte Areal herum finden. Und je vielfältiger man das Gehirn trainiert, umso besser ist später das Ergebnis."
Die Teilnehmer sind schon wieder in Notizen vertieft, als Udo Feldheim dicke blaue Ordner austeilt. Erika Hauf schaut erschrocken auf: "Oh je, des schaut viel aus" – und erntet ein Lachen aus den Reihen der Teilnehmer. Tatsächlich wird der Ordner am Ende des Lehrgangs ziemlich voll sein.

Mut machen

Der Kurs vermittelt in geballter Form Wissen über das Krankheitsbild, die Therapie und Reha, psychologische Grundlagen, Sprachstörungen, Sozialrecht und Pflegeversicherung. Und die Schlaganfallrisiken: Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Herzrhythmusstörungen, Rauchen und erhöhte Blutfettwerte, dazu kommen übermäßiger Alkoholgenuss, starkes Übergewicht und Bewegungsmangel. Männer sind übrigens häufiger betroffen als Frauen, ab 50 verdoppelt sich das Risiko mit jedem Jahrzehnt.
Viel Neues, viel Informatives – auch für Alexandra Steup, die vor sieben Jahren selbst eine Hirnblutung hatte und nun Helferin werden will. "Ich kann anderen Mut machen, denn ich habe mich zurück ins Leben gekämpft und fahre sogar wieder Auto", erzählt sie. "Schlaganfall ist mein Thema. Hier kann ich mich einbringen und anderen mit meinen Erfahrungen weiterhelfen."
Denn klar ist: Die Nachsorge weist in Deutschland Defizite auf. Unter anderem deshalb engagiert sich bundesweit die Deutsche Schlaganfall-Hilfe, eine private Stiftung. Sie evaluiert Kurse wie den in Ansbach und vergibt Zertifikate. Als Partner des RC Ansbach sind das Bayerische Rote Kreuz (BRK), außerdem das Klinikum ANregiomed, die Diakonie Neuendettelsau, das Bezirkskrankenhaus Ansbach und der Sozialverband VdK mit im Boot.
Nach dem Mittag kommt das Gespräch auf Ernährung: salzarm, Gemüse, Früchte, Fisch, viel Vitamin-B12-Haltiges sowie ab und an ein Gläschen Rotwein aus dem Barrique hilft den Schlaganfallpatienten, heißt es. Das gibt Diskussionsstoff – gerade im kulinarisch etwas anders fokussierten Franken.

Partnervermittlung
Renate Brodwolf schaut kurz rein. Die BRK-Mitarbeiterin koordiniert den Einsatz der Schlaganfallhelfer, vermittelt also Helfer nach abgeschlossenem Kurs an Patienten. "Es ist ein bisschen wie Partnervermittlung. Und wo es passt, ist es ein wahnsinniger Gewinn für den Betroffenen."
"Jede Woche ein paar Stunden oder nur einmal im Monat – jeder entscheidet selbst, wie viele Stunden er später helfen will", ergänzt Udo Feldheim. "Oder ob er das noch einige Monate zurückstellt. Immerhin könnte der ausgebildete Helfer dann bei einem Schlaganfall in seinem Umfeld schon richtig reagieren."
In Anja Böttigers Familie gab es tatsächlich vor Kurzem so einen Fall. Erschrocken sei sie gewesen über den plötzlichen Schlaganfall des Verwandten, erzählt sie. Beim nächsten Mal will sie sich deshalb weniger hilflos fühlen und auch in der Zeit nach dem Schlaganfall besser helfen können. "Und je älter man wird, umso mehr Betroffene gibt es ja um einen herum", ergänzt Inge Rabe.
270.000 Fälle zählt die Statistik deutschlandweit jedes Jahr. In Österreich sind es immerhin etwa 25.000. Für Betroffene sollen in Zukunft möglichst überall direkt nach dem akuten Ereignis für ein Jahr Schlaganfalllotsen bereitstehen. Bisher ist die Evaluationsphase aber noch nicht abgeschlossen und die Kostenübernahme noch nicht gewährleistet.
Lotsen sollen hauptberuflich jeweils Hunderte Patienten betreuen, können daher allenfalls koordinierend eingreifen. 2012 wurde in Ostwestfalen zusammen mit der Hochschule in Bochum ein passendes Konzept für die – zusätzlichen – ehrenamtlichen Schlaganfallhelfer erarbeitet. Der RC Ansbach übernahm die Aufgabe, dieses Projekt in Süddeutschland erstmals zu etablieren, führte die Organisation und die gesamte Finanzierung durch.

"Es ist so wichtig"

Rund 90 Schlaganfallhelfer haben in Ansbach bereits die Ausbildung absolviert. © RC Ansbach

In Ansbach werden an diesem Kurstag inzwischen die Unterlagen zusammengeräumt. "Puh, war viel. Aber es hat Spaß gemacht – und es ist wichtig", sagt eine Teilnehmerin mit fester Stimme.
Am nächsten Morgen sind alle wieder frisch und fit zur Stelle. Seminarleiter Udo Feldheim freut sich, dass keiner aufgegeben hat. "Heute schauen wir auf die Komplexität der Schlaganfallversorgung: Nach dem Krankenhaus kommt die Reha, dann die Verlegung nach Hause. Doch für den Patienten ist da noch längst nicht alles im Lot. Viele fallen in ein Loch, weil sie mit der neuen Situation nicht umgehen können. Arbeit, Alltag, Hilfe – alles offen. Die gesamte Lebensplanung ist infrage gestellt."
Kurz darauf steht Stephanie Rottler vor der Gruppe. Die Physiotherapeutin will die Helfer über die körperlichen Folgen des Schlaganfalls informieren und sie sensibilisieren, wo sie eingreifen können – und wo nicht. "Wichtig ist zum Beispiel, dass Sie wissen, wie Sie einem Patienten auf die Beine helfen, ohne dabei selbst einen Bandscheibenvorfall zu bekommen", sagt sie und macht es gleich mal vor: Die Füße unter die Knie, den Rumpf stützen, bloß nicht an Schulter oder Armen ziehen. Um zu wissen, wovon sie redet, muss jeder Teilnehmer das mit seinem Sitznachbarn ausprobieren.
"Und was tun bei Ödemen?" – Längst scheut sich niemand mehr zu fragen. Jeder noch so simple Einwurf ist wichtig, sind sich vor allem die Organisatoren vom RC Ansbach einig. Schließlich sollen die Helfer als Multiplikatoren auch an andere weitergeben, was sie im Seminar über die Krankheit, Behandlungsmöglichkeiten, Hilfen oder den gesetzlichen Hintergrund erfahren haben.

Auch Kindern helfen
Die nächsten Seminartermine werden abgestimmt, außerdem die für weitere Treffen der Schlaganfallhelfer mit Besuchen in Stroke Units, Reha-Kliniken, bei Vorträgen von Gefäßchirurgen oder Demenzexperten. "Man will ja auf dem Laufenden bleiben", lacht eine Seminarteilnehmerin und staunt nicht schlecht, als Udo Feldheim kurz darauf von der ersten Schlaganfallkinderlotsin Süddeutschlands erzählt, die Hilfe für betroffene Kinder anbietet, von denen es deutschlandweit jedes Jahr etwa 300 gibt.
Wie viel allein ein Besuch helfen kann, weiß auch Hans Tschunko. Beim Autofahren traf ihn ein Schlaganfall – gefährlich. Nach seiner Genesung wollte er keinesfalls nur herumsitzen, wurde Schlaganfallhelfer und trifft nun freitagvormittags einen anderen Betroffenen. Dann erzählt er ihm von seinen Besuchen in Afrika, geht mit dem Patienten einkaufen oder raus ins Grüne.
"Eigentlich ganz einfache Sachen. Aber jedes Mal mit neuen, positiven Eindrücken auch für mich. Ich empfinde große Freude und bin dankbar, dass ich das tun kann." Aus seinen Erzählungen wird zudem deutlich, dass auch die Angehörigen im Fokus der Helfer stehen. "Für sie ändert sich unglaublich viel, wenn sie den Partner plötzlich anziehen, duschen oder versorgen müssen – rund um die Uhr. Da verschaffen wir Helfer oft eine kleine Auszeit."

Der Bürokratie abhelfen
Später sitzt noch Claudia Merk mit am Tisch. Die gelernte Bürokauffrau ist schon eine ganze Weile dabei. Sie stürzt sich mit Vorliebe auf Bürokratisches, bespricht mit den Krankenkassen Behandlungspläne, Therapie- und sonstige Hilfen. Sie weiß, es stresst die Patienten enorm, wenn sie anfangs allein vor den Formularen sitzen. Sie dagegen hat sich mit Verve und guter Laune längst in die Materie eingearbeitet.
Dass sie mal im sozialen Bereich landet, hätte Claudia Merk nie gedacht. Heute arbeitet sie in Teilzeit in einem Dialysezentrum, ist Schlaganfall- und Demenzhelferin und macht demnächst eine Ausbildung zur Hospizhelferin. "Irgendwie gibt mir das was", sagt sie mit fränkischem Zungenschlag.
Dr. med. Henriette Feldheim unterstützt indes das Schlaganfallhelfer-Projekt vor allem aus dem Homeoffice. Die Korrespondenz, Terminabsprachen und viele Telefonate laufen bei ihr auf. Als Fachfrau weiß sie zudem: "Fast 70 Prozent aller Schlaganfälle sind vermeidbar – Untersuchung und Aufklärung sollten mehr in den Vordergrund rücken. Ideal wäre es, die Risiken in den Griff zu kriegen."
Das findet auch die ehemalige bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die zusammen mit der Ansbacher Oberbürgermeisterin Carda Seidel die Schirmherrschaft für das Projekt der Ansbacher Rotarier übernommen hat. In der Zwischenzeit wurde das Schlaganfallhelfer- Projekt in Bayern auch im Landkreis Rhön-Grabfeld gestartet und in Kulmbach zusammen mit der Diakonie und der Hilfe einer privaten Spenderin adaptiert. Die RCs Ilmenau, Erfurt-Gloriosa und Arnstadt werden ebenfalls demnächst Schlaganfallhelfer als Pilotprojekt für das Land Thüringen etablieren.
Das Bayerische Rote Kreuz plant zudem, das Projekt als Partner in Süddeutschland weiter auszurollen, ebenso soll es in Ostwestfalen weitergehen. Der Gesundheitsministerin Bayerns, Melanie Huml, wurde es ebenso vorgestellt wie dem Partnerclub des RC Ansbach in Frankreich, dem RC Longwy, außerdem auf der World Convention in Hamburg.
Und: Das Projekt sowie Initiator Dr. Udo Feldheim wurden bereits mehrfach ausgezeichnet.
Im Kurs ist der Unterricht inzwischen weitergelaufen. Sprachstörungen sind das Thema – ein Symptom, das Betroffene wohl am stärksten isoliert. Dann ist der zweite Kurstag für die angehenden Schlaganfallhelfer vorbei. So mancher gerunzelten Stirn ist anzusehen: Es war ganz schön viel auf einmal. Doch aufgeben? – Nein, alle wollen wieder dabei sein. "Es geht ja um was." "Und nötigenfalls hole ich das Modul im folgenden Kurs nach", heißt es.
Kurz vorm Auseinandergehen kommt noch die Frage nach der Abschlussprüfung. Udo Feldheim lächelt in die Runde. "Das Zertifikat bekommen Sie eigentlich nicht nach dem Kurs, sondern später von den Betroffenen."


Wissenswert

Schlaganfallhelfer bieten (kostenfrei):

  • individuelle Hilfestellung für Patienten und Angehörige im Alltag
  • Besuche und Unterstützung bei Freizeitaktivitäten
  • Beratung zu Sozialleistungen und Hilfsmitteln
  • Begleitung bei Arztbesuchen oder Behördengängen
  • sonstige patientenorientierte Unterstützung


schlaganfallhelfer-ansbach.de

 

Woran kann ich einen Schlaganfall erkennen?
Schlagartig auftretende Lähmungs- und Taubheitsgefühle in einer Körperhälfte, Sprach- oder Sehstörungen, Schwindel mit Gangunsicherheit oder starker Kopfschmerz sind typische Symptome. Sie bedürfen sofortiger Behandlung – wählen Sie deshalb die Notfallnummer 112.

 

Was tun bei einem Schlaganfall?

  • Notruf wählen, Hilfe holen
  • Betroffenen beruhigen, beengende Kleidung lockern
  • keine Getränke oder Medikamente geben
  • bei Bewusstlosigkeit Betroffenen in stabiler Seitenlage positionieren
  • bei fehlender Atmung/fehlendem Herzschlag Wiederbelebung starten
  • auf keinen Fall warten, bis sich die Situation eventuell bessert
  • eintreffenden Notarzt oder Sanitäter informieren, damit der Patient so schnell wie möglich in ein spezialisiertes Krankenhaus gebracht werden kann