Peters Lebensart
Duftende Deko zum Reinbeißen
Früher alltäglich und günstig – heute originell und ungewohnt: Kochen mit Blumen und Blüten
Sie wollen nach Kopenhagen, angezogen vom Hype um das Restaurant Noma und die Neue Nordische Küche? Mein Tipp angesichts der weitverbreiteten englischen Speisekarten in Dänemarks Kapitale: Eignen Sie sich ein anglo-Latei - nisches Wort an, das vielleicht nicht jedem geläufig ist – nasturtium! Die orange Kapuzinerkresse ziert gefühlt 50 Prozent aller Kreationen der jungen skandinavischen Wilden, sei es Klippfisch, knackige Hühnerhaut oder Kartoffeln von meerumtosten Schären.
Blüten essen, das gabs schon immer. Als Kinder noch durch Wald und Flur tollen durften und nicht mit süßen Kalorienbomben übersättigt waren, war es ein beliebtes Vergnügen, bienengleich das Tröpfchen süßen Honigseim aus weißen Taubnessel- oder blauen Natternkopfblüten auszusaugen. Es ging auch luxuriöser. Kaiserin Sisi knabberte an kandierten Veilchenblättchen und von Bulgarien bis Persien konservieren parfümierte Konfitüren Rosenblätter in Zuckersirup.
Eine begehrte Edelessenz ist olio di zagara, Orangenblütenöl, nach dem sorrentinische Osterdesserts und sizilianisches Marzipan duften. Und die Jasminblütensauce mit Zimt und Rosenessig, die der Hofkoch Bartolomeo Stefani 1662 dem Gonzaga-Herzog in Mantua zu Kalbskoteletts oder Leberschnitzen empfahl, klingt heute noch spannend. Blüten können aber auch jahreszeitliche Sparsamkeit signalisieren. Ein wunderbar altmodisches Gericht sind Hollerküchlein oder Holunderplinsen, frische Holunderblüten, die in Mehl und Ei getaucht und herausgebacken werden.
Wer glaubt, nur die deutsche Uroma kannte das Rezept, täuscht sich. Schon 1450 empfiehlt Martino da Como, Italiens erster gedruckter Kochbuchautor, solche fritelle. Und im Kaukasus und auf der Krim nimmt man statt Holunder einfach die weißen Blütendolden der Robinie oder Pseudoakazie. Nicht zu vergessen die leuchtend gelben Zucchini-Blüten, die die französische Hochküche mit Bries oder Langusten-Mousse füllt, die aber ebenso mehliert und frittiert als Streetfood munden.
Echte Armeleuteküche ist auch Löwenzahnsalat, am besten wie auf Südtiroler Almwiesen direkt vor der Berghütte gestochen. Am feinsten, wenn die Blätter noch jung und bitter sind und die ungeöffneten Blumenknospen mit dem seidig-gelben Kern knackig schmecken. Übrigens, auch die einstige Geheimwaffe der Königsberger Hausfrau ist eine Knospe, von felsigen Küsten des Mittelmeers importiert, in Salz und Essig konserviert, von Sardellen umringelt.
Feinsinnige Ästheten mögen klagen, wieviele dieser bezaubernden Kapernblüten mit ihren violetten Staubfäden nie aufgingen, weil sie in Klopsen fern der Heimat landeten. Zuviel ist zuviel. Ich errinnere mich an ein Münchner Szenelokal, bei dem die Gerichte mit Blüten und Kräutern dermaßen übersät waren, als hätte man mit der Sense eine Blumenwiese abgemäht und die Speisen planlos damit überstreut – fast so, als sollte man den Tischschmuck aus der Vase auch verzehren. Blüten auf dem Teller bleiben eine Zierde, die das Auge erfreut, ein farbiger Akzent, womöglich eine Ahnung eines zarten Duftes, aber sie dürfen nicht zum Hauptgericht werden.
Der Knigge von heute würde raten: eine Deko, die man sogar aufessen darf, aber beileibe nicht muss. Ein Hauch ist mehr. Ich erinnere mich an eine Stelle bei Fontane, wo ein schlesischer Förster einen Lindenblütenzweig kurz in Sauermilch taucht, um sie zu aromatisieren – so könnte moderne Luxusküche aussehen. Denn Hand aufs Herz, haben Sie etwas so Ausgefallenes und zugleich frappierend Einheimisches schon einmal verkostet?
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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