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Porträt

Freiheit um jeden Preis

Porträt - Freiheit um jeden Preis
Blickt auf ein bewegtes Leben zurück: Manfred Casper am Grenzdenkmal Hötensleben © Kai Loeffelbein

Manfred Casper ging für seinen Wunsch nach Freiheit in der DDR sogar ins Gefängnis. Jetzt hat er seine Autobiografie geschrieben.

Matthias Schütt01.11.2019


Zur Person

Manfred Casper (RC Braunschweig-Richmond), geboren 1951, musste nach einem Fluchtversuch als 18-Jähriger ins DDR-Gefängnis. Nach einem erfolgreichen Berufsleben stellt sich der Vater von drei Kindern und vierfache Großvater heute einer Aufgabe, die ihn in seine Jugend zurückführt: das Verständnis der Menschen in Ost- und Westdeutschland füreinander zu stärken.
Dazu geht er in Schulen, hält Vorträge und Lesungen aus seiner Autobiografie.


Der erste Versuch, sich seiner Jugend in der DDR zu nähern, scheitert nach wenigen Minuten. 1996 sitzt Manfred Casper in der Magdeburger Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vor seinen Aktenordnern. Man stelle sich vor: Ein gerade 18-jähriger „Republikflüchtling“ und 700 Seiten offizielle Dokumente: Observationsberichte, Haftbefehl, Anklageschrift etc. Wie er 1969 in Bulgarien festgenommen wurde, das schnürt dem erfolgreichen Manager auch nach 50 Jahren noch die Kehle zu.
Casper klappt die Akte zu und fährt wieder nach Hause. Und erkennt bei aller Anspannung doch die bizarre Komik in diesem bürokratischen Machwerk: 700 Seiten für einen Jugendlichen, der nichts anderes will als seine Freiheit. Was für ein unsäglicher Aufwand. „Meine Akte ist der Beweis, dass die DDR untergehen musste“, sagt er heute. „Wer so einen Apparat nur zur Bespitzelung seiner Bürger aufbaut, kann als Staat nicht funktionieren.“

Häftling in Cottbus
Er hat seinen „Operativ-Vorgang Häftling“ ein paar Jahre später doch noch aufmerksam gelesen: die Berichte über die gescheiterte Flucht, die ihn als „Politischen“ ins Zuchthaus Cottbus bringt. 17 Monate, lautet das Urteil. „Da hatte ich noch Glück“, so Casper. „Weil ich erst 18 war, wurde davon abgesehen, die volle Härte des Erwachsenenstrafrechts zu verhängen.“
Er muss seine Strafe fast vollständig absitzen, schreibt gegen Schikanen und „Brüllorgien“ drei Ausreiseanträge und wird schließlich von der Bundesregierung freigekauft. In Braunschweig beginnt Ende 1970 das neue Leben des Baumaschinisten, der es über eine Ausbildung zum Technischen Zeichner, über Abitur und Lehramtsstudium bis zum Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Region Braunschweig bringen wird.
Vor drei Jahren ist der 68-Jährige in den Ruhestand gegangen und hat den Plan für ein Buch entwickelt. Eine Nähe zur Literatur und zum Schreiben gab es immer schon, gefördert von seinem Deutschlehrer, der zugleich ein Beispiel gibt, dass Parteigänger nicht automatisch auch Unterdrücker und Missionare sein mussten. Diese Differenzierung ist ihm wichtig. Und die jetzt vorgelegte „autobiografische Erzählung“ ist auch Folge einer einfühlsamen pädagogischen Führung.

Unkenntnis vom Leben in der DDR
„Vom Wachsen der Flügel. Oder: Vom Kampf für ein Leben in Freiheit“ erzählt schon im Titel die ganze Geschichte. Auslöser, sich jetzt damit zu befassen, war aber weniger der Ruhestand als eine verstörende Erkenntnis. Auf Bitte eines Schulleiters hatte er in einem Leistungskurs Geschichte das Leben hinter der Mauer geschildert. Er stieß auf staunendes Interesse der Jugendlichen und fand vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen Ost und West mit gegenseitigen Vorurteilen und Stereotypen eine neue Aufgabe für sich selbst. „Wir wissen einfach zu wenig über die Verhältnisse in der DDR. So umfassend in der Bundesrepublik die NS-Zeit aufgearbeitet wurde, so lückenhaft sind die Kenntnisse vom Leben jenseits der Mauer“, ist Casper überzeugt. Wer, wenn nicht er, kann mithilfe vieler Dokumente wie IM-Berichten authentisch von diesem anderen Land erzählen?
Woher sein Kampfeswille kommt, kann er gar nicht genau sagen. Eine behütete Kindheit in Stollberg im Erzgebirge erhält den ersten tiefen Riss 1961, als in Berlin die Mauer gebaut wurde. Bis dahin hatte der Junge jeden Sommer in den Westen zum Besuch von Verwandten fahren dürfen. Damit war nun Schluss. Warum, das konnte ihm keiner erklären, und wenn doch, dann mit dem Finger auf den Lippen: Dass du nichts davon draußen sagst …

Und noch ein Fluchtversuch
Ein aufgewecktes Kind stößt buchstäblich an Mauern und entwickelt Protest. Der Fluchtversuch war gut geplant, aber doch von jugendlichem Übermut inspiriert. Der bringt ihn später vom Westen aus noch einmal in Gefahr, als er versucht, Freunde aus der DDR zu schmuggeln. „Das konnte ich dann in den Stasi-Akten nachlesen. Die wussten alles.“ Zum Glück stoppte er den Plan noch rechtzeitig.

 


Vom Wachsen der Flügel
Eine autobiografische Erzählung von Manfred Casper,
Joh. Heinr. Meyer Verlag 2019,
418 Seiten,
24,90 Euro

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.