Peters Lebensart
Frühlingszeit stellt Kräuter bereit
Weg mit den alten Kräutermischungen – jetzt ist Grüne-Sauce-Zeit
Was ist das tollste deutsche Essen? Currywurst? Eher nicht. Dann schon lieber Roulade oder Sauerbraten. Aber persönlich würde ich auf Frankfurter Grüne Sauce setzen. Eine köstliche Gaumenattacke frischester Kräuter: Petersilie, Pimpinelle, Kerbel, Sauerampfer und Schnittlauch, Borretsch und echte Brunnenkresse werden fein gewiegt, mit Rahm verrührt und mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer abgeschmeckt. Da werden gekochte Eier oder Ochsenbrust eher zur Beilage.
Doch wir müssen nicht mehr sehnsüchtig nach Hessen schauen oder die Italiener wegen ihrer Brennessel-Ravioli und die Franzosen wegen ihrer nach Estragon duftenden Sauce Béarnaise bewundern. Denn hierzulande ist ein wahrer Kräuterhype aufgeblüht. Hildegard von Bingen, die so schön lateinisch über Bärwurzbirnenhonig zu schreiben wußte, ist 800 Jahre nach ihrem Tod zur Bestseller-Autorin arriviert.
Kräuterwanderungscoach scheint einer der sichersten und zukunftsträchtigsten Berufe geworden zu sein. Und junge Starköche setzen ungerührt Kräutlein auf die Karte, die bereits ihre Großmutter scheinbar für ewig und immerdar vergessen hatte. Möglichst altdeutsch Klingendes wie Engelwurz oder Giersch möchte es schon sein für den Hipstergeschmack und den Trend zum foraging wilder Nahrungsmittel.
Gut so: Gottseidank sind wir aus den Zeiten raus, wo auf die Leberknödelsuppe grundsätzlich tiefgefrorener Trockenschnittlauch gestreut wurde. Damals brachte es der unvergleichliche Wolfram Siebeck in seiner schnoddrigen Art auf den Punkt: der erste Schritt zum Kochenlernen sei es, den Küchenschrank zu öffnen und alle seit Jahren dort vor sich hintrocknenden Kräutermischungen wegzuschmeißen.
Mit diesem forschen Verdikt legte er sich allerdings auch mit tausendjährigen Traditionen an. Schon immer wurden Kräuter getrocknet, zu medizinischen und zu kulinarischen Zwecken. Französische Klöster pflanzten Kräutergärten, die sie jardins des simples nannten, da ein „einfaches“ Kraut als Tee oder Tinktur oft heilsamer ist als aufwendige pharmazeutische Rezepturen aus der Mönchsapotheke.
Und ja, getrockneter Beifuß passt zur Gans, getrockneter Majoran zum allmählich aussterbenden Eisbein und griechische Souvlaki-Lammfleischspießchen schmecken ohne getrocknetes Oregano nur halb so gut. Aber wahllos über alles gestreute herbes de Provence sind ebenso démodé wie Balsamico-Spritzer. Es sei denn, man kehrt gerade mit Kräutersouvenirs vom Urlaub aus der Camargue zurück.
Denn es kommt auch hier auf die Jahreszeit an. Der österreichische Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann hat es vorgemacht, als er einst für seine Aubergine in München wilden Bärlauch im Englischen Garten pflückte und damit einen bis heute anhaltenden Boom für diesen frühlingsfrischen Genuß auslöste. Sicher, vieles wie das angesagte Korianderkraut, das nicht nur vietnamesische Pho-Suppen würzt, wird ganzjährig in Gewächshäusern kultiviert. Aber jetzt im Frühjahr tut es besonders gut, positive Energien durch frisch sprießende Kräuter zu tanken.
Jetzt ist die ideale Zeit für ein frisch gemörsertes Basilikum-Pesto (einst die Vitamin-Spritze ligurischer Matrosen!) oder einen orientalischen Petersil-Salat, abgeschmeckt mit ein paar Tropfen selbst aufgesetztem Estragon-Essig. Und auch die süße Fraktion kann vom Aromenreichtum der Kräuter profitieren: Im Internet finden sich genügend innovative Rezepte für Macarons, die mit Ganache gefüllt sind, in die Blättchen von Zitronenmelisse, Minze oder Verveine eingearbeitet sind. Ausprobieren!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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