Peters Lebensart
Gastro-Diplomatie
Küche wird außenpolitisch. Der geschickte Einsatz der gastronomischen Kompetenz beeinflusst das Image eines Landes positiv
Mehr Kochtöpfe, Sire“, soll Talleyrand 1814 auf die Frage des französischen Königs, was er noch für den Wiener Kongress brauche, geantwortet haben. Tatsächlich gelang es ihm, mittels seiner begehrten Esseinladungen vorteilhafte Bedingungen für das nachnapoleonische Frankreich auszuhandeln.
Gastronomische Diplomatie gab es schon immer, doch blieb sie meist dem situativen Geschick des Gesandten überlassen. Staatlich geplante Gastrodiplomacy ist erst in den vergangenen Jahren zu einem Schlüsselbegriff des politischen Diskurses geworden – der Terminus wurde 2011 durch den Coach Paul Rockower geprägt, der für die USA und Israel diplomatisch tätig gewesen war.
Die innovative Idee ist, das kulinarische Erbe und die gastronomische Potenz eines Staates bewusst in den Außenauftritt einzubeziehen und damit das Image eines Landes auf einer emotionalen und touristischen Ebene nachhaltiger positiv zu beeinflussen, als es über politische Statements möglich ist. Die Soft Skills der Küche können so zum Nation Branding beitragen, ja zum Aushängeschild eines Staatsgebildes werden.
Diese Strategie erweist sich als besonders effektiv, wenn die Außenwahrnehmung umstritten ist. So hat Israel, das wegen seiner Palästinenserpolitik immer wieder mit Kritik konfrontiert wird, geschickt ein positives kulinarisches Image als Gegenpol aufgebaut. Tel Aviv als Food-Metropole, in der alle Rezepte des Orients und der jüdischen Diaspora zu lebensfroher Fusion verschmelzen: Diese Realität dient zugleich als willkommene Ablenkung vom militärischen Image.
Ein anderes Land, das bewusst in Gastrodiplomacy investiert, ist Taiwan. Für den Inselstaat ist es angesichts seiner diplomatischen Isolation und seines umstrittenen völkerrechtlichen Status eminent wichtig, über alternative Kanäle zu punkten. Mit der Postulierung einer eigenständigen taiwanesischen Identität wird die politische Abnabelung vom rotchinesischen Festland perpetuiert. Angesichts des globalen Interesses an asiatischer Küche bietet sich Esskultur als ideale Facette an, um die gefährdete Eigenstaatlichkeit zu untermauern.
Für mein Forschungsgebiet Weltküche ist Gastrodiplomacy hochaktuell – denn eine der wichtigsten Voraussetzungen ist, ein klares Profil einer Küche auszuformulieren und zu propagieren. Das kann zu kulinarischem Kompetenzgerangel führen, wie man an den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sehen kann. Es ist nicht leicht, die Küchen ehemaliger Vielvölkerreiche auseinanderzudividieren.
Essen wird zum Claim, wie beim Versuch Sloweniens, die österreichischen Käsekrainer zu verbieten. Ukrainer sind empört, dass ihr „Nationalgericht“ Borschtsch meist als russisch vermarktet wird, und werten das als Usurpation. Der 2020 gestellte Antrag, Borschtsch zum immateriellen Weltkulturerbe der Ukraine zu erklären, übersieht allerdings, dass mit minimalen Varianten Borschtsch auch in Polen oder Moskau gelöffelt wird.
Nicht immer ist Gastrodiplomacy politisch so brisant. Oft ist der Hintergedanke Stärkung des Wirtschaftsstandorts durch Erhöhung des globalen Sympathiefaktors. Der Noma-Elan der skandinavischen Küche ist nicht nur Köchen, sondern auch staatlichen Imagekampagnen zu verdanken.
Hat dieses Konzept auch in der Industrienation Deutschland Zukunft oder gilt weiter das Verdikt des 3-Sterne-Kochs Christian Bau: „Die Politik verachtet uns.“ Wir hatten jedenfalls schon in den 1980ern einen Vordenker: Bundespräsident Richard von Weizsäcker wies damals deutsche Botschaften an, statt französischem deutschen Wein zu servieren. Wie beim Münchner Feinkosttempel Dallmayr. Da wird die Eierfrage gestellt – Bio, Bodenhaltung, Freiland? Und da finden sich erste Rezepte zu „Avocado-Eierlikör“ ohne Eier. Schließlich war der Indio-Drink aus dem Superfood vegan und ist somit topaktuell!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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