Porträt
Gebogenes Grün und ein Spatzenkind im Sinn
Die Kunst des japanischen Blumensteckens auf höchstem Niveau machte Horst Nising hierzulande zum gefragten Ikebana-Meister und -Lehrer.
Wenn am 16. Oktober 2023 in Frankfurt am Main der Deutsche Buchpreis in der Paulskirche übergeben wird, dann fällt sicher auch die wunderschöne Blumendekoration ins Auge. Ungewöhnlich ist sie, mit ausgesuchten Blüten und Zweigen, jede Schale, jedes Gefäß ein kleines Kunstwerk, ein Ausrufezeichen, das sich auf den Preisträger und das prämierte Werk bezieht.
Für diese Ikebana-Statements ist seit Jahren ein Rotarier zuständig. Horst Nising, Mitglied im RC Frankfurt-Alte Oper, ist einer der wenigen Europäer, der in der Kunst des japanischen Blumenarrangierens Meriten errang und diese Kunstform seit fast 50 Jahren ausübt.
Am Blumengroßmarkt kennt man ihn, ebenso im Palmengarten: der ältere Herr mit Fliege und Sakko, der stets auf der Suche nach außergewöhnlich gewachsenen Pflanzen, nach seltenen Blüten ist, um die kosmische Ordnung per Ikebana darzustellen – Schlangenbart, Pfaffenhütchen, Purpur-Reitgras als Gestaltungsmittel.
Eine Kunstform
In seiner Altbauwohnung im Frankfurter Stadtteil Bornheim steckt Horst Nising immerzu etwas Grünes zusammen. Aus kleinsten Pflanzenstängeln arrangiert er mit geübten Griffen zauberhafte Mini-Gestecke. "Jede Blume steht symbolisch für eine Eigenschaft, jede Farbe drückt etwas aus. Selbst mit der Länge eines Mispelzweiges und seiner Form lässt sich eine Geschichte erzählen", erklärt er. Horst Nising hat zudem über die Jahre passende Gefäße gesammelt – jedes mit einer Historie, einer besonderen Bedeutung. Da wird ein silberner Fingerhut zum Mini-Pflanzgefäß, zwei Deckeldosen zur Basis für eine Szenerie aus Pferd und Spatzenkind.
"Ähnlich wie die Teezeremonie oder die Kalligrafie gilt Ikebana als Kunstform. Man braucht Jahre der Ausbildung und Erfahrung plus viel Übung, um die perfekte Harmonie zu kreieren", weiß Horst Nising. Er nennt Aufbau, Rhythmik, Farbe als wichtige Kriterien. Und: empfängliche Sinne.
Die Anfänge des Ikebana finden sich im 6. Jahrhundert – mit Regeln für die Kunst des Blumensteckens. "Die Reduktion auf das Wesentliche, auf die schlichte Schönheit und das Leben faszinierte mich von Anfang an", sagt Nising. Wie es begann? Beim heiteren Beruferaten im Fernsehen hörte er das erste Mal von Ikebana. Er rief die vorgestellte Expertin noch im TV-Studio an. Kurz darauf lernte er bereits, mit wenigen Pflanzen etwas Schönes, Aussagekräftiges darzustellen.
Ursprünglich hatte Horst Nising mit Blumen nichts am Hut. Volksschule, kaufmännische Lehre, Abitur am Abendgymnasium, Jobs als Krankenpfleger und in einer Buchhandlung, schließlich trat er einem Jesuiten-Orden bei und absolvierte ein Philosophie- und TheologieStudium. Er gründete ein katholisches Gymnasium und managte jahrelang eine Galerie. Und er wurde Professor für Kunstgeschichte, lehrte an einer Hochschule.
Ungewöhnlich, aber wer den freundlichen Herrn erlebt, meint: Das alles passt zu Horst Nising. Irgendwann flog er nach Japan, um noch mehr über Ikebana zu erfahren – später, um die erste Prüfung abzulegen. "50 bis 60 Zwischenprüfungen habe ich bestanden. Ich wollte es unbedingt. Es ist spannend, mit wenigen Blüten oder Blättern den Himmel, einen Wasserfall, ein Dorf darzustellen, den Dialog zwischen Nelkenwurz und Chinaschilf anzuregen – und andere das Sehen zu lehren", sagt Horst Nising. Er hat inzwischen den 18. Grad erreicht und ist Senior Professor des Ikebana.
Wie ein Wundertier
"Japaner denken, dass Europäer die Kunst des Blumensteckens nicht können. Aber ich habe in der ältesten Ikebana-Schule, der Ikenobo, gelernt. In Japan bin ich oft wie ein Wundertier bestaunt worden", schmunzelt der Experte.
Horst Nising hat inzwischen Ikebana zu Gedichten von Reiner Kunze gestaltet und Haikus mit seinen Kreationen illustriert. Er gibt bis heute Kurse und gestaltet weiter die Paulskirche mit bis zu 2,5 Meter hohen Blumengestecken zu Preisträger-Büchern. Außerdem erfreut er sich an der Gemeinschaft der Rotarier. Seit über 30 Jahren ist er Clubmeister und organisiert für die Frankfurter Freunde Reisen mit Konzerten, Lyrik, Kunst. Inspirierend findet er das. Wenn Horst Nising im September 85 wird, kommt sicher die Frage, ob er noch weitermachen will. Seine Antwort ist klar: "Ich möchte nicht auf den Club und die rotarischen Freunde verzichten."
Zur PersonDr. phil. Horst Nising (RC Frankfurt-Alte Oper), geboren 1938, lernte Industriekaufmann, studierte Philosophie und Theologie, später Kunstgeschichte. Nach der Promotion als Hochschullehrer aktiv. Seit 1968 studierte er Ikebana. Inzwischen lehrt er und ist Träger des höchsten Grades der Ikenobo-Ikebana-Akademie, Kyoto. Er veröffentlichte vier Bücher mit Ikebana zu Gedichten.
Weitere Artikel der Autorin
Social Media: Was? Wo? Wie?
Das ist Stephanie Urchicks Präsidentenlogo
Meeting: Weihnachten in der Ukraine
Achtung, neue Betrugswelle!
Lauteste rotarische Fellowship nun mit Hymne
Lasst uns drüber reden - und helfen!
Letzte Chance auf ein einzigartiges Kunstwerk!
10/2023
Tausende Tour-Kilometer gegen Polio
Finale in Chemnitz
Knapp zehntausend Kilometer gegen Polio
Mehr zur Autorin