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Peters Lebensart

Karpfen – der verpönte Fisch?

Peters Lebensart - Karpfen – der verpönte Fisch?
© Jessine Hein/Illustratoren

Vom modrig schmeckenden Fettfisch zum Gegenstand raffinierter Kreationen der Spitzengastronomie

Peter Peter01.12.2019

Zu fett, zu grätig – so lautet ein nur teilweise begründetes Vorurteil. Der Karpfen hat es schwer in unserer Kochlandschaft. Natürlich gibt’s Ausnahmen: der fränkische Aischgrund, das Waldviertel und das Burgenland in Österrreich oder, um über die Sprachgrenze zu schauen, das französische Sundgau südlich des Elsass, wo riesige Platten voller Backkarpfen mit Pinot Gris hinuntergespült werden. Aber in einer Millionenstadt wie München ist Karpfen auf der Karte zur absoluten Rarität geworden, egal ob blau oder im Wurzelsud.

Selbst zu Weihnachten und Silvester verschwindet der Karpfen aus unseren Küchen. Ob an der Küste oder im Binnenland, der Deutsche isst lieber See- als Flussfisch, und die Klöster mit eigenen Karpfenteichen sind rar geworden. Dass Karpfen einst hierzulande der einzige verlässlich verfügbare Zuchtfisch und noch dazu eine fette Fastenspeise war, zählt in Zeiten von Fischstäbchen und Tiefkühlgarnelen nicht mehr. Und der Aberglaube, seine Schuppen seien ein glücksverheißendes Symbol für reichlich fließendes Münzgeld im neuen Jahr, hat bei Kreditkarteninhabern einen schweren Stand. Und dann ist da noch die mittlerweile gruselig aus der Zeit gefallen wirkende Wandergeschichte vom Karpfen in der heimischen Badewanne einschließlich Erinnerung an das damit verbundene Badeverbot und die atavistische Hausschlachtung. Willy Brandts Berliner Leibgericht, Karpfen polnisch in einer Sauce aus Bier, Fischblut, Zwiebeln und Saucenlebkuchen, mag noch in wenigen traditionsbewussten Familien schlesischer Heimatvertriebener hochgehalten werden. In der Hauptstadtgastronomie ist das Rezept jedenfalls verschollen. Vielleicht hängt die Abnabelung vom Karpfen auch damit zusammen, dass er ein Billigfisch war, früher gerade wegen seines Fetts als Fleischersatz geschätzt. Man kann der DDR ja vorwerfen, dass die Lebensmittelregale oft leer waren. Karpfen aber gab’s immer in der HO oder beim Fischhändler Ost.

Kurzum, Karpfen in der Krise. Da kann ein Blick nach Asien helfen: Nicht gerade nach Japan, wo sich in Tempelteichen sündteure bunt gefleckte Kois als reine Zierfische tummeln. Die chinesische Kochkunst hingegen zaubert wunderbare Gerichte, wo süßsaure Aromen von glasierender Sojasauce, Pfefferschoten, Honig, Ingwer und Zitrusfrüchten das zarte Fleisch im Ganzen servierter junger Graskarpfen umschmeicheln. Auch aus Osteuropa könnte man sich Anregungen holen. Wem ein ungarisches Karpfen-Paprikasch mit saurer Sahne zu scharf und üppig ist, der sollte vielleicht mal eins der serbischen Fischrestaurants von Zemun ausprobieren. In diesem an der Donau gelegenen Vorort Belgrads habe ich kürzlich köstliche im Rohr mit Pflaumen überbackene Karpfenschnitten serviert bekommen, ein Traditionsrezept aus der Vojvodina, das die Üppigkeit dieses Fisches abmildert.

Der kiloschwere Riesenkarpfen kommt aus der Mode. Immer häufiger werden Schröpfgeräte eingesetzt, die die Gräten zerhäckseln – das zeitgeistigere Filet ersetzt den ganzen Fisch. Züchter legen verstärkt Wert auf Endhaltung im sauberen fließenden Wasser, um sumpfigen Modergeschmack zu vermeiden, vor dem schon Hildegard von Bingen warnte. Wiener Fischhändler werben gar mit magereren Wildkarpfen, die im Neusiedler See gründeln. Und die Spitzenküche entdeckt Feines wie geräucherten Karpfenschinken, panierte Karpfenmilch, Cremes aus Karpfenkaviar. Der einstige Volksfisch zum Sattwerden scheint zum Gourmetfisch für Connaisseure zu avancieren. Und die können guten Gewissens schlemmen, denn Karpfen weist angeblich unter allen Speisefischen die beste Umweltbilanz auf.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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