Peters Lebensart
Michelangelo hätte Bier getrunken
Das behauptet jedenfalls der schnurrige Italienliebhaber Hans Barth.
Der Deutschrömer Hans Barth veröffentlichte 1908 sein Erfolgsbuch „Osteria – Kulturgeschichtlicher Führer durch Italiens Schenken vom Gardasee bis Capri“. Sein Blick war von holländischer Genremalerei geprägt. Barth liebte dunkle Stuben, in denen verwegene Brigantentypen mit feurigen Tarantellatänzerinnen zechten.
Und er ist ein Kronzeuge für den damaligen Boom bayerischen Bieres, das er als Burschenschaftler zu schätzen wusste. Man erfährt Erstaunliches: Das Gran Caffè Gambrinus gegenüber der Oper in Neapel war ein Bier-Comptoir, Konkurrent waren die Pschorr-Stuben. „Mailand ist Bierstadt, das München Italiens.“ In Verona besucht er das Löwenbräu an der Piazza Brà: „Ein echt deutsch eingerichtetes Lokal. An den Wänden elektrisch beleuchtete Hirschköpfe mit rot glänzen- den Augen, solide Krüge und Kell- ner im Schwalbenschwanz.“
Die Italiener selbst waren lange keine Brauer. In der Nachfolge des römischen Kaisers Julian, der den Geißbockgestank von „cervisia“ mit dem Nektarduft des Weines kontrastierte, galt „la birra“ als barbarisch. Ein Blick auf Traditionsbrauereien zeigt, dass der Gerstensaft spät über alpinen Einfluss Italien erreichte. Peroni wurde 1842 in der noch österreichischen Lombardei gegründet, Birra Menabrea 1846 von Brauern aus dem schweizaffinen Aostatal. Moretti aus dem friaulischen Udine wirbt seit 1859 mit einem schnauzbärtigen Altösterreicher im Trachtenlook. Die Wiener Brauerei Dreher, Erfinderin des Lagerbiers, eröffnete 1869 eine Filiale in Triest. Ganz wie ein „buffet triestino“ mit viel Holz und Putti, die mit Fässern und Zapfhähnen spielen, präsentiert sich die Birreria Peroni in Rom.
In dem Ethno-Etablissement von 1906 ordern Römer „crain con crauti“ – Krainerwürstel mit Sauerkraut. Zünftig kombiniert – wie Bier zur Pizza. Nur acht Prozent aller Italiener wagen den Stilbruch, dazu Wein zu trinken. Der Grund? Fiskalisch. Auf Getränke mit über zehn Volumenprozent waren hohe Abgaben fällig, auf „birra“ nicht. Mit der neapolitanischen Pizza, die in den 1950ern allmählich ganz Italien erreicht, beginnt der Aufschwung des Bieres. Heute freut diese Sitte Brauer, die nach Italien exportieren – etwa Paulaner, benannt nach dem kalabresischen Schutzpatron S. Francesco di Paola. So sind Fans bayerischen Biers herangezogen worden und stür- men am „Italienerwochenende“ die Münchner Wiesn.
Wer durch Uni-Städte wie Perugia streift, stellt fest, dass „birra“ zum Prestigedrink geworden ist. Dieses Phänomen begann in den 1990ern mit den allgegenwärtigen Irish Pubs, aber auch deutsche Kneipen mit geistreichen Namen wie Birreria Sturm & Drang waren darunter. Seit ein paar Jahren ist das Gründerfieber für einheimi- sche Craft-Biere ausgebrochen. Oft mit martialischen neokeltischen Frakturetiketten aufgemacht und hohem Alkoholgehalt eingesotten, kostet ein Fläschchen schon mal einen zweistelligen Betrag. Immerhin zwei Prozent des Hopfens ist „luppolo“ aus Italien. Mein schönstes Biererlebnis hatte ich in einer heißen Sommernacht auf der Terrasse der Wunderbar in Taormina. Das Erdinger Weißbier hatte einen Fantasiepreis, aber die Zeremonie war es wert. Der Ober im weißen Sakko präsentierte mir mit Handschuhen die eisbeschlagene Flasche und füllte dann den Inhalt in ein ebenfalls eisbeschlagenes Weißbierglas, den Schaum mit unnachahmlicher Eleganza aus der Flasche drehend, stolz, dass er den exotischen Wunsch des nordischen Gastes befriedigen konnte.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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