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Peters Lebensart

Schmalzige Belästigung durch fiedelnde Stehgeiger?

Peters Lebensart - Schmalzige Belästigung durch fiedelnde Stehgeiger?
© Illustration: Jessine Hein/Illustratoren

Eine nostalgische Polemik über Musik beim Essen

Peter Peter01.06.2023

Jagdhornbläser begleiteten Karl den Großen, wenn er seine geliebten Wildspieße verzehrte. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. ließ sich eigens „musique de table“ komponieren. Bereits die antiken Griechen ließen es beim Symposion weder an Wein noch an Begleitmusik fehlen, wie Grabmalereien im süditalienischen Paestum belegen. Und eine 40.000 Jahre alte Schwanenknochenflöte, so vermuten die Archäologen, wurde zu rituellen Steinzeitgelagen geblasen.


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Auch im Alltag galt die Symbiose von Musik und Mahl bis in die jüngste Vergangenheit.

Im Ungarn der 1980er wartete selbst in Bahnhofskneipen meist ein „Czigan“ mit der Hoffnung, sich mit ein paar Geigenstrichen zum „Gulyás“ ein paar Forint verdienen zu können. Ich kann mich noch erinnern, dass auf unserer Abiturfahrt die Athener Plaka ein Sinne verwirrendes Labyrinth aus Grilldüften, Rembetiko und Sirtaki war.

Da hat sich einiges geändert, jedenfalls was Lifemusik zum Essen betrifft. Der von Tisch zu Tisch fiedelnde Stehgeiger, im Kino früher Komplize der Verführung, wird häufig als schmalzige Belästigung empfunden und daher weitgehend abgeschafft. Die Verknüpfung von Heurigenlokal mit Heurigenmusik gilt nur noch in Ausnahmefällen – Buschenschanken, wo noch das Wienerlied gepflegt wird, sind zu Geheimtipps geworden. Auch unsere „Ausländer“ verzichten immer mehr auf den Ethno-Appeal der Töne, der zu ihrem Starthilfeset gehörte. Erinnern wir uns: Als die ersten Griechen bei uns aufmachten, wurde wild zur Bouzouki getanzt. Viele Italiener wurden dadurch populär, dass der Padrone gerne einmal aus voller Kehle O Sole Mio anstimmte. Heute mutet es anachronistisch an, wenn man in Belgrad über die Skadarska wandelt, die Vorzeigegasse der serbischen Boheme: Ich gestehe, mich stimmt es sentimental, wenn Musikgruppen ohne Verstärker vorbei an tafelnden Tischrunden ziehen, die für ein persönlich vorgetragenes Ständchen auch einmal ein Scheinchen als Anerkennung springen lassen.

Musik zum Essen ist hierzulande längst keine unaufgeregte Selbstverständlichkeit mehr, sondern wird zum Event stilisiert. Unter dem Motto „Palazzo“ zelebrieren Starköche eine Show mit Akrobaten, Rhythmus und Gesang.

Der wahre Grund ist, dass „Tafelmusik“ heute fast immer aus der Konserve schallt. Das hat den Vorteil, dass das Repertoire theoretisch unerschöpflich ist. Bedeutet aber auch, dass man das vom Wirt ausgewählte Programm erdulden muss, während man den Geiger wegschicken oder bitten konnte, ein Wunschstück zu spielen. Für Lokalmusik gibt es keine Karte! Tatsache ist, dass die unbegrenzten Möglichkeiten oft dilettantisch oder egoistisch genutzt werden. Es steigert nicht unbedingt das kulinarische Erlebnis, wenn süßliche Kaufhaus- oder Fahrstuhlberieselung aus Wandlautsprechern dringt. Den Alkoholausstoß dürfte es hingegen steigern, wenn wummernde Bässe die Möglichkeit, miteinander zu reden, einschränken und dadurch zum schnelleren Trinken animieren.

Ganz schlimm ist es, wenn eine Endlosschleife abgedudelt wird und man im Verlauf eines Abends viermal Frank Sinatras New York oder einen Bocelli-Ohrwurm serviert bekommt. Songs, die man eigentlich mal mochte, werden einem so verleidet.

Toll, wenn Musik passt, wenn sie individuellen Geschmack widerspiegelt und auf das Gesamtkonzept der Gaststätte abgestimmt ist. Es müssen nicht immer leise Klaviertöne à la Erik Satie sein. Afro-Jazz oder libanesische Lounge-Musik kann man ruhig mal lauter drehen. Aber oft ist gebührensparende Stille, wie sie in Wiener Kaffeehäusern kultiviert wird, in unserer reizüberfluteten Welt die bessere Begleitmusik.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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